Stadtzentren wieder beleben

Nach "The Länd" gibt es nun 500.000 Euro für "The Städt"

Schöner shoppen ohne Auto: Die Grünen kündigen einen Modellversuch für den "autofreien Stadtbummel" an.

04.01.2023 UPDATE: 04.01.2023 06:00 Uhr 2 Minuten, 38 Sekunden
Lieferung per Lastenrad: Innenstädte könnten attraktiv sein, wenn nach einem „autofreien Stadtbummel“ die Einkäufe nach Hause geliefert werden, so die These der Grünen. Foto: dpa

Von Roland Muschel, RNZ Stuttgart

Stuttgart. Geschlossene Läden während der Corona-Krise, existenzbedrohende Kostensteigerungen in der aktuellen Energie-Krise, dazu die Konkurrenz der großen Fachmärkte auf der "grünen Wiese" und die durch die Pandemie beflügelte Konkurrenz des Online-Handels: Die Stadtzentren sehen sich vielfältigen Herausforderungen ausgesetzt und verändern ihr Gesicht – mit der Gefahr, dass traditionsreiche Spielwarengeschäfte von anonymen Spielhallen abgelöst werden und inhabergeführte Boutique von gesichtslosen Ketten. Um dem zu begegnen, versucht die Landespolitik mit verschiedenen Initiativen und Bemühungen einzugreifen.

Die Grünen-Landtagsfraktion etwa will die Aufenthaltsqualität der Zentren durch die Förderung von Modellversuchen für einen autofreien Stadtbummel verbessern. Dafür soll zunächst in zwei bis drei vom Land unterstützen Modellkommunen ein lokaler und klimafreundlicher Bringservice für den Einzelhandel vor Ort aufgebaut werden.

Die Idee dieses "schöner shoppen ohne Auto"-Ansatzes: Die Kunden fahren lieber mit Bus und Bahn zum Einkaufen in die Stadt, wenn sie wissen, dass die Einkäufe per Lastenrad oder Taxi bequem nach Hause geliefert werden.

Im Landeshaushalt stehen für den Versuch auf Antrag der Grünen-Fraktion für die Jahre 2023 und 2024 jeweils 500.000 Euro bereit. Das Programm soll unter dem Claim "The Städt" firmieren – in Anlehnung und unter dem Dach der neuen Landeskampagne "The Länd". Adressaten sind Mittelzentren im ländlichen Raum.

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"Der Strukturwandel hat unsere Innenstädte voll im Griff. Dem muss die Politik mit innovativen Ideen begegnen. ‚The Städt‘ könnte ein Lösungsansatz sein, der auf den Grundpfeilern von Nahversorgung und Nahverkehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln aufbaut", sagt die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen, Silke Gericke.

Der Kern des Programms sei "der autofreie Stadtbummel". Von den Modellkommunen erhoffe man sich Rückschlüsse darauf, ob und wie dieser Ansatz perspektivisch ins ganze Land übertragen werden könne, blickt Gericke über den Versuch hinaus.

Der Wandel der Innenstädte ruft auch die Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut und die Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen, Nicole Razavi (beide CDU), auf den Plan. Im Doppelhaushalt 2023/24 hat Hoffmeister-Kraut 1,7 Millionen Euro für Innenstadtberater reserviert, die mit den Akteuren vor Ort auf Basis von Standortanalysen Konzepte zur Stärkung der Innenstädte entwickeln und bei Bedarf auch deren Umsetzung unterstützen sollen.

Erst Ende September hat ihr Haus ein "Sofortprogramm Einzelhandel und Innenstädte" mit einem Volumen von 5,0 Millionen Euro aufgelegt. Gemeinsam mit Razavi hat Hoffmeister-Kraut auch einen "Beirat Zukunft Handel/Innenstadt" ins Leben gerufen, der im Dezember 2022 seine Auftaktsitzung hatte. "Alle Innenstadt-Akteure müssen an einem Strang ziehen, wenn wir in Baden-Württemberg auch in Zukunft attraktive, krisenfeste Innenstädte mit einem zukunftsfähigen Einzelhandel haben wollen", geben die Ministerinnen als Losung aus.

Das Gremium mit Vertretern von Wirtschaftsverbänden, dem Einzelhandel, Gewerkschaften, aber auch Wissenschaftlern und Unternehmensberatern soll dabei konkrete Handlungsempfehlungen erarbeiten. Der Beirat biete "die einmalige Chance, wichtige Impulse zur Stärkung des stationären Einzelhandels und der Innenstädte in Baden-Württemberg zu setzen", sagt Hoffmeister-Kraut.

Aus Sicht der oppositionellen FDP sind das nur Tropfen auf den heißen Stein. "Die Landesregierung hat die Krise der Innenstädte und des Einzelhandels immer noch nicht begriffen", wettert FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Seine Fraktion ist für mehrtägige Vor-Ort-Aktionen quer durchs Land gereist, von Nord nach Süd und Ost nach West, von Mannheim bis Radolfzell und von Ulm bis Offenburg.

Das Resultat ihrer Gespräche und Eindrücke hat sie in ein umfangreiches Positionspapier gegossen. Darin fordert die FDP unter anderem eine landesweite Kampagne "Komm in die Innenstadt" und, um dem Thema das aus Sicht der Liberalen angemessene Gewicht zu verleihen, einen Innenstadtbeauftragten innerhalb der Landesregierung.

Einen völlig anderen Fokus hat die Internationale Bauausstellung 2027 Stadt und Region Stuttgart (IBA’27), die sich auch der "Zukunft der Zentren" widmet – und den Gedankengang wagt, dass die Innenstädte irgendwann nicht mehr die Zentren des Einzelhandels sein werden. "Man könnte mehr Gastronomie und Freizeitangebote schaffen und mehr Wohnraum. Man könnte Handwerk und Gewerbe zurück in die Städte holen.

Man könnte gemeinnützige Angebote schaffen und kulturelle Nutzungen ansiedeln", schreibt Tim Rieniets, Professor für Stadtentwicklung, in einem Beitrag für die IBA’27, deren Kuratoriumsmitglied er ist. Allein: Die Mietpreise, die in den Zentren aufgerufen werden, "haben inzwischen so exorbitante Höhen erreicht, dass praktisch alle Nutzungen jenseits des Einzelhandels ausgeschlossen sind". Dieses Problem anzugehen, sei die Politik bislang aber nicht bereit.

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