Wohin steuert die Universität Heidelberg?
Bei der Jahresfeier der Ruperto Carola in der Neuen Aula kritisiert Rektor Bernhard Eitel die Wissenschaftspolitik des Landes. Hauptredner war Paul Kirchhof.

Von Heribert Vogt
Heidelberg. So viel Übergang wie jetzt gab es an der Universität Heidelberg schon lange nicht mehr. Wahrscheinlich war dies zuletzt vor 15 Jahren der Fall, als die Hochschule 2007 den Exzellenzstatus erlangte – und Bernhard Eitel kurz zuvor Rektor geworden war. Nun wird Eitel zusammen mit seinen Prorektoren in gut elf Monaten aus dem Amt scheiden. Und damit stellen sich viele Fragen. Wohin steuert die Ruperto Carola? Wird eine Frau oder ein Mann künftig ihre Geschicke lenken? Wie wird sich die Universität in den großen Debatten unserer Zeit positionieren? Werden die Geisteswissenschaften wieder sichtbarer? Wird die Universität in der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder weiterhin erfolgreich sein oder andere Schwerpunkte setzen (müssen)? Für solche Überlegungen öffnet sich nun ein ganz weites Feld.
Bei der Jahresfeier der Universität zu ihrem 636. Jahrestag in der gut besuchten Neuen Aula sagte Eitel: "Ich habe mich dafür entschieden, mein Amt zur Verfügung zu stellen, um zu ermöglichen, bereits jetzt einen neuen Kopf zu finden, der die Universität in die kommenden Jahre führen kann. Dies ist jetzt notwendig, weil der Exzellenzwettbewerb gegen Ende des Jahres wieder in seine heiße Phase einmündet." Die Deutsche Forschungsgemeinschaft rechnet mit 250 Neuanträgen, von denen nur zehn Prozent bewilligt werden können. "Das wird hart, und nur die Besten kommen durch", so der Rektor. Los geht es am 15. Dezember mit der Clusterausschreibung. Die künftige Leitung soll einen "Universitätsbetrieb ohne Bruch mit neuem Elan übernehmen können".
In Bezug auf die aktuellen Debatten äußerte Eitel: "Ich halte im Grunde wenig von dem Begriff ‚Diversity‘. Er ist nicht eins zu eins in die akademische Welt zu übersetzen. Vielfalt über Generationen hinweg, über Herkünfte, Geschlecht, soziale oder ethnische Zugehörigkeit, Internationalität: Vielfalt im Akademischen ist Teil der Comprehensiveness. Als Comprehensive Research University (etwa: Umfassende Forschungsuniversität; Anm. d. Red.) definieren wir uns." Und: "Ich halte nichts von Quoren, um Wissenschaft zu betreiben. Solche, manchmal direkten, zuweilen auch informellen Vorgaben kollidieren mit der Verfassung Art. 5 III. Wissenschaft, auch ‚wie‘ sie betrieben wird, ist frei, ist die geschützte Entscheidung der Forschenden!" Derzeit sieht der Rektor in der Universität "keine Verzagtheit, sondern Aufbruch". Auch der internationale Austausch nehme "wieder Fahrt auf".
Konkret forderte Eitel, "dass die Politik die Unterschiede zwischen Hochschulen und Forschungsuniversitäten zur Kenntnis nimmt und Konsequenzen daraus zieht". Explizit kritisierte er die vormalige Wissenschaftsministerin Theresia Bauer: "Die Tatsache, dass Frau Bauer in einer ihrer letzten Amtshandlungen den Hochschulen für Angewandte Wissenschaften Baden-Württembergs noch das Promotionsrecht nachgeworfen hat, grenzt an politischen Opportunismus und ist ein weiterer Schritt fiktiver Gleichmacherei."
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Im Hinblick auf den Innovationscampus Heidelberg-Mannheim bleibt die Zusammenführung der beiden Universitätsklinika eine Herausforderung, die "nun endlich zügig vom Ministerpräsidenten entschieden werden" müsse. Der scheidende Rektor: "Die lebenswissenschaftliche Allianz, zusammengeführte Klinika mit einer fusionierten medizinischen Fakultät, zusammen wird das der herausragende effiziente Motor, der eine neue Leitindustrie in Baden-Württemberg neben den etablierten Branchen schafft." Eitels Fazit lautete: "Corona, Energiekosten, Betroffene von Ukrainekrieg, Brexit, Iran und China – die Wissenschaft wird von alledem getroffen. Aber die Universität Heidelberg findet ihren Kurs, sie hält Kurs."
Das Wissenschaftsgespräch zum Thema "Wissenschaft – Freiheit – Verantwortung" führte FAZ-Redakteurin Heike Schmoll mit dem Heidelberger Rechtswissenschaftler Paul Kirchhof. Angesprochen auf den "Gender-Wahn", unterstrich er die elementare Freiheit zu denken: "Ich kann nur denken in meiner Sprache." Und: "Ich verwende die Sprache so, wie sie mir gegeben ist." Auch das "Thema meiner wissenschaftlichen Rede" will Kirchhof selbst bestimmen: "Wenn uns das genommen wird, dann geht es nicht um eine Stilfrage, sondern es geht um den Kern, dass jeder sein Thema, seine Äußerungsformen … selbst bestimmt." Und hinsichtlich der einschränkenden Cancel Culture trat der "Seniorprofessor distinctus" grundsätzlich für friedliche "Rede und Gegenrede" in der Universität ein.
Bei der Jahresfeier wurden drei neue Ehrensenatoren ernannt. Zu ihnen zählt Bettina Hornbach, die Geschäftsführerin des Seminarhotels Kurhaus Trifels in Annweiler, einer wissenschaftlichen Seminar- und Begegnungsstätte. Hinzu kommen Tilman Krauch (Freudenberg), Vorstandsvorsitzender des Vereins Zukunft Metropolregion Rhein-Neckar, und der Unternehmer Markwart von Pentz (Deere & Company), der sich eingesetzt hat "für die Belange des wissenschaftlichen Nachwuchses" sowie "für die Förderung des interdisziplinären Austauschs zwischen Studierenden, Wirtschaft und Politik". Mit der Verleihung eines Doktorgrades ehrenhalber würdigte der Rektor die renommierte niederländische Wissenschaftlerin Louise Gunning-Schepers, die dem Wissenschaftlichen Beirat der Universität Heidelberg angehört.
Schließlich wurden auch die Klaus-Georg und Sigrid Hengstberger-Preise für den wissenschaftlichen Nachwuchs verliehen. Die drei mit jeweils 12.500 Euro dotierten Auszeichnungen gingen an Elisa Fresta und Yan Huang vom Physikalisch-Chemischen Institut, an Andreas Sander vom Astronomischen Rechen-Institut sowie an Philipp Uhl und Florian Umstätter, die in der Radiopharmazeutischen Chemie am Universitätsklinikum Heidelberg tätig sind. Die Preisträger erhalten die Möglichkeit, ein eigenes Symposium am Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg durchzuführen.
Musikalisch umrahmt wurde die Jahresfeier von der "Capella Carolina" unter der Leitung von Franz Wassermann. Drei Ensembles des Collegium Musicum spielten unter der Leitung von Universitätsmusikdirektor Michael Sekulla, der sich zum Auszug des Rektorats am Ende selbst an den Flügel setzte.