The Länd landet in London
Es war der erste Besuch einer deutschen Delegation nach der Pandemie: Im Fokus stand die Digitalisierung in der Gesundheitswirtschaft.

Von Theo Westermann, RNZ Stuttgart
London. Baden-Württemberg hat die Nase vorn in Großbritannien. Dieses Lob kommt aus berufenem Mund, nämlich dem Botschafter Deutschlands in Großbritannien, Andreas Michaelis. "Sie sind nach der Pandemie die erste große Reise einer deutschen Delegation zu bilateralen Gesprächen", sagt Michaelis am Montag in London zu der 40-köpfigen Politik-, Wirtschafts- und Wissenschaftsdelegation aus Baden-Württemberg.
Dass das Land nun ein eigenes Büro in der britischen Hauptstadt aufmacht, nennt Michaelis "wichtig". Das sei auch ein bisschen "das Schwimmen gegen den Strom". Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ergänzt: "Die Pflege guter Beziehungen ist nach dem Brexit noch wichtiger als zuvor." Mit der Eröffnung des Büros setze man ein "klares Zeichen". Bei einem Empfang am Montagabend wurde das Büro offiziell vorgestellt.
London gilt als einer der stärksten Wirtschaftsräume der Welt. Nach einer jüngsten Studie ist der Großraum der beste Ort außerhalb von Silicon Valley, um ein Technologieunternehmen zu gründen. Die Möglichkeiten für Unternehmensgründer im Tech-Bereich, an Kapital zu kommen, sind ausgezeichnet. In London und im nahen Oxford gibt es weltweit führende Hochschulen mit starker Ausrichtung auf Medizin und Digitalisierung, auf Medizintechnik oder Biotechnologie.
Darauf ist auch die Delegation aus dem deutschen Südwesten ausgerichtet: Das Land will mit einem Ausschnitt seiner Stärken punkten. Und das ist die in Baden-Württemberg massiv geförderte Künstliche Intelligenz mit dem Schwerpunkt Digitalisierung im Gesundheitswesen. Mitgereist sind Vertreter medizinnaher High-Tech-Firmen, universitärer oder universitätsnaher Forschungseinrichtungen, aber auch Chefärzte oder ärztliche Direktoren großer Krankenhäuser oder Universitätskliniken. Sie besuchen Hochschulen und Start-ups in London. Zwei Repräsentanten des 2016 begründeten Mannheimer Start-ups Vibrosonic gehören ebenfalls zur Delegation.
Auch interessant
Das Unternehmen hat eine "Hörkontaktlinse" entwickelt, die unauffällig ist und die Scheu Betroffener vor einem Hörgerät senken soll. "Großbritannien ist ein hochinteressanter Markt für uns. Es gibt eine hohe Versorgungsquote an Hörgeräten", sagt Martin Theuring von Vibrosonic. "Wir wollen mögliche Kooperationen ausloten". Man habe bereits einen Partner vor Ort gefunden, das eigene Landesbüro sei wegen der Herausforderungen des Brexits sehr hilfreich.
Ulrich Hoppe, Geschäftsführer der Britisch-Deutschen Handelskammer, verweist auf 66 Millionen Menschen in Großbritannien. "Das ist ein erfolgsversprechender Markt für Deutschland." Mark Lehnfeld betont für die Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Bundes: "Großbritannien ist die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt und sie wird weiter wachsen". So plane die britische Regierung Milliardeninvestitionen für den Bau von 40 neuen großen Kliniken.
Am Nachmittag reist die Delegation nach Oxford. Dort empfängt David Clifton vom Reuben College, eine Koryphäe im Bereich Künstliche Intelligenz in der Medizin. Er gibt ein kurzes Update zum Stand der Forschung, die stark auf das Sammeln und Auswerten von Daten ausgerichtet ist. Kretschmann will wissen, wie seine Erkenntnisse in politisches Handeln umgesetzt werden. "Über die Berater der Regierung", sagt Clifton. Kurz danach erwarten rund 200 Studenten, Mitglieder der deutschen Studentencommunity in Oxford, im traditionsreichen Pembroke College neugierig den Ministerpräsidenten. Er spricht über sein Leib- und Magenthema, die wirtschaftlichen Herausforderungen des Klimawandels.
Das Treffen mit den deutschen Studenten spiegelt ein Problem wider: Der mit dem Brexit einhergehende Austritt Großbritanniens aus dem Austauschprogramm Erasmus macht Baden-Württembergs Hochschulen Sorgen. Der Studentenaustausch ist massiv erschwert, für Praktika sind komplexe und teure Arbeitsvisa nötig. Großbritannien setzt auf einzelne Vereinbarungen und blickt mehr nach Asien. Eine Studentin klagt: "Seit dem Austritt aus der EU haben sich die Studiengebühren hier verdreifacht".



