Heidelberg

Diese türkischen Inszenierungen gab es beim Stückemarkt

Zwei Gruppen thematisieren das augenblickliche Leben in der Türkei - Vorstellungen im Zwinger 1 und 3

05.05.2019 UPDATE: 06.05.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 6 Sekunden

In blendender Spiellaune zeigten sich die Darsteller in "I love you Turkey" (v.l.: Irem Sultan Cengiz, Alican Yücesoy, Emre Koç, Damla Karaelmas Gökhan, Define Sener Günay. Foto: Mollaoglu

Von Arndt Krödel

Heidelberg. Eigentlich ein Widerspruch: In einem Land, in dem die Repression der Bürger tagtägliche Realität ist, in dem die Pressefreiheit mit Füßen getreten wird, boomt die Theaterszene - wobei es vor allem die kleinen, privaten Bühnen sind, die für ein quicklebendiges Geschehen sorgen.

Allein in der Millionenmetropole Istanbul hat das Publikum jeden Tag die Wahl unter 150 Aufführungen, es gibt in jeder Spielzeit Hunderte von Premieren, und neue Theatergruppen gründen sich. Vielleicht trauen die Mächtigen Theater wie allgemein der Kunst nicht die gesellschaftliche Wirkkraft zu, die ihnen zu eigen ist.

Jedenfalls konnte man sich beim Heidelberger Stückemarkt durch zwei Inszenierungen aus Istanbul einen Eindruck davon verschaffen, wie vielfältig die Theaterkultur in der Türkei in Erscheinung tritt, dem - zum zweiten Mal nach 2011 - Gastland des diesjährigen Heidelberger Bühnenfestivals. In "I love you Turkey" von Ceren Erkan, einer Produktion des BBT Istanbul, dem städtischen Theater aus dem oppositionellen Arbeitervorort Bakirköy, im Zwinger 1 dreht sich alles um die komplizierten Lebensbedingungen in der heutigen Türkei.

Fünf Personen treffen mit riesigen Plastiktüten voller Schmutzwäsche in einem Waschsalon aufeinander - ihnen wurde das Wasser in den Wohnungen abgestellt. Aus Protest dagegen hat eine der Protagonistinnen auch die eigene Körperwäsche eingestellt.

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Das ist der produktive Nährboden für offen emotional ausgetragene Auseinandersetzungen, die das Ensemble unter der Regie von Yelda Baskın mit blendender Spiellaune, intensiver Ausdruckskraft und enormem Talent zum Komischen über die Rampe bringt (der deutsche Text wurde durch Übertitel eingeblendet).

In einem beklemmenden Klima von Angst vor staatlichen Übergriffen, vor Denunziationen durch Mitmenschen und Überwachungen persönlicher Äußerungen am Telefon wie in den sozialen Netzwerken spitzt sich alles auf die Frage nach Auswegen zu: Soll man das Land verlassen und das Heil in der Migration suchen?

Man bietet sich den Deutschen an, eine hinreißende Szene, in der sich alle mit ihren vermeintlichen Fähigkeiten und Vorteilen zu übertrumpfen versuchen. Aber, das wissen alle und kommen damit auf den Titel des Stücks zurück - die Lösung ist das nicht. Ihr gemeinsames Credo, einem Fassbinder-Satz im Film "Deutschland im Herbst" zu neuem Leben verhelfend: "Ich habe auch Angst, aber ich spüre, dass ich nicht weggehen kann". Die Hoffnung ist nicht erloschen. Langer, starker Beifall des Publikums für Alican Yücesoy, Define Sener Günay, Irem Sultan Cengiz, Emre Koç und Damla Karaelmas Gökhan.

Auf einer ganz anderen formalen und künstlerischen Ebene dann das Stück "Iki - Zwei" von Semih Fırıncıoglu, der auch selbst inszenierte. Fünf junge Tänzerinnen und Schauspielerinen (Ayse Draz, Nezaket Erden, Sedef Gökçe, Yazı Köz und Cemre Bugra Ün) vom freien Kulturzentrum "bomontiada" in Istanbul gestalten eine Produktion an der "Schnittstelle von Tanz, Performance und Schauspiel", so die Ankündigung im Programmheft. Von Tanz war allerdings nichts zu sehen.

Ort des Geschehens

Das Stück ist eine anthropologische Reflexion, die sich in einer Aneinanderreihung von Bildern und von Texten (abermals mit deutschen Übertiteln übersetzt) darstellt. Die Bilder entwickeln gerade im Spiel mit verschiedenen Lichtern eine eigene Ästhetik. Bei den Texten greift der Autor etwa auf die Bibel (Prediger Salomo, "Alles hat seine Zeit") sowie auf Dichter wie William Butler Yeats und Robert Lee Frost zurück. So recht überzeugen mochte die Performance nicht, da sie kein wirklich spannendes, organisches Ganzes schafft. Das Publikum im Zwinger 3 zeigte sich angetan und spendete herzlichen Applaus.

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