Mauern, Wachmannschaften und Stacheldraht
Längeres Provisorium für den Atommüll - Befristetes Depot kann wohl nicht planmäßig 2046 geräumt werden

Das bislang fünfte mit radioaktivem Müll beladene Lastschiff erreichte am 19. Dezember das Atomkraftwerk in Neckarwestheim, das voraussichtlich noch viele Jahre als Zwischenlager dienen wird. Foto: Christoph Schmidt/dpa
Von Hans Georg Frank
Neckarwestheim. Der Transport von Atommüll nach Neckarwestheim hat in der Gemeinde die Angst verstärkt, dass mehrere Generationen mit den Relikten der Kernenergie leben müssen. Das Zwischenlager für hoch radioaktive Abfälle ist zwar für eine Laufzeit von 40 Jahren genehmigt. Nach 2046 darf demnach in dem Depot unter dem Verwaltungsgebäude des Nuklearkomplexes keiner der voraussichtlich 140 Castoren mehr stehen. An diesen Zeitplan glaubt jedoch kaum jemand. "Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Zwischenlager bis zum Auslaufen der Betriebsgenehmigungen nicht vollständig geräumt sein werden", erklärte Wolfram König, Präsident des Bundesamts für kerntechnische Entsorgung (BfE).
Ein Endlager ist für ihn alternativlos: "Mauern, Wachmannschaften und Stacheldraht können auf lange Sicht nicht den Schutz gewähren, den ein Endlager in stabilen Gesteinsschichten tief unter der Erde bietet."
Auch Neckarwestheims Bürgermeister Jochen Winkler rechnet nicht mit einem zeitgerechten Ortswechsel. Die relativ guten Bedingungen in dem Gestein könnten zur Verlängerung der Interimslösung beitragen: "Solange nichts passiert, stehen die Castoren gut hier." Deshalb bestehe die Gefahr, dass die versprochene Beseitigung "auf die lange Bank geschoben wird".
Ursprünglich war das Provisorium in Neckarwestheim nur für ausgemusterte Brennelemente aus den eigenen Reaktoren vorgesehen. Nun allerdings dürfen auch die 15 Castoren aus Obrigheim dort geparkt werden, weil wegen des Atomausstiegs nicht so viele Überreste anfallen, wie bei der Berechnung der Kapazität angenommen werden musste. Für Neckarwestheim sind die Container aus Obrigheim möglicherweise nicht die einzigen "Fremdkörper": In Philippsburg, wo ein eigenes Zwischenlager für die beiden Meiler besteht, kam jetzt der Vorschlag auf, fünf Castoren mit Abfällen aus der Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague in den Kreis Heilbronn zu schicken. Eine Informationskommission unter Vorsitz des Karlsruher Landrats Christoph Schnaudigel hörte die Anregung wohl, ging aber nicht darauf ein.
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Schnaudigel kennt Neckarwestheim sehr gut, er war vorher Vize-Landrat in Ludwigsburg. Die Landesregierung hatte Philippsburg für den Fünfer-Pack aus Frankreich favorisiert. Das aus Deutschland stammende Material muss bis 2021 zurückgenommen werden.
Bis 2031 muss ein Standort für ein Endlager gefunden sein, ist in einem für diesen Zweck verabschiedeten Gesetz festgehalten. In mehreren Phasen wird der ideale Platz gesucht, um ab 2050 den Strahlenmüll verbuddeln zu können. Dicht besiedelte Regionen scheiden ebenso aus wie Naturschutzgebiete und Zonen mit vulkanischen oder seismischen Aktivitäten. Auch Kulturdenkmäler sollen verschont werden.
Der Bundestag trifft die Auswahl unter den zwei am besten geeigneten Standorten. Das Bundesverwaltungsgericht (BVG) kann einzelne Schritte, aber auch die finale Abstimmung überprüfen. "Erst, wenn das BVG geurteilt hat, kann mit dem jeweils folgenden Verfahrensschritt weitergemacht werden", sagte BfE-Sprecher Andreas Hinz.
Die 15 AKW-Standorte, die in der Arbeitsgemeinschaft "Asketa" organisiert sind, wollen "ihren" gefährlichen Abfall schon vor der Fertigstellung des Endlagers loswerden. "Wir fordern ein zentrales Pufferlager an dem Standort, wo die Castoren endlagerfähig gemacht werden können", sagte Bürgermeister Winkler. Dies soll "parallel zu den Bauarbeiten" geschehen.
Die Kosten für das Endlager muss der Bund übernehmen, nachdem sich die Energieversorger mit 24 Milliarden Euro von dieser Aufgabe "freigekauft" haben. Das BfE geht davon aus, dass ein sicherer Raum geschaffen werden muss für 1900 Behälter. Damit könnte ein Güterzug von elf Kilometern Länge beladen werden. Bislang gibt es nur in einem Land eine Entscheidung. Finnland hat am 12. November 2015 das Projekt Onkalo ("Höhle") beschlossen. Damit kann der gefährliche Müll 400 bis 450 Meter tief in den Granit der Ostsee-Insel Olkilouto gebracht werden - für 100.000 Jahre.
In Deutschland wird "bestmögliche Sicherheit für den dauerhaften Schutz von Mensch und Umwelt vor ionisierender Strahlung und sonstigen schädlichen Wirkungen" für eine Million Jahre verlangt, steht in Paragraf 1 des Gesetzes. "Die Zeiträume, in denen ein Endlager bestehen muss", schreibt das BfE in einer Broschüre, "liegen außerhalb der menschlichen Vorstellungskraft."