Kampagne soll verschwenderischen Verbrauch von Lebensmitteln stoppen
Südwesten steht besonders schlecht da - Aktionswoche "Lebensmittelretter - neue Helden braucht das Land"

Zu schlecht für die Tonne: Die Supermärkte vermarkten auch ganz gezielt Lebensmittel "mit Schönheitsfehlern". Foto: Kaufland
Von Jens Schmitz, RNZ Stuttgart
Stuttgart. "Erstes Foodsharing-Café Deutschlands" nennt sich das Stuttgarter Café "Raupe Immersatt" am Hölderlin-Platz. Zwischen weiß getünchten Wänden, abgenutzten Holzmöbeln und einigen kleinen Pflanzen können hier Menschen aller Einkommensschichten kostenlos zugreifen. Für Getränke ist der Preis jedem selbst überlassen. Das Angebot stammt aus Überschüssen in mehr als 80 Betrieben der Stadt: Ehrenamtliche holen sie ab, prüfen die Beute nach Vorschrift und richten sie her.
"Die Gäste dürfen sich an den Tellern bedienen und dürfen sich auch gern Sachen mit nach Hause nehmen, weil das einfach so viele Lebensmittel sind, die sonst in der Tonne landen würden", sagt Simon Kostelecky, der das Projekt dieses Jahr mit eröffnet hat. Am Freitag drängen sich in seinem Lokal hohe Gäste: Ernährungs-Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch (CDU) bittet zur Pressekonferenz mit Vertretern aus Lebensmittelhandel, Wissenschaft, Kirche und dem Hilfsverein Tafel.
Mehr als zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel landen in Deutschland pro Jahr im Müll. Über die Hälfte davon werfen Studien zufolge die Endverbraucher weg. Auf den Einzelhandel dagegen, das betonen die Branchenvertreter, entfallen nur vier Prozent.
Sabine Stachorski von Rewe wünscht sich diesbezüglich "ein bisschen Rehabilitation" in der öffentlichen Wahrnehmung. Wirtschaftlichkeit sei im Interesse der Unternehmen, pflichtet Marius Haubich bei, Geschäftsführer des Handelsverbandes Baden-Württemberg.
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Vertreter von Edeka, Kaufland, Lidl, Penny und Rewe berichten von verschiedenen Ansätzen, die Restmengen zu verkleinern: von ausgeklügelter Logistik beim Einkauf und internen Börsen zwischen Filialen über die Möglichkeit für Kunden, eigene Behältnisse mitzubringen, bis zu gezielten Angeboten mit "Schönheitsfehlern" bei Obst und Gemüse. "Die etwas Anderen" oder "krumme Dinger" heißen die entsprechenden Kampagnen dann beispielsweise.
Und: Die Kooperation mit Tafel-Läden sei schon lange normal, lobt deren Landes-Vorstandsmitglied Udo Engelhardt. Mehrere Ketten wollen nun auch mit der App "Too good to go" (zu gut für den Müll) zusammenarbeiten. Dabei können Lebensmittelbetriebe Kunden kurzfristig überschüssige Ware zum reduzierten Preis anbieten.
Gesetzliche Verpflichtungen wie in Frankreich, die inzwischen auch im Bundesrat diskutiert werden, hält Gurr-Hirsch für wenig effizient: "Dieses Wegwerfverbot, das brauchen wir nicht. Unsere Akteure sind schon sehr bewusst unterwegs." Bewusstsein schaffen soll die neue Kampagne deshalb nun dort, wo am meisten Lebensmittel im Abfall landen: beim Endverbraucher.
Mit der Aktionswoche "Lebensmittelretter - neue Helden braucht das Land" nehme das Land bundesweit eine Vorreiterrolle ein, sagt Gurr-Hirsch. Der Vorstoß ist offenbar nötig: Beate Scheubrein, an der Dualen Hochschule Heilbronn als Professorin im Bereich Handel tätig, erklärt, dass Baden-Württemberger deutlich mehr wegwerfen als Menschen in anderen Bundesländern: "Uns geht’s zu gut." Studien hätten gezeigt, dass es besonders wichtig sei, unter 30-Jährige zu erreichen.
Die Aktionswoche soll nicht moralinsauer daherkommen, sondern Wertschätzung für Lebensmittel befördern. Dazu gehören Informationen zur Einkaufsplanung, über richtige Lagerung, den Umgang mit der Mindesthaltbarkeit oder Rezepte zur Resteverwertung. Vom 7. bis 13. Oktober planen die teilnehmenden Handelspartner unter anderem Plakate, Infostände und persönliche Beratungen in ihren Märkten.
Landes-Agrarminister Peter Hauk (CDU) hatte bereits im Vorfeld die Legalisierung des "Containerns", also des Einsammelns von Abfällen aus Behältern des Handels, für unnötig erklärt. "Das Hauptproblem ist die Verschwendung im eigenen Kühlschrank", sagte er.
Info: Weitere Informationen: www.lebensmittelretter-bw.de