Corona-Krise

So reagieren Künstler aus der Region auf die Lage

Horrende Einkommensausfälle und keine Aussicht auf eine schnelle Besserung der allgemeinen Lage - Freie Künstler im Corona-Modus - Stimmungsbild in Heidelberg

03.04.2020 UPDATE: 04.04.2020 06:00 Uhr 4 Minuten, 48 Sekunden
Alles freie Musiker, die derzeit ohne Arbeit sind: die Heidelberger Sinfoniker. Foto: Rosa Frank

Von Matthias Roth

In Deutschland soll es ca. 1,2 Millionen freie Kunstschaffende geben - die meisten davon sind durch die Covid-19-Pandemie (Corona) massiv in ihrer Existenz bedroht. Wir erkundigten uns bei Künstlern in Heidelberg und der Region, wie ihre derzeitige Lage ist, ob sie staatliche Hilfen in Anspruch nehmen und ob sie einen Silberstreif am Horizont sehen.

Kathrin Christians, geboren 1984, ist Flötistin. Die Opus Klassik-Preisträgerin stand nach einem Schlaganfall, der sie halbseitig lähmte, vier Monate später wieder auf der Bühne und spielte mit einer Augenklappe.

Frau Christians, wie geht es Ihnen?

Kathrin Christians. F.: privat

Ich war 14 Tage isoliert, weil ich aus der Schweiz zurückkehrte, als diese als Risiko eingestuft wurde. Diese Quarantäne war nicht einfach.

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Wie viele Auftritte mussten Sie bereits absagen, wie viele sind noch geplant?

Sieben Auftritte musste ich canceln. Aktuell wären es noch 15 ab Mai, aber bei mir kommen normalerweise immer kurzfristig viele größere Jobs hinzu.

"Zwei Drittel des Einkommens könnten wegbrechen"

Können Sie einen insgesamt zu erwartenden Verdienstausfall schon jetzt beziffern?

Wenn bis Weihnachten keine Auftritte stattfinden könnten – niemand weiß aktuell, wie lange der jetzige Zustand wirklich dauern muss – , dann werden es wohl zwei Drittel meines sonst üblichen Jahreseinkommens sein, die wegfallen. Aktuell sind wir alle in Warteposition und hoffen, dass die Lage bis zum Sommer in den Griff zu bekommen ist.

Konnten Sie lange geplante CD-Produktionen noch vor der Quarantäne abschließen?

Die neue Platte ist noch in der Mache. Was dafür noch erledigt werden muss, geht auch online. Es ist eine wirklich be... ...scheidene Situation. Aber ich möchte mich auch von dem Gejaule distanzieren, dass die Künstler nun die Ärmsten seien. Schließlich sind alle Freischaffenden aus allen Bereichen hart getroffen. Auch Firmen, die versuchen, die Arbeitsplätze ihrer Mitarbeiter zu erhalten. Besonders schlimm finde ich die Verschwörungstheorien, die gestreut werden.


Dominique Mayr, Geschäftsführer des KlangForums Heidelberg seit 2013, ist Kulturmanager und ausgebildeter Schlagzeuger.

Herr Mayr, wie ist die Situation des Heidelberger KlangForums und seiner Ensembles derzeit?

Wir hatten in Amsterdam ein Gastspiel, das abgebrochen werden musste, eine Sache im April und die Schwetzinger Festspiele fallen aus. Das heißt: Die Einnahmen sind derzeit gleich null. Das ist bitter für alle beteiligten Musiker, die überhaupt keinen doppelten Boden haben. Nachdem die Landesregierung auch alle im Stich gelassen hat in Baden-Württemberg und der Hilfsfonds scheinbar nicht für sie greift, sondern nur für Firmen, haben wir als KlangForum versucht, diesen zu kommen, um das Geld dann an die Musiker weiterzuleiten. Mal sehen, wie das wird. Für unser neues Opern-Projekt müssen wir abwarten, ob bis dahin wieder Veranstaltungen zugelassen sind. Die ersten Aufführungen sind geplant für das letzte Juni-Wochenende.

Bayreuth wurde abgesagt, weil gar nicht geprobt werden kann.

Ich gehe davon aus, dass Kulturbetriebe bis zum Sommer gar nichts mehr machen dürfen. Und ob es dann gleich wieder voll losgehen kann, ist sehr schwer abzuschätzen. Und auch das zweite Standbein jedes Musikers, das Unterrichten, ist derzeit auf Null. Hochschulen und Musikschulen haben geschlossen, Privatschüler kommen nicht. Das ist eine ganz prekäre Situation.

Warum funktioniert das mit dem Hilfsfonds in Baden-Württemberg nicht?

Die Landesregierung sagt: man solle Arbeitslosengeld II oder Hartz IV beantragen, aber das dauert ewig! Da ist Nordrhein-Westfalen ganz anders aufgestellt: Dort teilen die Künstler mit, welche Verdienstausfälle sie haben, und diese Summen bekommen sie als Soforthilfe auch sehr schnell. Zwei Tage später hatten einige das Geld bereits auf dem Konto. Derartiges scheint für Künstler in Baden-Württemberg nicht vorgesehen zu sein. Hier braucht man eine Liquiditätsprüfung: Erst wenn man nachweisen kann, dass keine Rücklagen vorhanden sind, kann man Hilfe bekommen.


"Manche Absage ist derzeit sehr schwer auszuhalten"

Michael Neuhaus ist Gründungsmitglied und Kontrabassist der Heidelberger Sinfoniker. Er spielt aber auch in vielen anderen Orchestern und Ensembles.

Wann standen die Heidelberger Sinfoniker zuletzt auf der Bühne?

Wir spielten im Portland-Forum in Leimen Beethoven und Salieri (die RNZ berichtete) Anfang März noch unter dem Motto: Wir lassen uns nicht unterkriegen! Ein paar Tage später wäre das schon nicht mehr möglich gewesen.

Das ganze Oster-Geschäft mit Kirchenkonzerten, Passionen und so weiter ist nun weggebrochen. Wie geht man als "Muggen"-abhängiger Musiker damit um?

Wenn man von Muggen (Musikalische Gelegenheitsgeschäfte) abhängig ist, muss man nicht nur sehen, wie man das pekuniär schafft, über die Runden zu kommen, sondern auch psychologisch! Ausfallbescheinigungen wie: "Das wäre ihr Honorar gewesen..." sind derzeit sehr schwer auszuhalten.

Wie läuft das Unterrichten? Geht das übers Internet?

Das ist für viele eine Herausforderung: Man muss sich an das Equipment gewöhnen, aber auch daran, dass viele Schüler die Gelegenheit nutzen, noch weiter zurückzuschalten.

Haben Sie schon versucht, staatliche Unterstützung zu bekommen?

Es gibt diese Direkthilfe von Berlin: Versprochen sind da 9000 Euro, wenn man als Selbstständiger ein Einzelunternehmen ist, also ein Ein-Mann- oder Ein-Frau-Betrieb. Das scheint unkompliziert zu sein. Was dabei allerdings herauskommt, weiß ich noch nicht. Komplizierter ist die Grundsicherung über die Agentur für Arbeit der Landesregierung, denn da geht es um Liquidität, die man nachweisen muss. Es sind einfach horrende Verdienstausfälle derzeit bei Otto Normalmugger. Doch die erste Schockstarre scheint langsam überwunden.

Wann hoffen Sie auf die nächste Probenphase?

Ich persönlich hoffe auf die Dresdner Festspiele im Juli, dass die nicht abgesagt werden.

Wie viele Auftritte mussten die Heidelberger Sinfoniker absagen, und wie verhalten sich die Veranstalter?

Wir mussten bisher drei Konzertprojekte absagen. Die Sparkasse Heidelberg ist als unser Sponsor sehr kulant, auch das Kulturamt der Stadt Heidelberg bemüht sich sehr um Schadensbegrenzung. Die meisten anderen handeln wie üblich: lapidare Absagen, verbunden mit der Hoffnung auf Ersatztermine im Herbst.

Wie viele Musiker sind bei den Sinfonikern direkt betroffen?

Circa 30.


Cholud Kassem ist Malerin mit Atelier in Kirchheim. Die aus dem Irak stammende Künstlerin wuchs in Mannheim auf und lebt in der Heidelberger Altstadt.

Frau Kassem, wie geht es Ihnen?

Malerin Cholud Kassem Foto: Samir Abusamra

Ich habe mich langsam auf die Situation eingestellt. Die ganze Zeit war ja diese Ungewissheit, diese Art von diffuser Angst: wie nach Tschernobyl oder dem 11. September 2001! Inzwischen hat sich das einigermaßen sortiert. Man kann das Risiko besser einschätzen und weiß ungefähr, was zu tun ist. Auch viele Gespräche trugen dazu bei, wieder etwas Stabilität zu bekommen.

Was ist denn konkret für Sie an Einnahmen bisher weggebrochen?

Vor allem die kompletten Malkurse, die jetzt wieder starten sollten, fallen weg. Das ist ein Standbein meines Einkommens, mit dem ich Miete für Wohnung und Atelier bezahle. Darüber hinaus wurde die Ausstellung "Radiale – Kunst im Kreis" im Landratsamt auf nächstes Jahr verschoben, die ich gerade vorbereitete. Das war ein harter Schlag. Derzeit kann ich auch keine interessierten Käufer im Atelier empfangen, also keine Bilder verkaufen, denn das geht über das Internet nicht. Wer 500 oder 1000 Euro für ein Bild ausgibt, will das schon richtig sehen und anfassen!

"Auf den Antrag habe ich sofort ein Feedback bekommen!"

Sind noch andere Ausstellungsprojekte in 2020 oder 2021 gefährdet?

Ob eine große Einzelausstellung im September stattfinden kann, ist nicht sicher. Denn die Galerien verschieben jetzt die Ausstellungen, die sie gerade hängen haben nach hinten. Dadurch verschiebt sich alles. Eine Ausstellung im Sommer 2021 steht daher jetzt auch in den Sternen.

Haben Sie schon Anträge auf Hilfe von Stadt, Land oder Bund gestellt?

Gestern Nacht habe ich einen Antrag auf Soforthilfe gestellt und heute Morgen schon ein Feedback bekommen! Das ging sehr schnell und soll drei Monate laufen. Ich hoffe sehr, dass das klappt, denn die Mieten muss ich ja irgendwie bezahlen.

Info: RNZ-Aktion für freie Künstler der Region in Zusammenarbeit mit dem Kulturamt und dem Theater der Stadt Heidelberg: "Solo Fantastico" unter www.theaterheidelberg.de. Honorar für Beiträge: 500 Euro. Bewerbungsschluss ist der 13. April. Bei über 60 Anmeldungen entscheidet das Los.

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