Heidelberg

Geistesgrößen hielten Symposium zu Ehren von Paul Kirchhof ab

"Blasen Sie die Posaune!". Der Geehrte stachelte ihren Kampfgeist an.

31.10.2023 UPDATE: 31.10.2023 06:00 Uhr 2 Minuten, 35 Sekunden
Auch mit 80 Jahren weiterhin ein Streiter für Gerechtigkeit: Paul Kirchhof am Freitag in der Alten Aula der Universität. Foto: Joe

Von Klaus Welzel

Heidelberg. Die Alte Aula der Heidelberger Rupert Carola wird gemeinhin als "Herzkammer der Universität" bezeichnet. Am vergangenen Freitag schlug dieses Herz besonders laut- und kräftig. Der Tag wurde zu einem Fest des Wortes. Anlass für ein umfangreiches Symposium – "Neue Impulse für Staat und Steuern" – war der 80. Geburtstag von Paul Kirchhof, Heidelbergs nicht nur berühmtestem, sondern, wie zahlreiche Redner betonten, vermutlich auch größtem Professor. Die Geistesgrößen der Republik aus den Bereichen Justiz, Verwaltung und Finanzwesen waren, diskutierten, konkurrierten und wahrten dabei einen freundschaftlichen, fast schon lockeren Ton.

Darunter der immer unterhaltsame Udo di Fabio, Kirchhofs Nachfolger als Richter am Bundesverfassungsgericht. Dann natürlich Stephan Harbarth – wie di Fabio ein Kirchhof-Schüler – und heute, wie sein Vorbild, Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Jochen Frowein war da, langjähriger Direktor des Max-Planck-Institut für Völkerrecht, sein Nachfolger Armin von Bogdandy, die früheren Rektoren Bernhard Eitel, Peter Hommelhoff und Gisbert zu Putlitz, natürlich die aktuelle Rektorin Frauke Melchior; dann der Staatsrechtler und Inhaber des Gustav-Radbruch-Lehrstuhls Martin Borowski, der Mannheimer "Steuerfuchs" Christoph Spengel sowie 200 weitere Koryphäen auf ihrem Gebiet.

Peter Axer, Dekan der Juristischen Fakultät, durfte sie alle begrüßen. Axer erinnerte daran, dass die Berufung Kirchhofs schon 1981 als "Glücksfall" galt. Doch dass er dieser Ausnahmejurist werden würde, dachten damals vermutlich die Wenigsten. Der 38-Jährige wurde von Münster an den Neckar gelockt, wo er, so Axer, "sprachgewaltig", "wirkmächtig und einflussreich", "zugewandt und zugeneigt" (eine der zahllosen Anspielungen an diesem Tag auf Kirchhofs stattliche Größe), "charismatisch", "herzlich" und "offen" den lebendigen Geist dieser Universität prägen würde. Insgesamt 47 Jahre gehört ihr der Professor distinctus, also Professor auf Lebenszeit – als einer von lediglich sieben – bis heute an. Eine Dekade.

Der unermüdliche Verfechter der "Freiheit des Einzelnen in sozialer Verantwortung" hat in seiner Zeit in Heidelberg unglaublich viele Talente gefördert, ihnen Chancen eröffnet, Wege aufgezeigt. Hat fakultätsübergreifende Brücken gebaut, ein komplettes Steuergesetzbuch erarbeitet, Grundsatzurteile beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe als Berichterstatter geschrieben und sich der steten Neugierde verschrieben. Wissenschaftlich fuhr er eine reiche Ernte ein. So hielten am Freitag vier seiner ehemaligen Schüler Impulsreferate, über die die versammelte Professorenschaft dann vom frühen Morgen bis zum späten Nachmittag diskutierte.

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Der Völkerrechtler Christian Walter aus München lotete den Geltungsbereich des Grundgesetzes aus. Ging der Frage nach, ob hiesiges Recht auch exterritorial angewendet werden darf und soll. Beim Lieferkettenschutzgesetz ist das der Fall, wenn deutsche Unternehmen verpflichtet werden, ihren Lieferanten in Bangladesch und anderswo auf die Finger zu schauen, damit die in Deutschland vorgeschriebenen sozialen Mindeststandards berücksichtigt werden.

Die "exterritoriale Verpflichtung" ergebe sich, weil eine "Untätigkeit des Gesetzgebers als Pflichtverletzung" interpretiert werden könnte, so Walter. Was Skeptiker salopp als "Gutmenschentum" verspotten, ist hier – bei zeitgemäßer, moderner Interpretation – also eine Pflichterfüllung im Sinne der Verfassung. Doch die kennt ihre Grenzen. Auf die Frage von Ulrich Palm von der Universität Hohenheim, ob die im Grundgesetz ganz oben verankerte Menschenwürde "also weltweit" gelte, räumte Walter ein: im Prinzip ja, aber de facto stehe man vor einer "tatsächlichen Unmöglichkeit", diese auch weltweit zu garantieren. Dennoch sei der Staat geradezu verpflichtet, innerhalb seiner Grenzen diesen Verfassungsauftrag zu erfüllen.

Allerdings enge allzu viel richterliche Interpretation die "demokratische Gestaltungsfreiheit" des Gesetzgebers ein, mahnte Udo di Fabio. Ob nicht eine Hierarchie entworfen werden müsse – dergestalt, dass die aus der Verfassung interpretierbaren Staatsziele, sich diesem Willen des Gesetzgebers unterordnen ließen. "Impulsgeber" Walter plädierte für "Orientierung": Der Verfassungsauftrag sei vorhanden. Aber die Ausgestaltung der Gemeinwohlbelange liege durchaus bei den Abgeordneten.

Es war dann der Geehrte, der etwas Salz in die Suppe der Harmonie streute. Am Beispiel der Europäischen Union erläuterte Kirchhof, dass – anders als in Demokratien üblich – hier "das Staatsvolk nicht mit Mehrheit" entscheide. Vielmehr handle es sich um eine "organisierte Minderheit", die im Europäischen Rat ihre Mehrheiten suche und somit Partikularinteressen durchsetze.

Nicht besser verhalte es sich im Bundesrat beim Thema Länderfinanzausgleich, der "völlig am Bundestag vorbei" ausgehandelt würde. "Blasen Sie die Posaune", forderte er unter freundlichem Gelächter die versammelte Gelehrtenschaft auf. Die werden das ganz sicher tun. Alleine schon, um ihr Vorbild nicht zu enttäuschen.

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