Jahresfeier der Heidelberger Akademie der Wissenschaften

Zwischen Stockholm und Kathmandu - Chemie-Nobelpreisträger Stefan W. Hell hielt die Festrede

31.05.2015 UPDATE: 01.06.2015 06:00 Uhr 2 Minuten, 49 Sekunden

Heidelberger Trio mit Nobelpreisträger: Der neue Akademiepräsident Thomas W. Holstein (links) und sein Amtsvorgänger Paul Kirchhof (rechts) nehmen den Festredner und Chemie-Nobelpreisträger Stefan W. Hell in die Mitte. Foto: Philipp Rothe

Von Heribert Vogt

Zu einer Reise durch die Forschungswelt wurde die Jahresfeier der Heidelberger Akademie der Wissenschaften in der Alten Aula. Dazu lud der neue Präsident Thomas W. Holstein ein, der die Landesakademie Baden-Württembergs als global operierende Einrichtung präsentierte. Gegensätzliche Stationen waren Stockholm und Kathmandu. Denn während Stefan W. Hell, Festredner der Jahresfeier und Chemie-Nobelpreisträger des Vorjahres, mit einem Videofilm von seiner feierlichen Auszeichnung durch den schwedischen König Carl Gustaf in Stockholm vorgestellt wurde, erreichte die Akademie ganz andere Kunde aus Nepal, wo sie das Projekt "Religions- und rechtsgeschichtliche Quellen des vormodernen Nepal" durchführt: Zwar seien infolge der Erdbeben keine Menschenleben zu beklagen, aber die Forschungsstelle in Kathmandu sei in einem baulich katastrophalen Zustand.

Präsident Holstein war im April dem Rechtswissenschaftler Paul Kirchhof nachgefolgt, der den Rechenschaftsbericht für 2014 darbot. Demnach stand das Gespräch zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, aber auch zwischen erfahrenen und jungen Wissenschaftlern im Zentrum der Akademie, die langfristige Nachhaltigkeitsprojekte betreibt. Entgegengewirkt werden soll dem Alfred Weber zugeschriebenen Trennprojekt, das Kirchhof zufolge besagt: "Die Geisteswissenschaften haben die Tradition zu pflegen und die Werte bewusst zu machen, während die so genannten reinen Wissenschaften - Naturwissenschaften und Mathematik - die Unterscheidung zwischen Gut und Böse nicht kennen."

Der Alt-Präsident fügte hinzu, dass diese These zwar das Erfahrungs- vom Werturteil trennen und dies immer bewusst machen soll. Aber das gelte für die Philosophisch-historische wie auch für die Mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse der Akademie und für das Ziel, sich gemeinsam damit auseinanderzusetzen, "was der Mensch kann und darf". Dies geschah nach Kirchhof bei vielen Aktivitäten: "Wir haben einen gewaltigen Raum von Themen und Zeiten vermessen." Und daran teilnehmen sollen zukünftig auch die neuen Akademiemitglieder Burkhard Hasebrink (Altgermanistik, Freiburg), Jörn Leonhard (Geschichte, Freiburg), Barbara Beßlich (Germanistik, Heidelberg), Gerd Jürgens (Entwicklungsbiologie, Tübingen), Johanna Stachel (Physik, Heidelberg) und Christoph Horn (Philosophie, Bonn).

Thomas Holstein zeichnete sodann die Forschungsreise des rumäniendeutschen Nobelpreisträgers Hell nach. Dieser war in Temeschburg an dem Gymnasium, das auch Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller besuchte, bevor seine Familie 1978 in die Bundesrepublik übersiedelte. Hell studierte in Heidelberg Physik. Ihn faszinierte die Frage, "ob die mehr als hundert Jahre früher von Ernst Abbe beschriebene Auflösungsgrenze optischer Mikroskope nicht doch überwunden wer-den kann". Ein Ansatz zur Verbesserung der optischen Auflösung war die Entwicklung eines doppellinsigen Mikroskops, bei dem zwei Objektive gegenläufig orientiert sind. Es wurde ein steiniger Weg bis zur Lösung des Problems, aber er führte letztlich zum Nobelpreis.

Nach einer Tätigkeit am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg fand er jedoch zunächst in Deutschland keine Stelle. Im finnischen Turku erarbeitete er von 1993 bis 1996 die theoretischen Grundlagen für seine hoch auflösende Mikroskopie, mit der die 200-Nanometer-Auflösungsgrenze zum ersten Mal überwunden werden konnte. Anschließend wechselte er an das Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen. Und seit seiner Physik-Habilitation 1996 in Heidelberg war Hell der hiesigen Fakultät für Physik erst als Privatdozent, dann als außerplanmäßiger Professor verbunden.

In den Jahren 1999 und 2000 veröffentlichte er seine bahnbrechenden Arbeiten, die aufzeigten, dass man mit einem Lichtmikroskop schärfer blicken kann, als man das ganze 20. Jahrhundert für physikalisch möglich gehalten hat. Diese Erfolge führten zu zahlreichen Auszeichnungen bis hin zum Chemie-Nobelpreis 2014. Am Heidelberger DKFZ baute Hell 2003 die Abteilung für optische Nanoskopie auf. Und im Jahr 2009 wurde er korrespondierendes Mitglied der Heidelberger Akademie. Auf deren Jahresfeier hielt er nun die Festrede zum Thema "Grenzenlos scharf: Lichtmikroskopie im 21. Jahrhundert".

Von Internationalität geprägt waren auch die Lebensläufe und Forschungen der Nachwuchswissenschaftler, die mit Preisen im Gesamtwert von 34 000 Euro ausgezeichnet wurden. So ging der Akademiepreis (6000 Euro) an Dr. Jennifer E. Altehenger für eine Arbeit über Rechtspropaganda und Rechtserziehung im China der frühen fünfziger Jahre. Den Karl-Freudenberg-Preis (6000 Euro) erhielt Dr. Anna E. Böhmer für ihre Dissertation über das Zusammenspiel von Struktur, Magnetismus, Nematizität und Supraleitung der eisenbasierten Supraleiter. Dr. Jörg Domisch wurde für die Arbeit "Zur Frage eines Besitzübergangs auf den Erben im klassischen römischen Recht" mit dem Walter-Witzenmann-Preis (6000 Euro) ausgezeichnet.

Der Ökologiepreis der Sigrid-und-Viktor-Dulger-Stiftung (6000 Euro) wur-de an Dr. Peter Lübcke verliehen für seine Dissertation über optische Fernerkundungsmethoden zur Messung von Brom und Schwefelemissionen aus Vulkanen. Und der erstmals vergebene Manfred-Fuchs-Preis (10 000 Euro) ging an Dr. Jan O. Korbel und Fruzsina Molnár-Gábor für ihre Arbeiten zur "Selbstregulierung in den Naturwissenschaften - auf dem Weg zur Einbindung einer normativen Methodologie". Bei diesem Thema, das in Kooperation zwischen Biotechnologie und Rechtswissenschaft bearbeitet wird, liegt die Konzentration auf dem Umgang mit Forschungsrisiken.

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