Duell um den SPD-Landesvorsitz ist eröffnet
Erstmals stellten sie sich gemeinsam der Basis - "Sie ist impulsiv, er ein Realist" - Kritische Fragen zur Generalsekretärin

Symbolfoto: dpa
Von Sören S. Sgries
Bad Rappenau/Heinsheim. Das kleine Örtchen Heinsheim hat sich rausgeputzt. Ein bisschen zumindest. Hier ein roter Luftballon an einer Laterne, dort ein Ballon an einem Straßenschild, dort noch einer. Quer durch den beschaulichen Ortskern zieht sich die rote Linie. Das Ziel: die Josef-Müller-Halle am Neckarufer. Der Anlass: der Kreisparteitag der SPD Heilbronn-Land.
Normalerweise, das wissen auch die rund 100 Genossinnen und Genossen nur zu gut, würde wohl kaum ein Hahn danach krähen, was hier an langen Tischen bei Bier und Wurstsalat diskutiert wird. Wohnungsnot im Kreis? "Eckpfeiler" für eine gute Gesundheitsversorgung? Lokal wichtig. Doch würde dafür ein halbes Dutzend Journalisten aus dem ganzen Land in den Kraichgau kommen? Würde vor der Sporthalle ein TV-Übertragungswagen parken? Wohl kaum.
Hintergrund
Fahrplan bis zur Vorstandswahl
Zwischen dem 1. und dem 19. November befragt die SPD ihre Mitglieder schriftlich dazu, ob sie lieber Amtsinhaberin Leni Breymaier oder Herausforderer Lars Castellucci an der Spitze der Landespartei sähen. Vorher stellen
Fahrplan bis zur Vorstandswahl
Zwischen dem 1. und dem 19. November befragt die SPD ihre Mitglieder schriftlich dazu, ob sie lieber Amtsinhaberin Leni Breymaier oder Herausforderer Lars Castellucci an der Spitze der Landespartei sähen. Vorher stellen sich beide auf einigen Kreisparteitagen und in vier Regionalkonferenzen vor: in Linkenheim-Hochstetten und Leinfelden-Echterdingen am 27. Oktober und in Waldkirch und Ulm am 10. November.
Das Ergebnis der Befragung ist gültig, wenn sich 20 Prozent der rund 36.400 Mitglieder beteiligt haben. Das Ergebnis ist allerdings nicht bindend. Die letzte Entscheidung hat der Landesparteitag der SPD am 24. November in Sindelfingen. Der Generalsekretär und die übrigen Mitglieder des Landesvorstandes werden ebenfalls auf diesem Parteitag gewählt.
Was der SPD an diesem Mittwochabend Aufmerksamkeit beschert, das ist Streit. Personalstreit. Erstmals, seit der Wieslocher Bundestagsabgeordnete Lars Castellucci angekündigt hat, er wolle Parteichef werden, trifft er im "Duell" auf die Amtsinhaberin Leni Breymaier.
Auf 20.23 Uhr stehen die Zeiger der Hallenuhr, als Castellucci auftaucht. Schlanker blauer Anzug. Offenes weißes Hemd. 15 Minuten später kommt, ganz in Schwarz, auch Breymaier ("Bin gerast wie Sau"). Gegenseitige Begrüßung. Offizielles Gruppenfoto vor dem SPD-Banner. Dann geht’s ans Mikrofon.
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Den Auftakt macht Breymaier, gewohnt unkonventionell. "Ich hab daheim in meinem Klo einen Kalender", offenbart die 58-Jährige. Der Rat des Tages darin: "Es ist heute nicht von großem Vorteil, wenn Sie jedem ganz unverblümt erzählen, was Sie denken." Das gibt erste Lacher. Menschlich sein, herzlich sein, das kann sie - das gestehen auch ihre Kritiker ein. Allerdings kann sie ebenso, mit Klartext, Menschen vor den Kopf stoßen.
Die Arbeit an der Spitze der Landespartei laufe nach Plan, erklärt sie. "So, wie wir es uns vorgenommen haben". In verschiedenen Politprojekten gehe man Problemstellen an. Wie gewinnt man Stimmen im "Speckgürtel", da "wo die Leute satt sind, wo es ihnen gut geht"? Wie bleibt man in strukturschwachen Räumen präsent? Breymaiers Überzeugung: Die SPD dürfe kein "Politikdienstleister" sein. "Nicht für die Leute arbeiten, sondern mit den Leuten arbeiten".
Kritisch blickt sie auf sozialpolitische Entscheidungen der letzten Jahrzehnte. "Wir haben den Markenkern der SPD beschädigt", sagt die frühere Gewerkschafterin. "Ich will, dass wir im Vorwärts ein paar Sachen auch korrigieren."

Herausforderer Castellucci hingegen versucht sich als Mutmacher, als Aufrüttler. "Wir haben vielleicht keinen Grund, optimistisch zu sein in diesen Zeiten, aber wir haben die verdammte Pflicht", so der 44-Jährige. "Niemand wählt einen verzagten Haufen." Die Landespartei müsse zu altem Selbstbewusstsein zurückfinden. Früher seien "die guten Ideen aus Baden-Württemberg gekommen und haben der Bundes-SPD geholfen bei den Prozenten", erinnerte er. Man dürfe nicht auf Rückenwind aus Berlin warten.
Dann hat die Basis das Wort. "Ist euch bewusst, dass wir hier im Kreis die Prügel einstecken?", klagt einer. "Ich muss immer Sachen verteidigen, die ich selber nicht so gemacht hätte." Das richtet sich direkt an die beiden Bundestagspolitiker Castellucci und Breymaier. Ein anderer sorgt sich um das ökologische Profil der SPD, die auch darum, so seine Überzeugung, das Land an die Grünen verloren habe. Der nächste sorgt sich um den Altersschnitt der Partei.

Wirklich Zündstoff birgt aber vor allem die Frage nach der Generalsekretärin, die durchaus provokant in Richtung Breymaier gestellt wird. Luisa Boos gehört zum linken Parteiflügel. 2016 hatte sich Breymaier mit ihr "im Doppelpack" wählen lassen. Kritik an der heute 33-jährigen alleinerziehenden Mutter gab es von Anfang an. Unverdient, findet Breymaier. Als "intelligente, junge Frau, die politisch richtig gut ist", lobt sie Boos. Sie wirke in Kreise hinein, die der SPD sonst verschlossen blieben. Und der Wahlsieg des (parteilosen) Freiburger Oberbürgermeisters Martin Horn sei ihr zu verdanken. Boos habe Horn "ausgegraben" und so "einen der Kronprinzen von Winfried Kretschmann abgeschossen".
Castellucci wiederum findet es zwar "ein saublödes Bild", dass jetzt der Anschein entstehe, mit ihm und dem Fraktionsvize Sascha Binder wollten zwei Männer das Frauen-Duo stürzen. "Mich schmerzt das." Boos sieht er aber kritisch - das wird spätestens deutlich, als er Pläne schmiedet, was sich mit dem Gehalt der derzeit hauptamtlich bezahlten Generalsekretärin so alles anfangen ließe.
Doch auch wenn Breymaier zu Boos steht ("Meine Unterstützung hat sie!"): Ihre eigene Zukunft knüpft sie nicht mehr an die der "Generalin". Die Situation sei eine andere als 2016, als noch vor ihrem eigenen Amtsantritt ihre Autorität in Frage gestellt wurde, gibt sie zu verstehen.
Fast zwei Stunden lang wird auf offner Bühne gerungen. Und auch anschließend bleiben beide Kandidaten noch eine ganze Weile in der Sporthalle, diskutieren im Einzelgespräch weiter.
Das Urteil am Ende? "Er war konzentrierter, sie engagierter", findet eine ältere Genossin. "Sie ist impulsiv, er ein Realist", meint ihr Sitznachbar. Nur was besser für die Partei ist - da unterscheiden sich die Einschätzungen je nachdem, wen man fragt. Im Kreisverband herrsche eine "50:50-Stimmung", hieß es schon vor Veranstaltungsbeginn. Das scheint sich zu bestätigen. Auch der Sinn der Gegenkandidatur wird durchaus unterschiedlich bewertet. "Nicht schon wieder eine Personaldiskussion", klagen einige. "Gut, dass es eine Wahl gibt", andere. Ein Ergebnis des Mitgliederentscheids wagt keiner vorauszusagen.