Streit ums Geld um künftigen ÖPNV-Ausbau
Ist es ein Projekt "von Städtern für Städter"? Der Mobilitätspass soll Kommunen zusätzliche Einnahmen bringen. Doch was genau steckt hinter der grün-schwarzen Idee?

Von Theo Westermann, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Um den künftigen und für die angestrebte Verkehrswende unerlässlichen Ausbau des ÖPNV im Land ist ein Streit ums Geld entbrannt. Das geplante bundesweite 49-Euro-Ticket und die damit verbundene Minderung der Regionalisierungsmittel des Bundes für den ÖPNV-Ausbau im Südwesten haben den Konflikt auch zwischen Land und Kommunen noch verschärft. Ein geplanter Mobilitätspass soll eine neue Finanzierungsquelle für Kreise und Städte sein.
Mobilitätskonzept, Mobilitätsgarantie und Mobilitätspass – was bedeuten diese Begriffe? Mobilitätskonzept ist der Übergriff, den die Landesregierung und die grün-schwarze Koalition ihrer Verkehrspolitik verpasst haben. Anfang November hat die Regierung noch einmal Eckpunkte formuliert, mit der sie die Verkehrswende schaffen will. Es soll eine Verlagerung des Pkw-Verkehrs auf den ÖPNV in großem Umfang ermöglichen. Bis 2030 sollen die Fahrgastzahlen gegenüber 2010 verdoppelt werden. Eine Schnittmenge davon ist die geplante Mobilitätsgarantie. Allerdings hat die Landesregierung verkündet, dass es für letztere im Doppelhaushalt 2023/24 zunächst kein Geld geben wird – was die Oppositionsparteien mit Hohn und Spott kommentiert haben.
Wie soll diese Mobilitätsgarantie aussehen? Sie soll durch ein verlässliches Angebot wie Angebots- und Taktzeiten von 5 bis 24 Uhr den Umstieg auf Bus und Bahn erleichtern. Als Mindestanforderung sollen alle Orte zu den gängigen Zeiten im Ballungsraum mindestens alle 15 Minuten und im ländlichen Raum alle 30 Minuten angebunden sein. Bis 2026 sollen die Mindestanforderungen in der Hauptverkehrszeit umsetzt sein.
Und was ist der Mobilitätspass? Als zusätzliches Finanzierungsinstrument sollen die Kommunen und Kreise einen Mobilitätspass einführen können. Dies soll Teil eines Landesmobilitätsgesetzes sein, das 2023 verabschiedet werden soll.
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Welche Ausgestaltungen sind geplant? Der Mobilitätspass soll möglich sein als Straßennutzungsgebühr für Kfz-Nutzer, als Bürgerticket für Einwohner, als Nahverkehrsabgabe für Kfz-Halter oder eine Abgabe für Arbeitgeber. Niemand soll doppelbelastet werden. Die Einnahmen müssen von den Kommunen zweckgebunden für den Ausbau und zusätzliche Angebote des ÖPNV eingesetzt werden.
Macht das geplante 49-Euro-Ticket den Plan eines Mobilitätspasses zunichte? Nach aktuellem Wissensstand sieht das Land darin keine Hemmnisse. Denn eine zukünftig für den Mobilitätspass erhobene Abgabe soll den Abgabepflichtigen in Form eines Mobilitätsguthabens wieder zur Verfügung gestellt werden. Das Guthaben kann dann in gleicher Höhe für ÖPNV-Zeitkarten eingelöst werden, so ist dies auch für das 49-Euro-Ticket vorgesehen.
Haben sich Kommunen und Kreise schon bereit erklärt? Zumindest für einen Modellversuch seit Februar 2022 zur Berechnung möglicher Modelle: Als Modellregionen meldeten sich 21 Kreise, Stadtkreise oder Verkehrsverbünde, darunter Karlsruhe, Freiburg und Stuttgart, der Rhein-Neckar-Kreis sowie die eher ländlichen Kreise Biberach, Calw, Ostalb oder Freudenstadt. Der Modellversuch wird bei den Beteiligten nicht als Vorfestlegung gesehen. Die Aussage von Landkreistagspräsident Joachim Walter im Februar 2022, dass es dies alles "nicht zum Nulltarif" gebe, das Land trage die "Finanzierungsverantwortung", sehe der Landkreistag immer noch so, betonte ein Sprecher.
Die Rede ist auch von "angemessener Mittelbereitstellung" durch das Land. Aus den Reihen der Kommunalpolitik wird auf die Zuspitzung der Finanzkrise seit dem Ausbruch des Ukrainekriegs, die voraussichtlich stark reduzierten Regionalisierungsmittel des Bundes sowie die Einnahmeverluste durch das geplante 49-Euro-Ticket verwiesen. Karlsruhes OB Frank Mentrup (SPD) hält den Mobilitätspass angesichts der aktuellen Situation für den Bürger nicht mehr für vermittelbar, "da können wir nicht noch mit einer zusätzlichen Abgabe kommen", sagte er am Freitag.
Gibt es schon Ergebnisse der Modellberechnungen, was als Erlös zu erzielen wäre? Es zeige sich laut Land bereits, dass der Mobilitätspass zweistellige Millionen-Beträge pro Jahr als Netto-Erlös pro kommunaler Modellregion erzielen und damit signifikante Verbesserungen des ÖPNV mitfinanzieren könnte. Die Höhe des Erlösaufkommens sei aber abhängig von der jeweiligen Variante, der Höhe des Beitrags oder der Gebühr sowie von der Größe der Kommune.
Wie stehen die Parteien im Land zu den Plänen? Grüne und CDU haben das Mobilitätskonzept, auch den Mobilitätspass und seine Ausgestaltung, im Koalitionsvertrag vereinbart. Die CDU betont aktuell verstärkt, dass sich im Konzept die Lebensrealität der Menschen auch im ländlichen Raum widerspiegeln muss, sprich die dort weiter wichtige Rolle des Autos. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) sieht hier keinen Dissens, auch er wisse um diese wichtige Rolle, nun komme es darauf an, das Auto "sauber" zu machen.
Die FDP nennt die Mobilitätsgarantie eine platzende "Seifenblase", der Mobilitätspass sei eine "Abwälzung der Kosten auf die Bürger". Die SPD sieht "enttäuschte Erwartungen". Von der Basis der Kommunalpolitik gibt es höchst unterschiedliche Einschätzungen zum Mobilitätspass, jüngst nannten beispielsweise Sprecher der SPD-Kreistagsfraktion im Rems-Murr-Kreis das Projekt kritisch "ein Projekt von Städtern für Städter".