Umweltkatastrophe Jagst: Jetzt soll ein Schiff versenkt werden
Giftwelle in der Jagst fließt weiter dem Neckar entgegen

Zwischen Widdern und Jagsthausen im Landkreis Heilbronn haben Helfer des THW einen Schutzdamm errichtet, damit die erwartete Giftwelle nicht überschwappt. Fotos: Michael Endres
Von Michael Endres
Krautheim/Heilbronn. Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) zeigte sich zuversichtlich, dass das Schlimmste überstanden sei. Er und Landwirtschaftsminister Alexander Bonde (Grüne) machten sich gestern in Krautheim (Hohenlohekreis) ein Bild von der Lage. Als Reaktion auf die Umweltkatastrophe an der Jagst will die baden-württembergische Landesregierung im ganzen Südwesten Lagerhallen mit gefährlichen Stoffen entlang von Flüssen überprüfen. Ebenfalls unter die Lupe genommen werden müsse, ob die Rechtslage ausreichend sei, erklärte der Umweltminister.
Die mittlerweile 23 Kilometer lange Schadstoffwelle in der Jagst hat inzwischen Dörzbach erreicht. Feuerwehr und Technisches Hilfswerk (THW) kämpfen seit Tagen, um die Schadstoffe abzubauen. Die über 80 Helfer des THW aus verschiedenen Ortsverbänden arbeiten rund um die Uhr, unterstützt von den Feuerwehren im Kreisgebiet und vielen freiwilligen Helfern. Mit der Fließgeschwindigkeit von 400 Meter pro Stunde soll die Welle am Sonntag bei Jagsthausen im Landkreis Heilbronn ankommen, laut jüngsten Berechnungen wird die Giftfahne frühestens am Donnerstag bei Jagstfeld in den Neckar gelangen.
"Man weiß nicht, was sonst noch alles mit dem Löschwasser in die Jagst gelangt ist - für das Ökosystem eine Katastrophe". Ralf Oberacker, Präsident des Landesfischereiverbandes, ist entsetzt. Die Behörden haben seiner Ansicht nach viel zu spät über die drohende Umweltkatastrophe informiert, "da war es schon passiert". In der Summe sei der Schaden finanziell nicht abzuschätzen, sagt Ralf Oberacker, "hier wurde die jahrzehntelange Arbeit der Fischereiverbände mit einem Schlag zunichtegemacht".
Ohnehin hat die Katastrophe ein äußerst wertvolles Ökosystem zerstört, "die Jagst ist das Hohenlohische Juwel" sagt der Fischereipräsident. Neben den Fischen sind auch Krebse, Muscheln und andere Kleinlebewesen vergiftet. Vergleichbar sei dies nur mit der Umweltkatastrophe bei der schweizerischen Sandoz AG, als am 1. November 1986 bei einem Großbrand des Chemieunternehmens 20 Tonnen Gift in den Rhein gelangten, meint der Fischereipräsident weiter.
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Auch Achim Thoma vom Angelsportverein Jagst Langenburg weiß nicht, wie es weitergehen soll. Zusammen mit Vereinsmitgliedern und vielen freiwilligen Helfern haben sie über zehn Tonnen verendeten Fisch aus der Jagst geholt, rund 15 Tonnen konnten durch Abfischen gerettet werden.
Seit Donnerstagmittag haben die Hilfsmannschaften des THW auch Unterstützung aus anderen Landkreisen bekommen. Zwischen Widdern und Jagsthausen haben Helfer einen rund 30 Meter langen Damm errichtet. Hier soll verhindert werden, dass die Schadstoffe in kleine Nebenarme der Jagst gelangen, "das wäre für die einzigartige Ökolandschaft die nächste Katastrophe", sagt Detlef Piepenburg.
Der Heilbronner Landrat ist permanent vor Ort, um die Vorbereitungen für die erwartete Giftwelle in "seinem Landkreis" zu koordinieren. "Wir müssen auf alles vorbereitet sein", begründet Piepenburg den großen technischen Aufwand. Nach Auskunft von Frank Lorho, Sprecher des baden-württembergischen Umweltministeriums, will man auch mit ungewöhnlichen Mitteln die Umweltkatastrophe bekämpfen: Übers Wochenende soll bei der Mündung der Jagst in den Neckar ein Spezialschiff gezielt "auf Grund" gesetzt werden. "Wir hoffen, dass sich dadurch die Schadstoffwelle teilt und sich damit schneller mit dem Neckarwasser verdünnt", erklärt der Ministeriumssprecher.
Hierzu werden bereits die flussaufwärts liegenden Staustufen des Neckars höher eingestaut, um ein zusätzliches Volumen von 600 000 Kubikmeter Wasser zu erzeugen. Dieses Volumen wird abgelassen, wenn die Schadstoffwelle den Neckar erreicht. Für Landwirte im Kreis Schwäbisch Hall, auf deren Feldern Jagstwasser gespritzt wurde, gibt es eine Teilentwarnung: Nach ersten Untersuchungen sind in dem Wasser kaum Schwermetalle enthalten. Noch nicht bekannt ist allerdings, ob das Löschwasser Dioxin enthalten hat.
Inzwischen sprechen Experten davon, dass die Jagst auf einer Länge von 120 Kilometern von einem Fischsterben betroffen sein könnte. Das würde bedeuten, dass nur noch die Hälfte des Gewässers intakt wäre.
Seit dem frühen Donnerstag wird reiner Sauerstoff in den Fluss gepumpt und Frischwasser eingeleitet. Die Konzentration des für Fische giftigen Ammoniumnitrats ist beispielsweise in Mulfingen (Hohenlohekreis) zeitweise auf 39 Milligramm pro Liter gestiegen, bereits 0,5 Milligramm ist für Fische tödlich.