Heidelberger Stückemarkt

"Die Menschen akzeptieren keine Grenze"

Theater-Autor Björn SC Deigner ist in Heidelberg geboren - Sein Text über die Reichsbürger wurde für den Stückemarkt ausgewählt

02.05.2019 UPDATE: 03.05.2019 06:00 Uhr 3 Minuten, 2 Sekunden

Theater-Autor Björn SC Deigner ist beim Stückemarkt in seine Geburtsstadt zurückgekehrt. Foto: Friederike Hentschel

Von Birgit Sommer

Heidelberg. Als die Heidelberger Schauspieler am Sonntag im Alten Theatersaal seinen Text "Der Reichskanzler von Atlantis" lasen, hat Björn SC Deigner ihn selbst zum ersten Mal gehört. "Aufregend", fand er das. Schließlich geht es um die absurde und skurrile Seite der Reichsbürger-Bewegung. "Die Frage war: Transportiert sich das in schneller Lesung?". Tatsächlich, die Zuhörer haben verstanden. "Das ist ein großes Geschenk des Festivals an mich", strahlt der 35-Jährige. Sein Text war einer von sechs, die es in die Autorenlesung des Heidelberger Stückemarktes geschafft haben.

In Heidelberg zu sein, macht dem Berliner richtig Freude. Kein Wunder: Es ist seine Geburtsstadt. Und als er dann mit Eltern und Geschwistern nach Roigheim bei Möckmühl gezogen war, kam er als Hip-Hop-Fan mit Freunden immer wieder zurück. Der Karlstorbahnhof war das Größte für die jungen Leute, ebenso die Läden in der Innenstadt, wo sie stundenlang Platten hörten und auswählten: "Ich glaube, die haben uns gehasst in den Geschäften." Schließlich kam vor zwölf Jahren sogar seine Tochter Helene im St. Elisabeth zur Welt, als der Heiligenberg morgens um fünf Uhr im ersten Sonnenlicht lag. Ein junger Vater also. Da lächelt er nur. "Das haben meine Frau und ich so geplant, weil wir während des Studiums noch Zeit für ein Kind hatten." Geplant? Künstler seien keineswegs alle chaotisch, die meisten seien doch sehr strukturiert, findet Deigner.

Sich mit ihm im Café Regie zu unterhalten, ist interessant und lustig. Mit seinen mehr als 1,90 Meter Körpergröße muss er erst einmal dringend einen großen Salat essen. Der "Stückemarkt"-Tag ist anstrengend, und gleich fängt das Treffen der Autoren mit den Stipendiaten an. So ganz nebenher löst er das Rätsel um das Kürzel "SC" in seinem Namen: "Mein Vater wollte mich Simon nennen, meine Mutter Christoph, deshalb heiße ich Björn."

Der Vater war Deutsch-Lehrer. Dass sich der Sohn mit Literatur beschäftigte, lag also nicht fern. Dennoch war es ungewöhnlich, dass der Schüler in der Oberstufe am Osterburkener Gymnasium klassische Dramen statt Romane las. "Irgendwie hat es mich interessiert, dass man für Figuren schreibt, die was zu sagen haben, und dass es damit nicht zu Ende ist. Dass dann auf der Bühne noch was damit passiert." Er fing selbst an zu schreiben, wurde mit 17 und 18 Jahren schon mit Preisen und Stipendien gefördert, erlebte die älteren Kollegen im Gespräch. "In Deutschland gibt es eine ganz starke Förderkultur für junge, unentdeckte Autoren." Es ging mit Vollgas los und wurde ihm gleich zu schnell. "Ich dachte, ich bin erst Anfang 20, ich kann ja gar nicht so viel erzählen." Weiter brachte ihn ein Studium der angewandten Theaterwissenschaft in Gießen. Dort fragte man sich, ob erzählendes Theater auch auf Text verzichten kann und was Musik und Licht leisten können. "Es war eine tolle Ausbildung." Auch wenn Björn SC Deigner dann schnell wieder das Bedürfnis hatte, Dinge durch Texte auszudrücken.

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Aber weil er als Kind schon eine strenge russische Klavierlehrerin hatte, die ihn lehrte, hart gegen sich selbst zu sein, weil er sich zudem mit Gitarre und Schlaginstrumenten auf einem riesigen Spielfeld austoben konnte, nahm das auch den Druck vom jungen Familienvater, als Autor reüssieren zu müssen. Er machte Musik für Theaterstücke, arbeitete als Hörspiel-Regisseur, während seine Frau Luise Voigt sich der Tochter und immer mehr der freien Regiearbeit widmen konnte.

Für "Der Reichskanzler von Atlantis" hat sich Deigner mit einer Ideologie beschäftigt, die um 1900 entstand. "Sie ist älter als unsere Demokratie und glaubt, sie habe das wahre Wissen." Man müsse darüber reden, findet er: "Wenn man meint, man kommt nicht weiter, ist Kunst genau am richtigen Platz." Wenn man ihn auf sein Stück "In Stanniolpapier" anspricht, das 2018 bei den Autorentheatertagen am Deutschen Theater in Berlin aufgeführt wurde, bleibt er ganz ruhig: "Eine schwerwiegende Erfahrung." Da hatte Regisseur Sebastian Hartmann eine eigene Fassung auf die Bühne gestellt, weshalb sogar der Titel "Uraufführung" gestrichen wurde. Die Frage blieb: Wem gehört ein Theaterstück? "Ein arrivierter Regisseur hat einen Text wie Knete behandelt", findet Deigner. Seine Gesprächspartnerin, die Prostituierte "Maria", hatte dazu gemeint: "Jetzt passiert das, was immer mit Prostituierten passiert: Sie werden benutzt."

Sein jüngster Text lässt Deigners Augen wieder leuchten: Es geht um die Frage, ob die Menschen den Mars besiedeln werden oder nicht. Beim Hanse-Wissenschaftskolleg in Delmenhorst folgte er im Rahmen eines Stipendiums den Ideen unterschiedlicher Forscher. Jetzt weiß er: "Menschen akzeptieren keine Grenze." Es werde ein sehr lustiges Stück, verspricht der Autor, und es habe zwei bis drei Wendungen mehr, als man so glaube.

Jetzt aber genießt er noch den Schluss des Heidelberger Stückemarktes, zu dem ihm eine Kollegin aus der großen Stadt Wien sagte: "Man hat das Gefühl, man befindet sich am Nabel der Welt."

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