Jaissles langer Kampf!
Der ehemalige Stuttgarter kommt heute nur als Fan tum Derby
Der ehemalige Stuttgarter kommt heute nur als Fan tum Derby
Es ist vermutlich ein gutes Zeichen, dass sich Matthias Jaissle nicht mehr auf die Minute genau daran erinnert, wann das Elend begann. "Irgendwann zu Beginn der zweiten Halbzeit" im Spiel gegen Hannover 96 blieb der Innenverteidiger im Rasen hängen. Das Kreuzband im linken Knie riss. Das Unglück passierte am 21. März 2009, gegen 16.40 Uhr, und es hält bis heute an. Vier Operationen, zwei am Knie und zwei an der Achillesferse, markieren die lange Leidenszeit des 23-jährigen Hoffenheimer Profis. Hoffnungsvollen Comeback-Versuchen folgten niederschmetternde Rückschläge. Seit mehr als zweieinhalb Jahren ist Jaissle nicht mehr richtig auf die Beine gekommen. Es braucht Kraft, Zuversicht und Selbstvertrauen, um das zu überstehen. Und Momente, die Mut machen. Wie vor einem Jahr, als Jaissle beim 3:2 gegen Mönchengladbach fünf Minuten vor Schluss eingewechselt wurde. Die Fans machten aus seiner Rückkehr ein Fest. "Es war ein Tag voller Freude", erinnert er sich. Neun Spiele, davon aber nur drei von Beginn an, bestritt er danach in der vergangenen Rückrunde. Die Vorbereitung auf diese Saison lief gut, Jaissle war wieder auf dem Weg zum Stammspieler. Doch nach dem Testspiel im Juli in Wien kehrten die Schmerzen zurück. Der Fuß wurde erneut dick und warm. Die Achillesferse hatte sich wieder entzündet. "Ich war total deprimiert", sagt er, "es ist schlimm, wenn du nicht das machen kannst, woran du Spaß hast." Vor vier Wochen wurde der Hoffenheimer in Basel zum vierten und hoffentlich letzten Mal operiert. Seitdem quält er sich wieder in der Reha. Aufstehen spätestens um halb acht, danach Therapie in Mannheim, Training mit Christof Elser in Zuzenhausen, Behandlung bei den Physios Peter Geigle, Thomas Schuster und Christian Neitzert, zum Abschluss Regeneration im Trainingszentrum. Selten kommt er vor sechs Uhr abends nach Hause. Zwei Mal die Woche fährt er die knapp 300 Kilometer runter nach Basel, um sich in der Praxis von Operateur Dr. Weisskopf behandeln zu lassen. "Die Tage sind härter, als wenn ich Fußball spielen würde", seufzt er. Rückendeckung erhält Jaissle von seiner Freundin Nancy, der Familie, den Fans in Facebook und nicht zuletzt vom Verein. Im Januar, als alles noch ziemlich unklar war, hat Manager Ernst Tanner den Vertrag bis 2015 verlängert. Damit hat der Abwehrspieler, der seit 2007 im Kraichgau ist, gute Chancen, einer der dienstältesten Profis zu werden. 2007 war er vom VfB Stuttgart gekommen, "weil dort der Prophet im eigenen Land nichts gilt." Heute Nachmittag drückt Jaissle im Derby gegen den Ex-Klub den Kollegen die Daumen: "Ich tippe auf einen 2:1-Sieg." Wann er wieder mitspielen wird – zu Beginn der Rückrunde, vielleicht auch früher oder später – kann der Leidgeprüfte nicht sagen. Doch dass der Zeitpunkt kommen wird, davon ist er überzeugt: "Ich habe volles Vertrauen zu meinem Körper". Dass er inzwischen ein Fernstudium für Sportmanagement begonnen hat, sei kein Hinweis darauf, dass er daran zweifelt, seine Karriere fortsetzen zu können. "Doch ich bin einer, der über den Tellerrand schaut, ich will mich weiterbilden", meint der Abiturient. Jaissle ist sicher, dass er gestärkt aus der Krise kommt. Er sagt: "Ich werde künftig noch mehr zu schätzen wissen, welches Privileg es ist, Fußballprofi zu sein."