Bürgerentscheid erfolgreich - Klares Votum gegen Wolfsgärten
Über 70 Prozent lehnten Verlagerung nach Wieblingen ab - Beteiligung lag bei fast 40 Prozent

Von Philipp Neumayr und Denis Schnur
Heidelberg. Das Ankunftszentrum für Geflüchtete wird nicht in das Gewann Wolfsgärten verlagert. Die Heidelberger haben den Plänen von Stadt und Land beim Bürgerentscheid am Sonntag eine eindeutige Abfuhr erteilt. 70,3 Prozent der Wähler sprachen sich gegen die Verlagerung aus. Die Beteiligung war mit knapp 40 Prozent zudem so hoch wie bei noch keinem Heidelberger Bürgerentscheid – somit wurde auch das notwendige Quorum klar erreicht. Um dies zu schaffen, mussten 21.841 Menschen für eine der beiden Optionen stimmen – über 30.000 waren es am Ende, die den Standort bei Wieblingen ablehnten.
>>> Das sagt OB Würzner im RNZ-Interview zum Bürgerentscheid <<<
Als die Zahl der "Ja"-Stimmen gegen 19 Uhr die für das Quorum erforderliche Zahl von Stimmen überschritt, war die Freude im Sieger-Lager groß. "Ich habe erwartet, dass wir eine Mehrheit haben, aber dass wir nun auch das Quorum erreicht haben, ist wirklich sehr erfreulich", sagte Dorothee Hildebrandt, Vertrauensperson und Sprecherin des Bündnisses für Ankunftszentrum, Flüchtlinge und Flächenerhalt (BAFF), das den Bürgerentscheid initiiert hatte. Hildebrandt nannte es ein "ermutigendes" und "richtungsweisendes" Ergebnis, das zeige: "Es gibt eine Veränderungsstimmung." Denn bei dem Bürgerentscheid sei es nicht allein um die Frage gegangen, ob das Ankunftszentrum im Gewann Wolfsgärten gebaut werde, sondern auch um die Frage, wie man in Stadt und Gesellschaft achtsam und respektvoll miteinander leben könne. Die Stadtspitze, sagte Hildebrandt, sei mit ihrem Verhalten "gescheitert".
Hildebrandt und das Bündnis feierten das Ergebnis des Entscheids im Rahmen eines Zoom-Calls, bei dem natürlich viele gut gelaunte Gesichter zu sehen waren. "Man darf auf die Heidelberger Bürger zählen, dass sie oft das Richtige und Empathische machen", sagte Arnulf Weiler-Lorentz, Stadtrat der Bunten Linken. "Wir haben alle mit Engagement gewonnen, aber wir hatten, wenn man so will, auch einen leichten Gegner", sagte Judith Marggraf von der Grün-Alternativen Liste (GAL). Sie kritisierte in erster Linie den Ersten Bürgermeister Jürgen Odszuck, der im Wahlkampf "Politik nach Gutsherrenart" gemacht habe: "Das lässt sich die Heidelberger Stadtgesellschaft so nicht bieten."
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Das Bündnis sei in seiner Argumentation "immer sachlich, immer fair geblieben", sagte SPD-Fraktionsvorsitzende Anke Schuster. Ihrer Meinung nach sei das klare Ergebnis auch dem Einsatz von Dorothee Hildebrandt zu verdanken. Es brauche ein Bündnis, aber es brauche auch jemanden, der in die Konfrontation gehe. "Wir hatten eine starke Frontfrau", so Schuster.
Bei aller Euphorie betonten die Engagierten, dass ihre Arbeit mit dem erfolgreichen Bürgerentscheid noch nicht getan sei. Schließlich sei ein Standort für das künftige Ankunftszentrum noch nicht gefunden, so Hildebrandt. Der Gemeinderat habe nun den Auftrag, die bisherigen Planungen für den Stadtteil in Patrick-Henry-Village zu überdenken. Sigrid Zweygart-Pérez, neben Hildebrandt eine von drei Vertrauenspersonen der Bürgerinitiative, sagte, es gehe jetzt darum, welche Flächen man anbiete und wie man den Gemeinderat "auf den richtigen Weg" bringen könne.
Dass Heidelberg auch in Zukunft ein Ankunftszentrum für Geflüchtete beherbergen soll, darin waren sich am Sonntagabend alle einig – auch im Lager der Verlierer des Bürgerentscheids. Oberbürgermeister Eckart Würzner, der das offizielle Ergebnis um 19.35 Uhr verkündete, sagte, man müsse nun schauen, wie es mit der Landeseinrichtung weitergehen könne. Dazu will er das Gespräch mit dem Gemeinderat suchen. "Ich persönlich sehe das Ergebnis als Auftrag, dem Land weiterhin ein Angebot in Heidelberg zu unterbreiten. Aber das ist nur meine Meinung."
Auch beim Land, das wie die Stadt für eine Bebauung der Wolfsgärten geworben hatte, erklärte man, die Entscheidung der Heidelberger Bürgerschaft zu respektieren. "Wir erkennen natürlich den Willen der Bürgerinnen und Bürger vorbehaltlos und vollumfänglich an", sagte ein Sprecher des Innenministeriums. Man stehe weiter zu der Zusage, Patrick-Henry-Village zu räumen, um die Entwicklung des neuen Heidelberger Stadtteils dort zu ermöglichen. "Allerdings war auch immer gemeinsame Geschäftsgrundlage, dass vor einer Räumung ein neuer Standort für das Ankunftszentrum benötigt wird." Nun gelte es, einen neuen Standort in der Region zu suchen, denn einen "Plan B" zu den Wolfsgärten gebe es nicht. "Dabei setzen wir auf den großen Konsens im Gemeinderat und bei den Heidelberger Bürgern, das Ankunftszentrum in Heidelberg behalten zu wollen."
In einer seiner nächsten Sitzungen wird der Gemeinderat beraten, wie er mit dem Ergebnis umgehen wird. Möglich wäre, dass er die Prüfung weiterer Standorte – etwa Patrick-Henry-Village oder Airfield – beauftragt oder aber dem Land mitteilt, dass es in Heidelberg keine in Frage kommenden Areale gebe.
Stimmen zum Ausgang des Bürgerentscheids
> Markus Rothfuß, Leiter des Ankunftszentrums: Die Bürger Heidelbergs haben entschieden und das gilt es zu respektieren. In den geführten Diskussionen wurde jedoch auch deutlich, dass unser Ankunftszentrum willkommen ist. Wir hoffen, dass zeitnah an einem anderen Standort dauerhafte Perspektiven gefunden werden können.
> Theresia Bauer, Landtagsabgeordnete Grüne: Auch wenn die Wolfsgärten aus dem Rennen sind: Das gemeinsame Ziel bleibt, PHV schnellstmöglich zu entwickeln. Stadt und Innenministerium müssen nun zügig die Suche nach einer Alternative beginnen!
> Michael Braum, Direktor der IBA: Jetzt geht es in eine neue Standortsuche. Ich bleibe dabei, dass PHV unter den gegenwärtig landesseitig gesetzten Rahmenbedingungen einer durch Zäune gesicherten Einrichtung der falsche Ort dafür ist. Ich hoffe auf die Weitsicht des Gemeinderats, aus dem Dynamischen Masterplan nicht einzelne Flächen rauszuschneiden. PHV soll ein offener, durchgrünter Stadtteil für alle werden, ausdrücklich auch für Geflüchtete, die ihr Zuhause dauerhaft in Heidelberg finden.
> Derek Cofie-Nunoo, Fraktionsvorsitzender Grüne: Glückwunsch an alle, die sich beim Bürgerentscheid engagiert haben. Mit dem Erreichen des Quorums gab es ein klares Ergebnis, der Standort Wolfsgärten wurde abgelehnt. Bei der neuen Standortsuche werben wir für einen kooperativen Prozess.
> Jan Gradel, Fraktionsvorsitzender CDU: Nach diesem Ergebnis sind Rat und Stadtgesellschaft nun erneut aufgefordert, eine neue Lösung für das Ankunftszentrum zu finden.
> Anke Schuster, Fraktionsvorsitzende SPD: Die SPD-Fraktion fordert die Grünen auf, endlich umzudenken und sich gemeinsam mit den Bündnisfraktionen für einen Stadtteil für alle im PHV einzusetzen – auch für Geflüchtete.
> Karl Breer, Fraktionsvorsitzender FDP: Emotionen statt Fakten, die Grünen abgetaucht, so wird mal wieder ein wichtiges Heidelberger Zukunftsprojekt verhindert oder zumindest um Jahre verzögert – sehr schade!
> Sahra Mirow, Stadträtin "Die Linke": Angesichts der massiven und teils auch kritikwürdigen Verhinderungskampagne der Stadt ist dieses Ergebnis ein großer Erfolg.
> Larissa Winter-Horn, Stadträtin "Die Heidelberger": Ein schlechter Tag für die Stadtentwicklung von Heidelberg und für den Gemeinderat! Es ist zu befürchten, dass demnächst alle großen Entscheidungen durch Bürgerentscheide gekippt werden.
> Judith Marggraf, Stadträtin GAL: Das Ergebnis ist sensationell. Ein großer Dank an eine weltoffene und kluge Heidelberger Stadtgesellschaft!
> Timethy Bartesch, Stadtrat, AfD: Herzlichen Glückwunsch Wieblingen! Als einzige Stimme im Gemeinderat sind wir dafür, dass auch die anderen Stadtteile kein Asylzentrum bekommen.
> Björn Leuzinger, Stadtrat "Die Partei": Ich bin nicht überrascht, aber sehr erfreut über dieses sehr eindeutige Ergebnis und bin gespannt, welche unsinnige Fläche der OB jetzt auf einmal aus dem Hut zaubert, nur um keine Investoren auf PHV abzuschrecken.
> Cornelia Wiethaler, Naturschutzbund: Das ist ein Sieg für Klima, Biodiversität und Gesundheit. Der Erhalt der Äcker in Rohrbach, Handschuhsheim und in PHV muss folgen. Der Gemeinderat hat jetzt den Auftrag, den Masterplan PHV so anzupassen, dass dort das Ankunftszentrum einen guten Platz hat.
Update: Sonntag, 11. April 2021, 21.44 Uhr
Heidelberg. (dns/mün) Das Ankunftszentrum für Geflüchtete wird nicht auf das Gewann Wolfsgärten im Stadtteil Wieblingen verlagert. Das ist das Ergebnis des Bürgerentscheides am Sonntag. Dabei sprach sich eine deutliche Mehrheit der Wählerinnen und Wähler gegen die Verlagerung aus. 30.406 Wähler stimmten gegen den Standort Wieblingen. Das sind mehr als 70 Prozent der abgegeben Stimmen. Das verkündete Oberbürgermeister Eckart Würzner um 19.30 Uhr im Livestream (siehe unten).
Auch vor dem Ende der Auszählung stand schon fest, dass das nötige Quorum erreicht wird. Mindestens 20 Prozent mussten dazu für eine der beiden Optionen votieren, das sind 21.841 Stimmen. Gegen 18.58 Uhr war bei der Auszählung klar, dass das Lager der Ja-Sager diese Hürde genommen hat.
Rund 36.000 der 109.000 Wahlberechtigten nutzten die Briefwahl, knapp 6000 Bürger stimmten in den Wahllokalen ab.
In seiner nächsten Sitzung am 6. Mai wird der Gemeinderat nun darüber beraten, wie er mit dem Ergebnis umgehen wird. Möglich wäre, dass er die Prüfung weiterer Standorte – etwa Patrick-Henry-Village oder das Airfield – beauftragt oder aber dem Land mitteilt, dass es in Heidelberg keine in Frage kommenden Areale gibt.
Oberbürgermeister Eckart Würzner sagte aber nach der Auszählung, er sehe aber weiter einen klaren Auftrag, dem Land einen Standort anzubieten.
"Wir erkennen natürlich den Willen der Bürger vorbehaltlos und vollumfänglich an", teilte ein Sprecher des Innenministeriums mit. "Wir stehen weiter zu der Zusage, das Patrick-Henry-Village zu räumen, um die Entwicklung des neuen Heidelberger Stadtteils dort zu ermöglichen." Allerdings gebe es im Moment keinen Plan B. Nun müsse ein neuer Standort in der Region gefunden werden, wobei schon vor der Entscheidung für die "Wolfsgärten" landesweit sehr lange und intensiv nach geeigneten Flächen gesucht worden war. Das Ministerium setze auf den großen Konsens im Gemeinderat und bei den Heidelberger Bürgern, das Ankunftszentrum in der Stadt am Neckar behalten zu wollen.

Gut 109.000 Bürger konnten beim Bürgerentscheid am Sonntag darüber abstimmen, ob das Land auf dem Gewann Wolfsgärten ein neues Ankunftszentrum für Geflüchtete errichten darf. Aktuell befindet sich die Einrichtung in der ehemaligen US-Siedlung Patrick-Henry-Village im Südwesten Heidelbergs. Dort belegt sie jedoch rund 30 Hektar Fläche.
Das knapp acht Hektar große Areal Wolfsgärten liegt westlich von Wieblingen am Autobahnkreuz Heidelberg und wird derzeit landwirtschaftlich genutzt. Während Land und Stadt argumentierten, dass dort zeitnahe eine ausreichend große und qualitativ hochwertige Einrichtung realisiert werden könne, bezeichneten die Gegner des Vorhabens das Grundstück als zu klein, zu weit abgelegen und zu laut.
Derzeit sind rund 660 Männer, Frauen und Kinder im Ankunftszentrum in Patrick-Henry-Village untergebracht. Dort sind sie registriert und gesundheitlich untersucht worden und stellen ihren Asylantrag. Danach werden die Menschen auf die Stadt- und Landkreise verteilt. Bislang bietet das Zentrum Platz für bis zu 3500 Bewohner und 500 Mitarbeiter. Das Land als Finanzier stellt 100 Millionen Euro für einen Neubau bereit.
Update: Sonntag, 11. April 2021, 20.25 Uhr
Die Auszählung des Bürgerentscheides im Livestream aus dem Rathaus:
Info: Die wichtigsten Fakten zum Bürgerentscheid lesen Sie hier.