Heilbronn: Herber Rückschlag für den Neckarbogen

Mit dem Rückzug beim Pilotprojekt "Holzhybridhaus" zur Bundesgartenschau kommt ihre größte Attraktion abhanden

18.11.2015 UPDATE: 19.11.2015 06:00 Uhr 2 Minuten, 38 Sekunden

In der "Grünen Ecke" sollen neue Werkstoffe eingesetzt werden. Das Holzhybridhaus hätte hier ein Ausrufezeichen gesetzt. Visualisierung: Mattes Riglewski Architekten

Von Brigitte Fritz-Kador

Als sich der Heilbronner Gemeinderat vor Vorfreude bei der Auswahl der Bauprojekte für den neuen Stadtteil Neckarbogen fast überschlug, sagte der Freie-Wähler-Stadtrat Heiner Dörner, einer der dienstältesten, nur: "Alles ist erst Papier." Er sollte recht behalten, nur drei Monate später kam das "Aus" für das prestigeträchtigste Objekt innerhalb des als "Stadtausstellung zur Buga 2019" hochgehaltenen ersten Bauabschnittes des Neckarbogens: Die Wüstenrot Haus- und Städtebau GmbH (WHS), Ludwigsburg, zieht sich aus dem Investorenauswahlverfahren Neckarbogen zurück.

"Nach intensiver Prüfung hat das Unternehmen entschieden, das geplante neungeschossige Holzhybridhaus im Baufeld J nicht zu realisieren", musste jetzt die Buga GmbH einräumen. Die Absage wurde damit begründete, dass sich "nach eingehender Prüfung die Idee von einem Hochhaus ganz aus Holz im gegebenen Rahmen und Zeitraum leider nicht umsetzen und realisieren lässt, da es sich um Inhalte handelt, die zum ersten Mal umgesetzt werden." In der Tat hätte dieses Holzhybridhaus einen Meilenstein in der Bauentwicklung und Architektur dargestellt, dass es nun entfällt, ist ein herber Schlag für das angestrebte zukunftsweisenden Bauen.

Wenn der Neckarbogen gebaut wird, wird in diesem Bereich der Stadt zeitgleich das Unterste zuoberst gekehrt. Innerhalb der Stadt- und Bauverwaltung wird das Thema Zeit erstaunlich niedrigschwellig behandelt, Investoren und Architekten machen kaum einen Hehl daraus, dass ihnen, auch im Hinblick auf Gemeinschaftsprojekte, die Zeit davonläuft.

Vor diesem Problemkomplex hat Wüstenrot offensichtlich kapituliert. Dabei war das Holzhybridhaus, ein Entwurf des Stuttgarter Architekten Jens Wittfoht, wegen seiner Höhe und prominenten Platzierung wie auch des ungewöhnlichen neuen Baukonzeptes von hoher Symbolkraft. Wirklich überrascht vom Wüstenrot-Rückzug ist Wittfoht nicht, auch er verweist auf die komplexen Rahmenbedingungen, das viel zu enge Zeitfenster und nachträgliche Planungsänderungen. Das Holzhybridhaus sei ein großes Thema und "wahnsinnig ambitioniert" und für das ganze Land ein Novum gewesen. Normale Investoren würden zu solchen Projekten nicht "ja" sagen, weil sie kaum Rendite brächten.

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Die Buga GmbH bedauert die Entwicklung mit wenigen Worten: "Wir respektieren die Entscheidung der WHS", sagt Geschäftsführer Hanspeter Faas. Dabei hat sich die Buga GmbH, gestützt vom Gemeinderat, selber Fesseln angelegt mit der Regelung im Investorenauswahlverfahren, dass Projekte, die sich nicht verwirklichen lassen, ersatzlos bleiben sollen. Bei dem Filetgrundstück, auf dem das 22 Meter hohe Holzhybridhaus das Ausrufezeichen für das ganze Quartier setzen sollte, geht das nicht. Es gibt eine Einigung mit Wittfoht und Wüstenrot, dass der Entwurf von einem anderen Investor übernommen werden kann. Joachim Kruck, einer der Großinvestoren im Neckarbogen winkt ab, mehr kann und will er nicht stemmen.

Der Heilbronner Architekt Franz Josef Mattes nennt den Wüstenrot-Rückzug bitter, wertet ihn als schlechtes Zeichen. Auch bei seinem innovativen Bauvorhaben ist noch nicht alles in trockenen Tüchern. Für eine Investorengemeinschaft will er die "Grüne Ecke" bauen, mit dem neuen Werkstoff Infraleichtbeton. Dieses Vorzeigehaus für Wohnen und Arbeiten wird das Ende der "fossilen Stadt" vor Augen führen, sagt er. An der Entwicklung von Infraleichtbeton (Mischung aus Zement, Blähtonperlen, Blähglasperlen und Recyclingglasgranulat) arbeitet der Ingenieur Mike Schlaich (Schlaich Bergemann & Partner, Stuttgart und Berlin), Inhaber des Lehrstuhls für Entwerfen und Konstruieren - Massivbau an der TU Berlin. Sein Selbstversuch-Wohnhaus in Berlin-Pankow baute er aus dem neuen Werkstoff und begeisterte damit. Für dessen Verwendung beim Bau von Mehrfamilienhäuern fehlt noch die Zulassung. Sie soll ein Forschungsprojekt von Schlaich und Mattes an der TU erbringen. Das aber könnte die zweite Zitterpartie für den Neckarbogen werden, denn dabei wird nicht nur gegen die Zeit, sondern auch gegen die Bau(rechts)bürokratie gekämpft.

Mattes ist überzeugt, dass mit der Weiterentwicklung dieses, dann in Heilbronn erstmals eingesetzten Baustoffes dank seiner Gestaltungsmöglichkeiten und Eigenschaften der Städtebau in Deutschland ganz neu definiert werden könnte. Mit Ultraleichtbeton wären schon in naher Zukunft Energieeffizienzwerte erreichbar, die eine Heizung unnötig machten. Die Mauern seiner "Grünen Ecke" werden 60 bis 70 Zentimeter dick sein, sagt er, und im Haus werde eine Atmosphäre herrschen wie in einer Kirche. Nicht nur er muss nun beten, dass aus seiner Vision Realität wird, das müssen auch Stadt und Buga GmbH tun, denn so sehr viel weitere richtungsweisende Bauprojekte, die den einst so hohen Anspruch eines zukunftsweisenden Stadtteiles erfüllen, gibt es nicht mehr.

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