Sperrzeiten in Heidelberg

Alle ärgern sich über den Oberbürgermeister

Würzner hatte Anträge zu Sperrzeiten nicht zugelassen – Entscheidung vertagt – Einziger Beschluss: Außenbewirtschaftung künftig bis Mitternacht

17.05.2018 UPDATE: 18.05.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 48 Sekunden

Bei der gestrigen Sitzung des Gemeinderates kam es zum offenen Schlagabtausch. Foto: Rothe

Von Holger Buchwald

Heidelberg. Die Entscheidung zu den Kneipenöffnungszeiten ist erst einmal vertagt. Gestern kam es allerdings beim Thema "Sperrzeitsatzung für die östliche Altstadt" zu einem offenen Machtkampf zwischen dem Gemeinderat und Oberbürgermeister Eckart Würzner. Das Stadtoberhaupt wollte gleich drei Anträge von Fraktionen nicht zur Abstimmung zulassen. In seinen Augen verstoßen sie gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 10. April und sind damit rechtswidrig. Parteiübergreifend protestierten die Stadträte dagegen.

Nach einer Sitzungsunterbrechung kam es dann doch noch zu einer Einigung: Das Thema wird zurück an den Haupt- und Finanzausschuss verwiesen und in sechs Wochen erneut im Gemeinderat behandelt. Zudem fand ein Antrag der CDU eine Mehrheit: Die Außenbewirtschaftung in Straßencafés wird künftig bis Mitternacht zugelassen. Bislang mussten die Wirte ihre Gäste bereits um 23 Uhr wegschicken.

Hintergrund

Holger Buchwald zum Sperrzeit-Streit

Warum hat Oberbürgermeister Eckart Würzner die Stadträte erst einen Tag vor der Sitzung informiert, dass er ihre Anträge nicht zur Abstimmung zulassen wird? Es fällt schwer zu glauben, dass seine Entscheidung, mit

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Holger Buchwald zum Sperrzeit-Streit

Warum hat Oberbürgermeister Eckart Würzner die Stadträte erst einen Tag vor der Sitzung informiert, dass er ihre Anträge nicht zur Abstimmung zulassen wird? Es fällt schwer zu glauben, dass seine Entscheidung, mit der er praktisch alle Fraktionen vor den Kopf gestoßen hat, einfach nur unüberlegt war. Sie war wohl eher knallhartes Kalkül, um den Gemeinderat dazu zu bewegen, das Thema zu vertagen und dadurch Zeit zu gewinnen.

Nach den Protesten der Studenten und dem eindeutigen Votum des Jugendgemeinderates für liberale Sperrzeiten hat Würzner kalte Füße bekommen. Er musste befürchten, dass doch einer der drei Anträge, die allesamt recht lange Kneipenöffnungszeiten vorschlagen, eine Mehrheit finden könnte. Mit seinem überraschenden Schritt konnte er noch einmal verhindern, dass sich der Gemeinderat eindeutig zum Thema positioniert. Und: Der Oberbürgermeister hat damit dem Verwaltungsgerichtshof den schwarzen Peter zugeschoben.

Eines steht fest: Würzner hat sich erst viel zu spät zu diesem Schritt entschlossen. Er hat den Stadträten die Möglichkeit genommen, andere Lärmschutz-Maßnahmen mit in ihre Anträge aufzunehmen. Vor allem lässt der Oberbürgermeister aber die Betroffenen weiter im Unklaren, wie es nun weitergeht. Und damit trägt er den Sperrzeit-Streit auf dem Rücken der Kneipengänger, Gastronomen und lärmgeplagten Anwohner aus.

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"Normalerweise können Sie frei entscheiden. Ihre Freiheit endet aber da, wo wir per Gutachten nachweisen können, dass ihre Anträge geltendes Recht verletzen", las Würzner zu Beginn der Sitzung den Stadträten die Leviten. Der OB kritisierte damit, dass die FDP Sperrzeiten von 3 Uhr unter der Woche und 5 Uhr am Wochenende vorschlug und auch die Anträge von "Die Linke"/Piraten und der CDU Kneipenöffnungszeiten bis 4 Uhr in den Nächten auf Samstag und Sonntag vorsahen. Damit werde "das berechtigte Anliegen der Anwohner auf Lärmschutz" nicht ausreichend berücksichtigt. Schließlich habe der VGH die bislang geltende Satzung gekippt, wonach die Kneipen werktags außer donnerstags bis 2 Uhr öffnen dürfen und in der Nacht auf Freitag, Samstag und Sonntag sogar bis 4 Uhr. Und zwar mit der Begründung, dass die Lärmrichtwerte so stark überschritten werden, dass die Gesundheit der Anwohner gefährdet werde. Würzner meinte deshalb: "Ob wir wollen oder nicht, wir müssen kürzere Kneipenöffnungszeiten beschließen."

Arnulf Weiler-Lorentz (Bunte Linke), der nach seinen eigenen Worten inhaltlich für den Verwaltungsvorschlag ist und gerne hätte, dass die Gaststätten künftig um 1 Uhr werktags und 3 Uhr am Wochenende schließen müssen, widersprach Würzner als erstes: "Sie müssen über die Anträge abstimmen." Sollte der OB dann der Auffassung sein, dass der Beschluss rechtswidrig sei, müsse er diesen im Nachgang vom Regierungspräsidium überprüfen lassen. "Einen Antrag gar nicht zur Abstimmung zuzulassen, geht nicht", so Weiler-Lorentz.

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"Der Gemeinderat gibt der Verwaltung das Handeln vor, nicht umgekehrt", betonte auch Michael Eckert, FDP-Stadtrat und Vorsitzender des Heidelberger Anwaltsvereins. Der VGH habe in seiner Urteilsbegründung mehrmals betont, dass nur der Gemeinderat eine neue Sperrzeitsatzung beschließen dürfe. Es stehe zwar fest, dass es in der Altstadt nachts zu laut sei. Strengere Sperrzeiten seien aber das falsche Mittel, um die Ruhe der Anwohner zu gewährleisten. Die FDP hatte vorgeschlagen, einen Lärmkümmerer einzusetzen.

Jan Gradel (CDU) ärgerte sich vor allem, dass Würzner die Stadträte nur einen Tag vor der Sitzung über seine Rechtsauffassung informiert hatte. "Wir haben in den Ausschüssen immer wieder nachgefragt, ob aus dem VGH-Urteil konkrete Sperrzeiten abzuleiten sind. Doch wir haben dazu nie eine konkrete Aussage bekommen", so der Fraktionsvorsitzende. Hätte der OB die Stadträte schon früher informiert, hätten sie wahrscheinlich im Hauptausschuss gegen das Urteil der Mannheimer Richter Rechtsmittel eingelegt.

Sahra Mirow (Die Linke), Andreas Grasser (SPD) und Wolfgang Lachenauer ("Heidelberger") pochten alle darauf, dass Würzner die Anträge abstimmen lassen muss. "Der Gemeinderat ist der Souverän", sagte Lachenauer, der selbst Rechtsanwalt ist: "Der Oberbürgermeister hat nur eine Stimme und leitet die Sitzung, er kann nicht dekretieren, worüber wir abstimmen." Rechtsamtsleiter Klaus Mevius sprang hingegen dem OB zur Seite - und zitierte aus einem juristischen Kommentar zur Gemeindeordnung. Demnach habe Würzner die Verpflichtung, Gesetzesverletzungen durch den Gemeinderat zu verhindern.

Am Ende stimmte der Gemeinderat dafür, den Tagesordnungspunkt zu vertagen. Nur die "Bunte Linke", "Die Linke" und GAL-Stadtrat Michael Pfeiffer waren dagegen. Weil das VGH-Urteil inzwischen rechtskräftig ist, gilt in der Kernaltstadt damit ab sofort wieder die Landesregelung, wonach die Gastronomen ihre Gäste werktags bis 3 Uhr und am Wochenende bis 5 Uhr bewirten dürfen. Wolfgang Lachenauer ("Heidelberger) warnte aber die Kneipiers. Wenn sie diese Gesetzeslücke ausnützten, werde sich das negativ auf die Sperrzeit-Entscheidung des Gemeinderates auswirken. Bis zum nächsten Hauptausschuss können die Räte nun neue Anträge stellen. Darin wollen sie flankierende Maßnahmen zum Lärmschutz einfließen lassen.

Über den CDU-Antrag, die Außenbewirtschaftung künftig bis Mitternacht zuzulassen, wurde kaum diskutiert. Am Ende stimmten nur Judith Marggraf (GAL), Arnulf Weiler-Lorentz und Hilde Stolz (beide Bunte Linke) dagegen. Es gab mehrere Enthaltungen.

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