Nach Bruchsaler Hungertod: Der Druck auf den Justizminister wächst
Die Opposition fordert Konsequenzen

Verantwortung heiße für ihn "Missstände zu erkennen, offen zu benennen und sodann entschlossen und tatkräftig anzugehen", wies Stickelberger Rücktrittsforderungen zurück. Foto: dpa
Von Bettina Grachtrup
Stuttgart. Angesichts des neuen Gutachtens zu einem verhungerten Häftling im Gefängnis Bruchsal erhöht die Opposition den Druck auf Justizminister Rainer Stickelberger (SPD). "Das Gutachten zeigt, dass der Tod mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte verhindert werden können. Das ist jetzt die Schuld, mit der Stickelberger leben muss", sagte CDU-Rechtsexperte Bernhard Lasotta am Dienstag. CDU-Fraktionschef Guido Wolf erklärte, der Hungertod des Häftlings sei ein "Schandfleck für die Justizpolitik". Der Minister kläre die Dinge nur halbherzig auf. Die CDU habe eine Sondersitzung des Ständigen Ausschusses beantragt.
Hintergrund
Seit Spätsommer 2014 ist es wiederholt zu Todesfällen, Suizidversuchen und Gewalttätigkeiten gekommen.
9. August 2014: Ein 33-jähriger Mann aus Burkina Faso wird tot in seiner Zelle in Bruchsal gefunden.
20. August 2014: Im
Seit Spätsommer 2014 ist es wiederholt zu Todesfällen, Suizidversuchen und Gewalttätigkeiten gekommen.
9. August 2014: Ein 33-jähriger Mann aus Burkina Faso wird tot in seiner Zelle in Bruchsal gefunden.
20. August 2014: Im Jugendgefängnis Adelsheim gehen bei einem Hofgang 50 Insassen aufeinander los.
21. August 2014: Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) suspendiert den Leiter der Justizvollzugsanstalt Bruchsal vorläufig.
1. September 2014: Häftlinge beginnen in Bruchsal mit Hungerstreik.
17. September 2014: 17-Jähriger stirbt im Jugendgefängnis Adelsheim. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
25. September 2014: 19-jähriger Insasse der Justizvollzugsanstalt Adelsheim versucht, sich zu töten.
1. Oktober 2014: Ein Gutachten der Rechtsmedizin Heidelberg ergibt, dass der 33-Jährige in Bruchsal verhungert ist. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den suspendierten Anstaltsleiter und eine Ärztin.
23. Oktober 2014: Die Staatsanwaltschaft informiert über einen zweiten Todesfall in Bruchsal. Obduktionsbericht: Herzversagen.
19. November 2014: Ein weiterer Fall von ungenehmigter Einzelhaft im Bruchsaler Gefängnis wird öffentlich.
24. November 2014: Das Justizministerium gibt bekannt, dass der Leiter der Abteilung Justizvollzug seinen Posten früher als geplant räumen muss.
21. Dezember 2014: In der Außenstelle Emmendingen der JVA Freiburg wird ein 31-jähriger Strafgefangener tot aufgefunden.
23. Januar 2015: Nach dem Tod eines 17-Jährigen in Adelsheim ergibt die Untersuchung, dass der Jugendliche wegen einer Plastiktüte erstickte.
8. April 2015: Im Gefängnis Bruchsal kommt ein 22-jähriger Häftling zu Tode. Eine erste Untersuchung belegt die Einnahme des Heroin-Ersatzstoffs Methadon. dpa
Hingegen nahm Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) den Ressortchef in Schutz. Selbstverständlich stehe er voll hinter dem Justizminister.
In Bruchsal waren drei Häftlinge innerhalb von acht Monaten gestorben. Ein Gutachten ergab, dass ein im August verhungerter Häftling unter einer krankhaften geistigen Störung litt, die hätte behandelt werden können. "Das sind schreckliche und bedauernswerte Vorfälle", sagte Kretschmann. Stickelberger habe alle Voraussetzungen für eine Aufklärung der Geschehnisse getroffen.
Der Opposition reicht das aber nicht. "Wir halten es für dringend erforderlich, dass der Justizminister einen ausführlichen Bericht über das nervenfachliche Gutachten, die daraus zu ziehenden Konsequenzen sowie über den Stand der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gibt", erklärte Wolf. Der Minister ducke sich weg und versuche, auf Zeit zu spielen. Doch die Kernfragen seien ungeklärt - etwa, warum der Gefangene trotz einer psychiatrischen Erkrankung nicht medizinisch behandelt worden sei. Lasotta sagte zur Frage eines möglichen Rücktritts des Ministers: "Für mich ist es eine Frage des politischen Anstandes, ob man jetzt Konsequenzen zieht oder nicht."
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Stickelberger selber erklärte, das jüngste Gutachten sage noch nichts über strafrechtliche Verantwortlichkeiten von Beteiligten aus. "Hier müssen wir die weiteren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abwarten." Einen Rücktritt lehnt er weiter ab: "Politische Verantwortung wahrzunehmen heißt für mich, Missstände zu erkennen, offen zu benennen und sodann entschlossen und tatkräftig anzugehen." SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel erinnerte daran, dass Stickelberger bereits im Sommer den Leiter des Gefängnisses Bruchsal vorläufig suspendierte und Maßnahmen für eine bessere ärztliche Betreuung von psychisch auffälligen Gefangenen veranlasst habe.
FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke und FDP-Rechtsexperte Ulrich Goll meinten, angesichts der nun festgestellten Vermeidbarkeit des Todesfalls werde die Luft für den Minister dünner.
Zur Erinnerung: Der im Sommer gestorbene Häftling saß in einer zuletzt nicht mehr genehmigten Einzelhaft. Stickelberger setzte im Herbst eine Kommission ein, die den Umgang mit psychisch auffälligen Gefangenen analysieren soll.
Lasotta kritisierte aber, der Minister habe sein Ministerium nicht so organisiert, dass ähnliche Todesfälle ausgeschlossen seien. "Das mache ich ihm zum politischen Vorwurf."