SAP-Personalchef Cawa Younosi

"Wir wollen für alle die gleichen Ausgangspositionen schaffen" (plus Podcast)

Spaß an der Arbeit haben und Leidenschaft fürs Thema mitbringen: Unter dem Motto "Bring everything you are, become everything you want" will SAP strukturelle Nachteile beseitigen.

27.03.2022 UPDATE: 31.03.2022 19:00 Uhr 7 Minuten, 5 Sekunden
Cawa Younosi ist Leiter der Personalabteilung bei SAP in Deutschland. Foto: SAP

Von Barbara Klauß

Walldorf. Bei SAP dürfe niemand das bittere Gefühl habe, nur etwa wegen seines Geschlechts oder seiner Herkunft etwas nicht erreichen zu können, meint Personalchef Cawa Younosi. Sein Ziel ist es daher, strukturelle Nachteile zu erkennen und zu beseitigen

Herr Younosi, wie muss denn der perfekte SAP-Mitarbeiter sein? Was muss er oder sie mitbringen?

Wir haben nicht den Anspruch, hier perfekte Menschen zu beschäftigen. Wer bei SAP arbeitet, sollte Spaß an der Arbeit haben und Leidenschaft für das Thema mitbringen. Ansonsten ist unser Motto: "Bring everything you are, become everything you want." Unsere Mitarbeiter sollen sich verwirklichen können – so wie sie sind und unabhängig davon, woher sie kommen oder wie sie aussehen. Das ist unser Anspruch.

Weshalb ist Diversity, also die Vielfalt der Mitarbeiter, für SAP ein so wichtiges Thema?

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Wir wollen, dass bei allen Mitarbeitern am Ende tatsächlich die Leistung entscheidet. Deshalb müssen wir für alle, die bei SAP anfangen, die gleichen Ausgangspositionen schaffen. Dafür ist es wichtig, dass wir versuchen, bei allen Mitarbeitenden die jeweiligen strukturellen Nachteile zu identifizieren, zu verstehen und zu beseitigen. Für uns, aber auch für mich persönlich, ist das etwas Selbstverständliches – ein Gebot der Fairness.

Hintergrund

Der Personalchef: Cawa Younosi ist Leiter der Personalabteilung bei SAP in Deutschland. Zudem übernimmt er die Verantwortung für die neue Organisation People Experience, die weltweit alle SAP-Personalchefs zu einem Team zusammenführen soll.

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Der Personalchef: Cawa Younosi ist Leiter der Personalabteilung bei SAP in Deutschland. Zudem übernimmt er die Verantwortung für die neue Organisation People Experience, die weltweit alle SAP-Personalchefs zu einem Team zusammenführen soll.

Der Werdegang: Ende der 1980er Jahre floh er als Jugendlicher allein vor dem Krieg aus seinem Heimatland Afghanistan nach Deutschland. Nach der Schule übernahm er einen kleinen Laden und war als Kleinunternehmer tätig. Schließlich studierte er Jura, trat nach dem Abschluss als Rechtsanwalt in die Rechtsabteilung der SAP ein und stieg dort schnell auf.

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Es gibt allerdings auch Menschen, die es als ungerecht empfinden, wenn vermehrt Frauen eingestellt werden oder – wie bei Ihnen – Menschen mit Autismus oder Mitglieder anderer marginalisierter Gruppen vermeintliche Vorteile erhalten.

Wir haben keine Richtlinie die besagt, dass wir bestimmte Menschen bei gleicher Eignung bevorzugen. Uns geht es darum, dass alle die gleiche Ausgangssituation haben. Bleiben wir bei dem Beispiel der Menschen aus dem autistischen Spektrum: Auch bei ihnen machen wir nicht mehr Kompromisse als bei anderen Mitarbeitern. Aber wir stellen uns auf diese Menschen ein: Wir haben ein anderes Bewerbungsverfahren, ein anderes Interviewverfahren – so dass sie sich völlig darauf konzentrieren können, sich uns so vorzustellen, wie sie tatsächlich sind.

Wenn man versucht, Chancengleichheit herzustellen, kann es doch am Ende nur Gewinner geben – also auch keinen Grund dafür, dass sich irgendjemand diskriminiert fühlt.

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Und Frauen werden bei gleicher Eignung auch nicht bevorzugt eingestellt? Wie wollen Sie es dann schaffen, dass bis 2030 die Hälfte der Beschäftigten bei SAP weiblich ist, ebenso wie die Hälfte der Führungskräfte?

Auch hier haben wir keine Bevorzugungsregel. Es ist richtig, dass wir den Frauenanteil bei SAP von derzeit rund 30 Prozent bis 2030 auf 50 Prozent erhöhen wollen. Das geschieht aber nicht dadurch, dass wir Frauen bevorzugen, nur weil die Frauen sind. Stattdessen versuchen wir durch verschiedene Maßnahmen für Frauen attraktiver zu werden.

Was sind das für Maßnahmen?

Quereinstiegsprogramme zum Beispiel, mit denen Menschen eine Chance bekommen, die vorher nicht in der Softwarebranche unterwegs waren. Oder durch unser Bewerbungsverfahren. Gerade stellen wir unser Bewerbungsverfahren im Rahmen der Initiative "Vacant" zum Beispiel auf den Kopf: Nicht die Mitarbeitenden bewerben sich bei uns, sondern die Führungskräfte bewerben sich bei den Mitarbeitenden. Und erst wenn sie jemanden für einen guten Chef oder für eine gute Chefin halten, bewerben sie sich auf die Stelle. Vorher kann man sich die Arbeit sparen.

Warum drehen Sie das so um?

Das hat unter anderem etwas mit dem Fachkräftemangel zu tun, aber nicht nur. Die Talente sollen sich nicht blind auf eine Stelle bewerben und später merken, dass sie mit der Führungskraft nicht zusammenarbeiten können. Damit verlieren beide Seiten nur unnötig Zeit.

Wie groß ist denn das Problem des Fachkräftemangels für die SAP?

An manchen Stellen müssen auch wir um Bewerber kämpfen. In bestimmten IT-Bereichen ist das Interesse allein im Jahr zwischen 2020 und 2021 um fast 90 Prozent zurückgegangen. Da ist der Markt komplett leer. Das hat damit zu tun, dass heute alle irgendwie auch IT-Unternehmen sein wollen – Industriekonzerne, Handwerker, einfach alle. Mit der Digitalisierung hat die Nachfrage nach solchen Kräften massiv zugenommen.

Dennoch ändert sich für uns aus SAP-Perspektive nicht viel. Wir haben auch im vergangenen Jahr allein in Deutschland mehr als 100 000 Bewerbungen erhalten. Wir konnten trotzdem 1500 neue Stellen schaffen und damit auch in Deutschland wieder zu wachsen.

Kürzlich wurde wieder mal die Frage aufgeworfen, ob es schwieriger sei, mit dem Konzernsitz im ländlichen Walldorf IT-Kräfte zu bekommen. Empfinden Sie Walldorf als Standortnachteil?

Auf gar keinen Fall! Das zeigt ja schon die Anzahl der Bewerbungen. Wir sind ja in Deutschland nicht nur in Walldorf vertreten, sondern in allen großen Städten. Und wir investieren dort – sei es in Dresden, in Hamburg, München oder Berlin.

Abgesehen davon ist oder war noch nie jemand gezwungen, nach Walldorf zu ziehen – schon wegen der Möglichkeit, mobil zu arbeiten. Als wir vor etwa sieben Jahren über unsere Standortstrategie nachgedacht haben, sind wir noch davon ausgegangen, dass wenige Talente nach Walldorf oder St. Leon-Rot kommen wollen. Deswegen haben wir vor allem an anderen Standorten investiert. Aber wir wurden positiv überrascht: Viele haben doch den Umzug auf sich genommen und plötzlich haben wir hier Engpässe bekommen und mussten neue Gebäude bauen. Nun, mit der Corona-Pandemie und der Zunahme des mobilen Arbeitens müssen wir ohnehin gucken, was die Zukunft bringt.

Was erwarten Sie: Werden bei SAP Büros massenhaft leer stehen? Werden Sie Flächen vermieten?

Nein, das planen wir nicht. Im Gegenteil, wir investieren massiv. Unser Hauptgebäude etwa wird komplett neu gestaltet. Das wird die nächsten drei bis vier Jahre in Anspruch nehmen und mehrere Millionen Euro kosten. Wir tun das, weil wir glauben, dass das Büro als modernes Lagerfeuer seine Relevanz behält, auch wenn sich die Nutzung womöglich leicht verändert. Schon vor der Pandemie lag die Auslastung in unseren Büros in Walldorf und St. Leon-Rot bei 57 Prozent. Das wird wohl noch etwas weniger werden. Wir gehen davon aus, dass die Mitarbeiter künftig im Durchschnitt zweieinhalb Tage in der Woche mobil arbeiten. Da wäre es Verschwendung, wenn jeder einen eigenen Tisch im Büro hätte. Was die Kollegen aber auf jeden Fall brauchen, ist ein Ort, an dem sie als Team zusammenkommen können.

Nicht nur die Arbeitsumgebung hat sich über die Jahrzehnte stark verändert, auch die Art der Führung. Welche Anforderungen werden heute an Führungskräfte gestellt?

In den 70er und 80er Jahren war der Zeitgeist ein anderer. Damals hatte man im Arbeitsleben nüchtern zu sein, sachlich, kühl, man durfte keine Emotionen zeigen, die Befehle kamen von oben und wurden unten ausgeführt. Im Vordergrund stand das Austauschverhältnis Arbeit gegen Lohn. Heute wird vermehrt erwartet, dass sich die Führungskraft auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeite einstellt und deren Bedürfnisse ernst nimmt – etwa bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Empathie und emotionale Intelligenz sind keine Eigenschaften mehr, die eine Führungskraft haben kann, sondern welche, die sie zwingend haben muss.

Allerdings haben sich auch die Anforderungen an die Mitarbeiter geändert.

Inwiefern?

Es ist ihnen nicht egal, wo sie arbeiten und von wem sie ihr Geld bekommen. Sie suchen zudem nach einem Sinn in ihrer Arbeit. Gleichzeitig möchten aber auch die Unternehmen, dass die Mitarbeiter sich über die reine Arbeit hinaus mit dem Zweck des Unternehmens identifizieren und idealerweise sogar engagieren.

Sind Sie eigentlich der Meinung, dass diverse Teams erfolgreicher sind?

Auch wenn ich den einen oder anderen enttäusche: Nein, ich glaube nicht, dass diverse Teams automatisch erfolgreicher sind. Dafür hängt Erfolg von zu vielen verschiedenen Faktoren ab: von der Teamzusammensetzung etwa oder von der Qualität des Produkts.

Deswegen halte ich diese Frage für irrelevant. Wichtig ist mir, dass niemand bei SAP das bittere Gefühl hat, etwas nur deshalb nicht erreichen zu können, weil er oder sie einen Migrationshintergrund hat, weil sie eine Frau ist oder ähnliches. Dafür lohnt es sich zu streiten, weil das ein Wert an sich ist.  

Das heißt auch: Hinter den Bemühungen für Diversity steht kein Kommerzialisierungsgedanke. Ziel ist es nicht, dadurch mehr Gewinn oder Profit zu machen. Wenn überhaupt haben wir als Unternehmen nur einen mittelbaren Vorteil davon – weil es uns auf diese Art gelingt, für die jeweilige Aufgabe und das jeweilige Team genau das passende Talent zu finden. Das wäre nicht der Fall, wenn wir mit Scheuklappen durch die Gegen laufen und unbewusst Vorurteilen unterliegen würden – also immer einen Mann einstellen, weil auf einer Position immer ein Mann saß, obwohl eine bestimmte Frau womöglich die bessere Wahl wäre.

Diese Überzeugung – wie viel hat die mit Ihrer persönlichen Geschichte zu tun? Sie sind als Jugendlicher allein vor dem Krieg aus ihrem Heimatland Afghanistan nach Deutschland geflohen.

Natürlich war ich früh mit dem Thema strukturelle Benachteiligung  konfrontiert – und auch mit der Diskussion: Vor dem Gesetz sind wir doch alle gleich, was sollen diese Pseudo-Kämpfe? Diesen feinen Unterschied zwischen Chancengleichheit – die im Gesetz steht – und Chancengerechtigkeit habe ich früh gespürt. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich nicht auch ohne diese Erfahrung die gleiche Überzeugung hätte.

Woran haben Sie den Unterschied gespürt?

In erster Linie bei Bewerbungen. Als ich mich Anfang der 2000er Jahre mit meinem Namen als Jurist beworben habe, musste ich – wenn ich überhaupt eingeladen wurde – immer erklären, weshalb ich überhaupt Jura studiert und nicht etwas Handwerkliches gelernt haben. Das hätte man mir eher zugetraut.

An dieser Situation hat sich seither nicht viel geändert. Studien zeigen, dass Menschen mit ausländisch klingenden Namen es deutlich schwerer haben, überhaupt zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Das meine ich mit strukturellen Nachteilen: Ein Mensch erfährt nur deshalb eine Benachteiligung, weil er einen nicht deutsch klingenden Namen hat. Das darf nicht passieren. Deswegen ist es uns wichtig, bei Bewerbungen nicht auf den Namen zu gucken – sondern auf die Leistungen und die Fähigkeiten.

Aber sind Sie nicht gerade ein Beispiel dafür, dass Menschen es auch ohne besondere Unterstützung schaffen können?

Ich glaube, ich hatte in meinem Leben mehr Glück als Verstand. Aber das ist nicht bei jedem so. Manchen Menschen muss man erst einmal zeigen, welche Möglichkeiten sie überhaupt haben. Etwa wenn jemand nach Deutschland kommt, der das Land überhaupt nicht kennt. Nur wenn wir demjenigen ermöglichen, in die gleiche Ausgangsposition zu gelangen, ist er in der Lage, seine volle Leistung abzurufen und der Gesellschaft einen größeren Dienst zu erweisen. Ganz abgesehen davon, dass er persönlich glücklicher wird.

Sie äußern sich immer wieder auch politisch. Wie blicken Sie gerade auf Deutschland, auf den Rechtsruck, auf die Spaltung der Gesellschaft?

Polarisierung, Spaltung, Populismus, egal aus welcher Richtung sie kommen, stören mich natürlich. Da müssen wir als Gesellschaft dagegen halten und mit Argumenten überzeugen. Aber: Aus der Vogelperspektive betrachtet finde ich, dass wir in Deutschland Vieles richtig machen. Die absolute Mehrheit der Menschen steht für die Werte, auf denen unsere Gesellschaft aufgebaut ist – die Werte, die im Grundgesetz ihren Niederschlag gefunden haben. Wenn etwas passiert, zuletzt zumeist von der rechten Seite, entsteht ein Sturm der Entrüstung über alle Gesellschaftsschichten hinweg. Das zeigt, dass die allermeisten Menschen das Herz am richtigen Fleck haben und bereit sind für diese Werte zu streiten.

Das heißt, Sie haben noch kein Problem, Leute davon zu überzeugen, hierher nach Deutschland zu kommen, um für SAP zu arbeiten?

Nein, Gott sei Dank sehen wir das nicht. Wenn hier schlimme Verbrechen aus rassistischen Motiven passieren, ist das natürlich ein Thema. Von unseren Mitarbeitern sind etwa 20 Prozent aus dem Ausland hier her gekommen, außerdem haben wir Mitarbeitende mit Migrationshintergrund. Aber Deutschland ist nach wie vor ein beliebtes Land, in dem viele gerne arbeiten möchten.

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