Obrigheim ist dem Ausstieg einen Schritt voraus
Als nach der Katastrophe von Fukushima das Aus der Atomkraft in Deutschland kam, war das Kernkraftwerk Obrigheim schon längst im Rückbau.

Von Heiko Schattauer
Mosbach. 10 Jahre ist es her, als mit der Atomkatastrophe von Fukushima das abrupte Ende der Kernenergie in Deutschland eingeläutet wurde. Das Kernkraftwerk Obrigheim (KWO), zu Betriebszeiten immer mal wieder im Fokus von Auseinandersetzungen, war dem Ausstieg da schon voraus. 2005 hatte man den Atommeiler nach fast 37 Jahren vom Netz genommen, 2008 den Rückbau anlaufen lassen. Anlässlich des Jahrestags der Fukushima-Katastrophe haben wir bei der EnbW nach dem aktuellen Abbaustand nachgefragt und mit Bettina Meyer-Kirchner aus der EnBW-Unternehmenskommunikation zugleich nach vorne und zurückgeblickt.
Vor zehn Jahren wurde das Ende der Kernkraft in Deutschland eingeläutet. Können Sie sich erinnern, wie die Nachricht vom Atomausstieg bei der EnBW wirkte?
Die EnBW war 2011 unmittelbar vom Atomausstieg betroffen, weil zwei unserer Kernkraftwerke sofort abgeschaltet werden mussten. Etwa ein halbes Jahr vorher hatte die Bundesregierung noch eine Verlängerung der Laufzeiten beschlossen. Allerdings war die friedliche Nutzung der Kernkraft in Deutschland schon in den davorliegenden Jahren ein oft kontrovers diskutiertes Thema. Für uns war nach dem Ausstiegsbeschluss klar, dass sich das Thema Kernkraft in Deutschland erledigt hat. Ausgehend von dieser Erkenntnis, hatten wir schnell eine klare Vision für die Zukunft und haben 2011 unmittelbar mit der Erarbeitung einer Strategie für den sicheren und zügigen Rückbau für alle unsere Kernkraftwerke begonnen. Diese Strategie haben wir in den vergangenen zehn Jahren konsequent umgesetzt und können heute eine positive Zwischenbilanz ziehen.
Das KWO war zu diesem Zeitpunkt längst abgeschaltet und schon in den ersten Rückbauschritten. War man damit der Zeit einen Schritt voraus? Oder hatte, anders ausgedrückt, einen großen Vorteil, was Ausstiegs- und Rückbaukonzeptionen anging?
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Das KWO ist der Rückbau-Pionier unter den insgesamt fünf EnBW-Kernkraftwerken. Die Erfahrungen, die wir beim Rückbau in Obrigheim sammeln konnten, haben wir im Jahr 2011 unmittelbar bei der Erarbeitung unserer Rückbaustrategie für alle unsere Kernkraftwerke und natürlich bei der konkreten Planung des Rückbaus jeder einzelnen Anlage nutzen können. Insofern ist das Know-how der Obrigheimer Kolleg(inn)en für uns immer schon sehr wertvoll gewesen und ist es immer noch.
In den Folgejahren haben Sie das KWO als eine Art Referenzobjekt für den Rückbau bezeichnet. Eröffnet(e) das Know-how aus dem Abbau gar ein neues Geschäftsfeld, oder war es für die EnBW vor allem mit Blick auf die weiteren Kraftwerke hilfreich?
Wie bereits oben geschildert, floss und fließt das Know-how aus dem Rückbau des KWO insbesondere in den Rückbau unserer anderen Kernkraftwerke ein. Dieser Rückbau steht derzeit auch im Mittelpunkt unserer Arbeit. Richtig ist, dass wir uns nicht nur beim Rückbau von Kernkraftwerken – inklusive der gesamten Prozesskette, die auch die Logistik, die Reststoffbearbeitung sowie die Verwertung und Entsorgung umfasst – umfangreiche Erfahrungen und Fertigkeiten erarbeitet haben, sondern auch insgesamt über weitgehende Kompetenzen bei Planung und Management komplexer Großprojekte verfügen. Wir gehen davon aus, dass dieses Know-how auch später, wenn der Rückbau unserer eigenen Anlagen nicht mehr im Mittelpunkt steht, für die EnBW nützlich sein wird.
Das KWO sollte (ursprünglich) bis 2023 vollständig zurückgebaut sein. Ist dieses Abbau-Abschlussdatum noch aktuell?
Unser Ziel ist nach wie vor, die Rückbauarbeiten in Obrigheim bis Mitte der 2020er-Jahre soweit erledigt zu haben, dass das KWO aus der atomrechtlichen Überwachung entlassen werden kann. Exakter lässt sich das heute noch nicht seriös vorhersagen, aber das Jahr 2023 liegt grundsätzlich innerhalb dieser möglichen zeitlichen Bandbreite.
Geben Sie uns doch bitte ein kleines Update zum Rückbau: Wo steht man aktuell, welche bedeutenden Maßnahmen gab es zuletzt, welche stehen unmittelbar bevor?
Die Abbauarbeiten im Maschinenhaus sind weitgehend abgeschlossen. Der Reaktordruckbehälter (RDB) als früheres Herzstück der Anlage wurde vollständig zerlegt. Ebenso beendet sind im Reaktorgebäude die Abbauarbeiten am "Biologischen Schild" (massive Betonstrukturen, die den RDB umgeben haben), am Reaktorbecken und am früheren Brennelement-Lagerbecken. Begonnen hat nun der Abbau des Reaktorgebäudekrans. Gut voran kommt auch der Rückbau des Lagerbeckens für Brennelemente im Nachbargebäude: Die Arbeiten am eigentlichen Becken sind abgeschlossen, aktuell läuft noch der Abbau des Gebäudekrans. Außerdem stehen noch letzte, jeweils kleinere Abbautätigkeiten von Systemen, Komponenten und Anlagenteilen an. In den Räumen der Kontrollbereiche wurde darüber hinaus damit begonnen, die verbliebenen Gebäudestrukturen auszumessen und bei Bedarf Oberflächen abzutragen.
Rückbau bedeutet auch viel Rückbaumaterial. Welches Material bleibt erst einmal vor Ort (bis Schacht Konrad freigegeben ist), wie viel ist schon auf Deponien (wie Buchen) oder in den Kreislauf zurückgegangen?
Zunächst möchten wir kurz auf die relevanten Kategorien eingehen. Wir gehen davon aus, dass etwa 98 Prozent der gesamten Abbaumasse des KWO (das sind rund 275.000 Tonnen) wieder dem konventionellen Stoffkreislauf zugeführt werden können. Idealerweise zur Wiederverwertung, ansonsten zur konventionellen Beseitigung. Etwa ein Prozent wird voraussichtlich eine spezifische Freigabe als konventioneller Abfall erhalten. Und weniger als ein Prozent sind schwach- bis mittelaktive Abfälle.
Die derzeit in Obrigheim aufbewahrt werden, richtig?
Aktuell lagern rund 1400 Tonnen schwach- bis mittelaktive Abfälle im Obrigheimer Abfallzwischenlager (AZO) des staatlichen Betreibers BGZ Gesellschaft für Zwischenlagerung. Rund 750 Tonnen Material mit spezifischer Freigabe wurden bislang auf Deponien angeliefert. Und rund 10.000 Tonnen aus der Abbaumasse wurden in den konventionellen Stoffkreislauf überführt (Wiederverwertung oder konventionelle Beseitigung inklusive uneingeschränkter Freigabe). Abgebaut wurden in Obrigheim bislang insgesamt knapp 14.000 Tonnen Material.
Und was kommt danach? Gibt es denn schon Pläne für die Zeit nach Abschluss des Rückbaus?
Nach der Entlassung des Kraftwerks aus der atomrechtlichen Überwachung kann eine Nachnutzung von Gebäuden oder deren konventioneller Abriss erfolgen. Konkrete Pläne gibt es derzeit noch nicht.