Philippsburg/Obrigheim

Wie das Atomzeitalter zurückgebaut wird

Zwar verschwinden die beiden regionalen Meiler, allerdings bleibt die Atommüll-Lagerung weiter strittig und ist ungeklärt.

10.03.2021 UPDATE: 11.03.2021 06:00 Uhr 3 Minuten, 48 Sekunden
14. Mai 2020: Die Kühltürme des stillgelegten Atomkraftwerks Philippsburg fallen nach der Sprengung zusammen. Der letzte Block des Kraftwerks wurde am 31. Dezember 2019 abgeschaltet. Foto: dpa

Von Marco Krefting und Carsten Blaue

Philippsburg/Obrigheim. Die Sprengung der Kühltürme am Kraftwerk Philippsburg im Mai 2020, von Protesten begleitete Castor-Transporte mit radioaktivem Müll per Schiff auf dem Neckar von Obrigheim nach Neckarwestheim oder mit der Bahn nach Biblis, demontierte Sicherheitsbehälter: Das sind die Bilder zum Atomausstieg im Südwesten. Zehn Jahre nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima, die in Deutschland den Anfang vom Ende der Kernenergie bedeutete, baut die EnBW vier abgeschaltete Meiler im Südwesten zurück. Bis maximal Ende kommenden Jahres liefert Block II in Neckarwestheim noch Strom. 450 Umweltschützer und Atomkraftgegner haben erst am Sonntag wieder dagegen demonstriert und die sofortige Stilllegung gefordert. Doch ob sofort oder erst Ende 2022: Wenn Neckarwestheim II vom Netz geht, endet eine Ära.

Für Jörg Michels, Geschäftsführer der EnBW Kernkraft GmbH, ist das alles andere als ein Grund zum Trauern. Die EnBW hat die Kehrtwende in der deutschen Energiepolitik nach Fukushima zum Anlass genommen, ihr Geschäft umzukrempeln, verstärkt in erneuerbare Energien zu investieren und sich im Rückbau der Atommeiler zu profilieren. Noch bis 2011 ging es freilich um anderes: um Modernisierung und Laufzeitverlängerungen, erinnert sich Michels. Nachdem die Tsunami-Wellen die japanischen Reaktoren am 11. März jenes Jahres fluteten, sei aber klar gewesen: "Das Thema Kernenergie hat sich in Deutschland erledigt."

Stefan Mappus. Foto: Kreutzer

Noch im selben Jahr wurden acht Atomkraftwerke in Deutschland abgeschaltet, darunter Philippsburg I und Neckarwestheim I. Da war Obrigheim längst vom Netz. Die Laufzeit neun weiterer Anlagen wurde begrenzt, Philippsburg II steht seit Ende 2019 still. Die EnBW hat sich zum Ziel gesetzt, jeden Block innerhalb von zehn bis 15 Jahren so abzubauen, dass die Anlagen nicht mehr unter das Atomgesetz fallen. Nebengebäude etwa könnten auch später abgerissen werden. Die Gesamtkosten beziffert der Energiekonzern mit rund 7,5 Milliarden Euro.

Hintergrund

Erzwungenes Umdenken

Stefan Mappus, damaliger CDU-Ministerpräsident, kam 2011 zur Mittelstandskundgebung des Schriesheimer Mathaisemarkts. Volksfeststimmung, volles Festzelt, Hähnchenduft. Zwei Wochen vor der Landtagswahl wollte Mappus noch mal richtig

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Erzwungenes Umdenken

Stefan Mappus, damaliger CDU-Ministerpräsident, kam 2011 zur Mittelstandskundgebung des Schriesheimer Mathaisemarkts. Volksfeststimmung, volles Festzelt, Hähnchenduft. Zwei Wochen vor der Landtagswahl wollte Mappus noch mal richtig Gas geben. Doch dieser 14. März 2011 war auch drei Tage nach der Katastrophe von Fukushima. Plötzlich dominierte ein ganz anderes Thema. Und schon beim traditionellen Kaffeetrinken im Hotel "Weinstuben Hauser" musste sich der Festredner erklären. Wer hätte gedacht, dass er ausgerechnet im beschaulichen Schriesheim eine Kehrtwende in der Energiepolitik vollziehen muss, nachdem die Kanzlerin am gleichen Tag mit ihrem Moratorium für die Laufzeitverlängerung der Atommeiler vorgelegt hatte?

Mappus galt bis dahin als deren leidenschaftlicher Verfechter. Jetzt ist er genötigt, vor dem goldgerahmten Alpenpanorama in Öl zu sagen, er glaube schon, dass es beim Thema Kernkraft "eine Zäsur" gegeben habe und dass er seine Position "hinterfragen" müsse. Daher sei die Aussetzung der Laufzeitverlängerung richtig. Es sei auch richtig, "alles neu zu bewerten" und Inspektoren in die Atomkraftwerke zu schicken. Man könne angesichts Zehntausender Toter nicht sagen: "Die Kraftwerke sind sicher, das war’s, und weiter so".

Doch aus dem erzwungenen Einsichtsmodus schaltete er schnell auf Angriff. Wenn man aus der Kernkraft aussteigen wolle, müsse man anderes schneller voranbringen, "Netze für erneuerbare Energien zum Beispiel". Da sah er die Grünen in der Pflicht: "Denn ich mache die Arbeitsteilung nicht mit, dass die CDU für die Netze und die Grünen für den Ausstieg aus der Kernkraft zuständig sind."

Sprach’s, stand auf und ging draußen an einer Handvoll Demonstranten vorbei, die "Abschalten!" riefen. "Die werden auch immer leiser", sagte Mappus noch und betrat unter Jubel das Festzelt. Später erhob man sich für eine Gedenkminute. Doch dann war der Ministerpräsident schnell bei anderen Themen. Langer Applaus nach 30 Minuten. Gebracht hat es trotzdem nichts, wie man weiß. (cab)

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Dafür mussten völlig neue Herangehensweisen entwickelt werden. EnBW setzte auf das Know-how der rund 1500 Mitarbeiter, die nicht der guten alten Zeit nachgetrauert, sondern beim Kurswechsel mit angepackt hätten. Genutzt wurden bewährte Techniken wie Bandsäge, Plasmaschneider oder Kohlenstoffschwert. Immer wieder neue Aufgaben galt es zu lösen. Die Kollegen hätten Expertise entwickelt, die sie später bei anderen Großprojekten nutzen könnten, so Michels.

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Der Lerneffekt dabei war deutlich: Während der Rückbau von Obrigheim in vier Schritten genehmigt wurde, gaben Behörden bei Philippsburg II in einem Rutsch grünes Licht. Das war das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik – und die Genehmigung lag sogar schon vor, bevor der Meiler überhaupt abgeschaltet war. "Es macht echt Spaß zu sehen, wenn das so klappt", freut sich Michels. Zur Einordnung: Die Unterlagen für ein solches Verfahren füllen rund 50 Aktenordner. Alle Genehmigungen für den weiteren Abbau seien erteilt, so eine Sprecherin des seit der Landtagswahl 2011 grün geführten Umweltministeriums.

Wichtig sei nun, dass der Abtransport von Abfällen, die zur konventionellen Deponierung freigegeben werden, nicht ins Stocken gerate. Sollten größere Mengen am Kraftwerksstandort gelagert werden müssen, könnte das zu räumlichen Engpässen führen. Da ein großer Teil der nicht-kontaminierten Baumaterialien recycelt werden muss, baut EnBW an den Kraftwerken Reststoffbearbeitungszentren. Ein weiteres nahm jetzt in Philippsburg seine Arbeit auf. Darin wird der radioaktiv belastete Müll gereinigt. Schwach- bis mittelaktiver Abfall soll nach der Zwischenlagerung in das noch nicht in Betrieb genommene Endlager Schacht Konrad gebracht werden. In diese Kategorie fällt nur etwa ein Prozent der Gesamtmasse. Und die beträgt je nach Kraftwerk zwischen 275.000 Tonnen (Obrigheim) und 783.000 Tonnen (Philippsburg II).

Zwischenlagern muss man auch die ausgedienten Brennelemente aus den Reaktoren, bis der Standort für ein Endlager gefunden ist. Ende September 2020 hatte die Bundesgesellschaft für Endlagerung mögliche Gebiete in Deutschland definiert, vier davon in Baden-Württemberg. Die Rheinebene ist laut der Teilgebietskarte aber ausgenommen. Die Suche soll jedenfalls in zehn Jahren abgeschlossen und das Lager spätestens 2050 betriebsbereit sein. Solange lagert dieser Atommüll in den Standortzwischenlagern.

In Neckarwestheim ist Platz für 151 Castoren. 125 davon brauchte man für Material des eigenen Standorts. So konnten die 15 aus Obrigheim noch dazugestellt werden. Philippsburg hat 152 Plätze, von denen 62 derzeit belegt sind. Frühestens im kommenden Herbst sollen hier weitere Castoren eingelagert werden – fünf Stück aus der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague am Atlantik. Sechs Castoren aus dem englischen Sellafield wurden erst im vergangenen November – verzögert durch die Corona-Pandemie – auf dem Kraftwerksgelände in Biblis eingelagert. Es war die letzte Lieferung, obwohl nur 108 der 135 erlaubten Plätze belegt sind. Die Genehmigungen dieser Zwischenlager laufen zwischen 2034 und 2046 aus. Und dann?

Eine Frage, die Atomkraftgegner und Umweltschützer umtreibt. Der BUND fordert eine Debatte über die Zwischenlagerung, zumal er das Endlagerszenario bis 2050 für unrealistisch hält. Zudem sind die Zwischenlager für den Naturschutzbund ohnehin ein Sicherheitsrisiko. Reparatur- und Inspektionsmöglichkeiten würden fehlen. Zudem sei der Schutz gegen Terroranschläge nicht ausreichend. Auch Herbert Würth von der Initiative "Castor-stoppen" sieht in den Transporten der Behälter nichts anderes als den Ausdruck des ungelösten Problems der Endlagerung.

Was die EnBW angeht, gehört die Initiative ".ausgestrahlt – gemeinsam gegen atomenergie" zu den Kritikern: "EnBW trägt ein grünes Image vor sich her, versucht jedoch, seine gefährlichen Atomkraftwerke bis zum allerletzten gesetzlich erlaubten Tag in Betrieb zu halten", so ".ausgestrahlt"-Sprecher Jochen Stay. Das passe nicht zusammen. "Offenbar ist der Konzern immer noch dazu bereit, große Risiken für die Bevölkerung in Kauf zu nehmen und kommenden Generationen einen wachsenden Atommüll-Berg zu vererben, so lange sich mit den alten Anlagen noch Gewinne erwirtschaften lassen."

Und diese entstünden auch nur deshalb, weil sich der Energiekonzern, wie die anderen Kernkraftwerksbetreiber auch, von den Kostenrisiken der Atommüll-Lagerung mit einer Einmalzahlung freigekauft habe, so Stay. Die Allgemeinheit müsse nun zahlen, wenn es teurer werde als gedacht. Die alten Grabenkämpfe scheinen noch nicht überwunden zu sein.

Derweil arbeitet der Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW, eine hundertprozentige Tochtergesellschaft des EnBW-Konzerns, daran, eine Lücke in der atomfreien Energieversorgung zu schließen. Auf dem Gelände in Philippsburg entsteht ein Konverter, der Gleichstrom in Wechselstrom umwandeln wird. Das rund 500 Millionen Euro teure Umspannwerk soll 2024 fertig sein – als südlicher Endpunkt einer Leitung von Emden nach Philippsburg, die künftig Strom aus erneuerbaren Energien von Nord nach Süd transportiert.

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