Queerfeministischer Live-Porno "Oh My" beim Stückemarkt (plus Trailer)
Achterbahn der Gefühle mit dem Theaterkollektiv Henrike Iglesias - Es gab viel Applaus

Frauensex rauf und runter: Forsch, aber auch behutsam erfolgte die Auseinandersetzung mit dem Mysterium der weiblichen Sexualität (v.l.: Sophia Schroth, Laura Naumann, Marielle Schavan). Foto: Paula Reissig
Von Heribert Vogt
Heidelberg. "Frei ab 18!", heißt es im Stückemarkt-Programmheft. Über 18 schienen die Besucher im Heidelberger Zwinger 3 zu sein. Und sie kamen in Massen in den schließlich überfüllten Saal. Aufgeführt wurde ein "queerfeministischer Live-Porno" mit dem unvollständigen Titel "Oh My" (God), der schon einmal auf den Freudenruf weiblicher Ekstase anspielt.
Dargeboten wurde das krasse Sex-Stück vom Theaterkollektiv Henrike Iglesias (Berlin, Basel). Es handelt sich um eine Koproduktion, an der etwa auch die Sophiensälen Berlin sowie die Münchner Kammerspiele beteiligt sind. Und es wurde ein Theaterabend, der in mancherlei Hinsicht in Erinnerung bleiben wird.
So kam man sich ein bisschen wie ein Astronaut auf Expedition im Weltall vor, denn bei der technisch anspruchsvollen Aufführung mit einem "technical headquarter" am Bühnenrand trug jeder Besucher einen Kopfhörer mit einem blauen Licht auf jeder Seite. Im Dunkeln sah man dann nur noch diese leuchtenden Lichter scheinbar im Raum schweben. Und man navigierte durch das Universum der weiblichen Sexualität mit unergründlichen Schwarzen Löchern. Dabei drang jedes Stöhnen direkt ins Ohr, während jede Hautfalte in überdimensionierten Live-Projektionen vor Augen geführt wurde (Lichtdesign und Video: Eva G. Alonso; Musik und Sounddesign: Malu Peeters).
Soweit das Eintauch-Erlebnis bei dieser theatralen Porno-Show, die auch einmal Grenzen überschreiten wollte. Aber der Blut-Clip führte doch zu weit, wie selbst die Akteurinnen eingestanden. Und was man noch nicht gesehen hat - wahrscheinlich auch nicht wieder sehen wird -, war die abgefahrene Szene, in der das Geschlechtsorgan einer Frau den Hit "Hello" von Adele "singt". Hinzu kamen einige forsche Passagen nach dem Motto: Nur gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überallhin.
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Aber es wird nichts so heiß gegessen wie gekocht. Da sind nicht wirklich nur Frauen vom Typ Femme fatale am Werk. Vielmehr ist auch für sie der eigene Körper nach wie vor mit einem Staunen verbunden: Selbst im Jahr 2019 sind immer noch merkwürdige Organmodelle nötig, um die Frau, das unbekannte Wesen, wirklich zu verstehen. Ein Zug von Aufklärungsunterricht liegt dann auch über dieser Show, in der zudem die heutige Sex-Industrie reflektiert wird: Da wird gefilmt, was das Zeug hält, sodass die Akteurinnen schon gar nicht mehr wissen, ob sie noch Sexualwesen sind oder schon Kamerafrauen. Den Foto-Selfie-Wahn gibt es offenbar auch beim Sex-Video.
Sicher: Es geht den Frauensex rauf und runter. Die ganze Bühne (Konzept, Text, Performance: Henrike Iglesias) ist irgendwie ein vor allem in Rot getauchter Bettraum, in dem die Darstellerinnen Anna Fries, Laura Naumann, Marielle Schavan und Sophia Schroth agieren. Aber es geht ja auch um ein zentrales Stück Leben einer jeden. Und das wird bei allem offensiven Auftreten nicht nur vielschichtig, sondern oft auch behutsam und tastend thematisiert. Nicht zufällig wird die Produktion vom Hauptstadtkulturfonds sowie vom Fachausschuss Tanz & Theater Basel & Baselland gefördert.
Für die Achterbahn der Gefühle gab es starken Applaus.



