Von Stefan Meyer
Hat jeder Mensch das Zeug zum Schriftsteller? Eine Frage, die Molli Hiesinger entschieden bejahte, als sie 1992 auf der Frankfurter Buchmesse mit Autoren und Verlegern darüber diskutierte. Noch im selben Jahr machte sich die Deutschlehrerin daran, es allen zu beweisen - und erbringt mit dem Erzählwettbewerb an der Julius-Springer-Schule seit 25 Jahren einen eindrucksvollen Beleg für ihre These. Im RNZ-Interview blickt sie auf das erste Vierteljahrhundert ihres Wettbewerbs zurück und erklärt, warum man sich die Jubiläumsveranstaltung am heutigen Dienstag auf gar keinen Fall entgehen lassen sollte.
Ein Streitgespräch auf der Buchmesse war so etwas wie der letzte Anstoß, um an Ihrer Schule einen Erzählwettbewerb zu veranstalten. Wie schwierig war es, diesen Plan in die Tat umzusetzen?
Ich habe an der Julius-Springer-Schule damals mit Herzblut die Buchhändlerklassen unterrichtet, die einen speziellen Literaturkunde-Unterricht hatten. Aber es ist eine kaufmännische Schule, an der die Literatur eigentlich nicht sonderlich geschätzt wurde. Es gab einige Leute, die mir sagten, dass das nicht zur Schule passen würde, dass ausschließlich angehende Buchhändler teilnehmen würden. Oder, dass meine Planungen viel zu schnell gingen. Ich habe aber auch sofort Menschen gefunden, die daran geglaubt und mich unterstützt haben. Wichtig war es mir, dass die Teilnehmer einen Preis dafür bekommen, wenn sie gut sind. Wir haben mit 1000 Mark angefangen, das war damals viel Geld.
Woher stammt Ihre Leidenschaft für Geschichten und Erzählungen?
Ich habe drei Jahre in Triest gelebt und als Literaturredakteurin bei einer Zeitschrift gearbeitet. Ich war fasziniert von der Vielfalt an Geschichten und der Tradition in dieser Grenzregion Europas, am Rande des Balkans, dass sich Menschen zusammensetzen und Geschichten erzählen. Bei uns ist das verschwunden. Man reduziert sich auf Effektivität und aufs Funktionieren im Alltag, Fantasie und Kreativität existieren oft nur als Konsumware. Aber eigentlich kann jeder Geschichten erzählen. Es geht nur irgendwann verloren.
Worin sehen Sie die großen Vorzüge des Schreibens?
Ein Gespräch besteht meistens aus Rede und Gegenrede. Das kann dazu führen, dass man die Lust verliert, weil das Gegenüber widerspricht oder einen unterbricht. Wenn Sie etwas Wichtiges erzählen möchten, ist das Schreiben besser. Man kann ehrlich und ununterbrochen sagen, was man empfindet, kann in andere Rollen schlüpfen oder auch Ängste ausleben, die man mit sich herumträgt.
Ob DAI-Leiter Jakob Köllhofer, die Schriftstellerin Elisabeth Alexander oder der Verleger Manfred Metzner: Schon in der ersten Jury saßen bekannte Vertreter der lokalen Kulturszene. Warum war Ihnen das wichtig?
Ich habe von Anfang an gesagt: Es dürfen auf keinen Fall Lehrer machen, weil sie mit ihrem Lehrerblick auf diese Texte blicken würden. Es sollen Leute machen, die nichts mit der Schule zu tun haben, sich aber professionell mit Literatur beschäftigen, sich mit Literatur auskennen und streng sind. Ich hatte immer eine tolle Jury, sehr kritische und kompetente Leute. Seit einigen Jahren gibt es auch eine Schülerjury, bei der mehrere Klassen alle Texte lesen und dann einen Lieblingstext bestimmen. Die Schüler haben einen ganz anderen Blick darauf und entscheiden sich immer für andere Texte als wir, also für Texte, deren Sprache uns nicht gefallen hat oder die wir zu banal fanden.
Haben sich die Texte der Schüler über die Jahre verändert?
Die sprachliche Gestaltung hat nachgelassen. Die Leute machen es sich einfacher und lassen teilweise nicht einmal mehr eine Rechtschreibprüfung darüber laufen, sodass viele Fehler in den Texten vorkommen. Auf der anderen Seite sind mehr politische Themen dazu gekommen, insbesondere Flüchtlingsthemen. Diese Texte sind aber leider meist kitschig und kaum lesenswert.
Wie haben die Schüler Ihren Wettbewerb angenommen? Hat Ihr Konzept gefruchtet?
Ich habe einen guten Draht zu den jungen Leuten und mich wirklich gefreut, mit ihnen zu arbeiten. Auch heute noch werde ich von ehemaligen Schülern gegrüßt, wenn ich durch die Hauptstraße gehe. Etliche erklären mir, sie hätten nie geschrieben, wenn es diesen Erzählwettbewerb nicht gegeben hätte. Sie haben sich gesagt: Wenn es so etwas gibt und man durch das Schreiben eines Textes sogar Geld verdienen kann, probieren wir es doch einfach mal - und manche haben dann auch gewonnen und sind den Weg des Schreibens weitergegangen - einer ist Schriftsteller geworden.
Einige Ihrer ehemaligen Schüler sehen Sie am Dienstag wieder, beispielsweise den Schriftsteller Thomas Plischke oder den Sänger Frank Ziegler. Worauf dürfen sich die Besucher freuen?
In diesem Jahr unterstützt uns erstmals das Kulturamt. Deshalb kann ich die Preisverleihung etwas aufwendiger gestalten und auch denjenigen, die von ihren Auftritten leben, ein Honorar zahlen. Eine solche Veranstaltung stelle ich mir schon lange vor: ein Netzwerk von aktuellen und ehemaligen Schülern, die zum Teil aus Hamburg, Berlin oder London anreisen und wo es neben Literatur auch Musik und Performance gibt. Im Zentrum stehen aber wirklich die Autoren der Texte. Man lernt sie ein bisschen kennen, sie werden auf der Bühne befragt und stellen ihre Texte vor. Dieses Natürliche, Unverstellte, Unverbrauchte dieser Leute, die eigentlich nichts mit der Literatur- oder Kulturszene zu tun haben, sondern ganz am Anfang stehen - das finde ich so faszinierend. Ich freue mich besonders auf den Heidelberger Rapper Toni L., mit dem ich die Veranstaltung moderieren werde und der auch musikalisch auftreten wird.
Info: Im DAI, Sofienstraße 12, findet am heutigen Dienstag ab 16 Uhr das große Jubiläumsfest zum 25. Erzählwettbewerb statt. Der Eintritt ist frei.