Paul Kirchhof über Herausforderungen unserer Zeit
Der Jurist erklärt in der Neuen Universität Heidelberg unter anderem, warum Deutschland keinen Einfluss auf die Politik im Ausland hat.

Von Heribert Vogt
Heidelberg. Selbst den großen historischen Imperien bis hin zur heutigen Weltmacht USA ist es nicht gelungen, eine Weltherrschaft zu etablieren. Dies könne auch allenfalls ein Diktator erreichen, der keinerlei Widerspruch duldet. So äußerte sich der renommierte Heidelberger Rechtswissenschaftler Paul Kirchhof in der Neuen Universität mit Blick auf große juristische Herausforderungen unserer Zeit – wie die Corona-Pandemie, die Staatsverschuldung, die Menschenrechte oder auch den Krieg in der Ukraine.
In der Reihe von Dieter Borchmeyers "Vorträgen zur Kulturtheorie" verwies Kirchhof im – angesichts der Hitze sehr gut besuchten – Hörsaal 14 jedoch auf die weltumspannende Dimension des Rechts. Sie findet Ausdruck in den Vereinten Nationen oder der weitreichenden Menschenrechtserklärung: "ein schönes Konzept, das jedoch wackelt". So scheitert die Welthandelsordnung häufig an den politischen Blöcken.
"Aber die Wurzel des Rechts ist der einzelne Staat", so Kirchhof. Damit haben Menschen von sich aus eine Kulturgemeinschaft gebildet, diese zum Staatsvolk erklärt, in dem sie ihre Angelegenheiten regeln. Deshalb haben die Deutschen auch keinen Einfluss auf die Politik in der Ukraine oder in Russland. Und: "Die sozialen Probleme in einigen Staaten der USA ähneln inzwischen den Staaten Afrikas." Angesichts der dortigen Spaltungen könne unser Vielparteiensystem den Menschen mit ihren unterschiedlichen politischen Vorstellungen eher eine Heimat bieten. Auch die Regionalität der Demokratie sei wichtig: Etwa der Umstand, dass Baden-Württemberg "mit Abstand die besten Universitäten" hat, sei in der Bundesstaatlichkeit begründet.
Mit Bezug auf die Steuerung der Pandemie hieß es: "Dies ist meines Erachtens in Deutschland ganz gut gelungen. Wir haben die Wissenschaftler zu Wort kommen lassen. Und in der Kontroverse konnte sich der Bürger seine Meinung bilden." Ein Medikament würde alles verändern: Dafür baut das Unternehmen Pfizer bei Freiburg eine Fabrik. Der Biontech-Impfstoff zeige die Tüchtigkeit hierzulande wie der Universitäten. Aber da wir auch auf die Welt angewiesen sind, müssen wir "unsere Konzeption zum Exportschlager" machen.
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Beim Klimaschutz ist ebenfalls ein Konzept für den Globus nötig, jedoch zugleich ein Klimaschutzgesetz in Deutschland. Hier stammt die Energie nun oftmals aus umweltschädlich produzierenden Ländern. Allerdings sind die ökologisch Handelnden nicht automatisch die Guten. Denn entsprechend verhalten kann sich nur derjenige, der das Verständnis und das Kapital hat, sodass Afrika oder Indien schlechte Karten haben. Kirchhof: "Wir sollten im Selbstbewusstsein einer Kultur- und Wissenschaftsnation sehr bewusst auf den Fortschritt von Wissenschaft und Technik setzen."
Die Digitalisierung bringt zwar gewaltigen Fortschritt: "Aber wir haben uns daran gewöhnt, die Welt nur noch in einem fremdbestimmten Format" zu sehen. Und hinsichtlich der Staatsverschuldung betonte Kirchhof die Aufgabe der Europäischen Zentralbank (EZB), die Kaufkraft des Euro zu erhalten. Ihre derzeitige Politik hilft hoch verschuldeten Staaten, während hierzulande Zukunftsperspektiven verloren gehen – etwa ein Haus in Heidelberg "nicht mehr bezahlbar" ist.
Kirchhof zufolge ist es für die deutsche Demokratie wichtig, dass sich der Gesetzgeber auf Grundsatzfragen konzentriert. Denn dies führt zu mehr Eigenverantwortung der Bürger und größerer Hoffnung der Menschen.