Von Anica Edinger
Notfall am Hölderlin-Gymnasium: Die Schüler-Theatergruppe sucht dringend noch Männer, die in Aristophanes’ "Lysistrata" mitspielen. Ein Aushang lässt die Lehrer der Schule in der Altstadt aufhorchen. Tatsächlich melden sich nicht zwei, nicht drei - sondern gleich elf Lehrer, die Theater spielen wollen. Also werden sie engagiert. Es ist der Herbst 1991, die Lehrer geben den "Chor der alten Männer", Schülerinnen spielen die athenischen Frauen. 14 Mal wird "Lysistrata" am Hölderlin-Gymnasium aufgeführt - jedes Mal restlos ausverkauft. Zuschauer geben ihre Eintrittskarten durchs Fenster an Wartende, die so auch noch einen Platz ergattern wollen. Schüler und Lehrer landen einen riesigen Erfolg - und der sollte Folgen haben. Denn: "Das war die Initialzündung", erinnert sich Wolfgang Mettenberger.
Denn die Lehrer des Hölderlin-Gymnasiums hatte nun das Theaterfieber gepackt. Und so wurde 1994 die Gruppe "Die Irren vom Hölderlin" gegründet - ein Ensemble ausschließlich mit Lehrern besetzt und unter der Regie von Wolfgang Mettenberger. Ihr erstes Stück, "Die Irre von Chaillot", war nicht nur namensgebend für die Gruppe, sondern auch ein durchschlagender Erfolg - bei Schülern wie Lehrern. Heute, zehn Produktionen und über zwei Jahrzehnte später, fällt der letzte Vorhang für die "Irren". Denn es ist an der Zeit, Abschied zu nehmen. "Kräftemäßig geht es bei manchen einfach nicht mehr", berichtet Martin Kölle. Und ergänzt: "Diese Entscheidung löst nun in uns allen Wehmut aus." Auch für Wolfgang Mettenberger bedeutet das Aus der Gruppe eine Zäsur, die schmerzhaft ist: "Der Gedanke daran löst in mir schlimme Gefühle aus."
Mit vier "Irren" der ersten Stunde - alle sind mittlerweile Rentner - kommt der Regisseur zum Abschiedsgespräch zur RNZ. Für sie alle hat er eine liebevolle Beschreibung parat: Gunthild Schuler ist seine Regieassistentin, seit 21 Jahren "sorgt sie etwa für die Requisiten und Kostüme", meint Mettenberger, und sei auch sonst quasi das Mädchen für alles. Martin Kölle ist "die Seele der ganzen Truppe", sagt der Regisseur, "und ein sehr beherzter Schauspieler". Auch Dieter Strommenger kommt zum Gespräch - er ist so etwas wie der "Irren"-Ingenieur. "Er hat schon so alles Mögliche für die Bühne konstruiert", sagt Mettenberger - und Kölle geht sogar noch weiter: "Er ist ein zweiter Leonardo Da Vinci." Dann wäre da noch Burkhard Meißner, nicht nur Ehemann der SPD-Stadträtin Monika Meißner, sondern auch "der mit der mächtigen Stimme, der es immer schafft, die Zuschauer zur Ruhe zu bringen", so Mettenberger.
Und der Regisseur selbst? "Er ist ein Menschenfänger", sagt Gunthild Schuler. Kein Referendar sei vor ihm sicher gewesen. Zwischen 70 und 80 Mitwirkende kamen so in all den Jahren zusammen. Alle zwei Jahre stellten die "Irren" ein Stück auf die Beine. Und jeder Spieler bekam von Mettenberger die gleiche Aufmerksamkeit. "Er arbeitet mit allen an ihren Rollen, sodass man sich in sie verwandelt", berichtet Kölle. "Da kommt dann etwas aus einem heraus, dass man vorher gar nicht kannte." Und Mettenberger - der selbst einst Schauspielunterricht nahm und in seiner Rolle als Theaterlehrer vom Hölderlin-Gymnasium immer gefördert wurde - hat eine ganz eigene Herangehensweise für die Regiearbeit: "Zunächst einmal wird bei mir ohne Text geprobt. Über das Spiel werden die Schauspieler näher an den Text gebracht, den sie über den Körper erfahren sollen." Natürlich habe Mettenberger dabei manchmal auch streng sein können - vor allem, wenn kurz vor den Premieren die Nerven bei allen blank lagen. Drei bis vier Mal pro Woche wurde kurz vor der Premiere geprobt - einzeln, in kleinen Gruppen oder gemeinsam mit dem ganzen Ensemble. Zwischen vier und fünf Stunden konnte das am Tag schon einmal in Anspruch nehmen. "Das waren schon harte Wochen", meint Kölle. Insgesamt gut 200 Probestunden, schätzt Mettenberger, haben die Lehrer jeweils in ihre Stücke investiert - und das neben ihrem normalen Lehrer-Alltag. Die Maxime dabei sei immer gewesen, dass die Arbeit nicht darunter leidet. "Das war schon eine Belastung", berichtet Schuler. Doch all der Aufwand hat sich gelohnt. "Wir sind durch die Theaterarbeit auch als Kollegen noch viel enger zusammengewachsen", sagt Strommenger, "wir sind uns als Brüder und Schwestern begegnet."
Mit einem breiten Lächeln im Gesicht erinnern sich die fünf "Irren" etwa zurück an ihre Zeit in China im Juni 2011, wo sie vor gut 400 chinesischen Schülern und einer Reihe ausgewählter Repräsentanten in Hangzhou im Osten der Volksrepublik den "Besuch der alten Dame" von Friedrich Dürrenmatt spielten. "Wir mussten die Bühne erweitern, da sie zu klein war", erinnert sich Kölle. Nur: Die chinesische Improvisationskunst hielt den "Irren vom Hölderlin" nicht stand - die angebaute Bühne brach an einer Stelle ein. Das Loch konnte zwar wieder geflickt werden - "aber es hemmte schon ein wenig unsere Spielfreude", meint Kölle.
Umso mehr Freude hatten die Lehrer dafür an ihrem Stück "Die 25. Stunde". Dabei haben die "Irren" bewiesen, dass sie nicht nur Klassik können, sondern auch Kabarett. Denn in dem Stück nahmen sich die Lehrer selbst auf den Arm - und kritisierten die vielen Neuerungen im Schulwesen des Jahres 2004, unter anderem die Einführung einer 25. Deputatstunde für Gymnasiallehrer. Besonders für Martin Kölle war dieses Stück ein einschneidendes Erlebnis: "Ich hatte damals einen Vollbart und spielte einen frechen Neuntklässler. Und weil das natürlich nicht so gut passte, habe ich mir den Bart abrasiert. Seitdem habe ich keinen mehr." Und nicht nur äußerlich habe ihn das Theater verändert: "Als Latein- und Griechischlehrer bin ich auch ganz anders an die Texte herangegangen - manches Mal habe er den Schülern eine Textstelle einfach vorgespielt.
Auch für Dieter Strommenger war seine Zeit bei den "Irren" eine "ungeheure Bereicherung". "Im Unterricht haben sich mir ganz neue Möglichkeiten eröffnet, mich auszudrücken", sagt der ehemalige Mathe- und Physiklehrer. Am 10. Februar treffen sich alle "Irren" noch einmal zu einem letzten Fest. Von ihrer Spielstätte am Hölderlin-Gymnasium verabschieden sie sich dann endgültig. "Ein großer Einschnitt", wie Kölle meint, "aber unsere Freundschaften bleiben."