Die Kulturgemeinde Weinheim ist Geschichte
Nach 72 Jahren löste sich der Verein am Donnerstagabend auf

Von Günther Grosch
Weinheim. 72 Jahre nach ihrer Gründung ist die zuletzt noch 114 Mitglieder zählende "Kulturgemeinde Weinheim" in ihrer bisherigen Form Geschichte. Um exakt 18.33 Uhr votierten am frühen Donnerstagabend im Verlauf der außerordentlichen Mitgliederversammlung die 17 anwesenden Mitglieder der Bühnentheater- und Kammermusik-Abteilung einstimmig für die Auflösung des Vereins. Beide Sparten sollen im städtischen Kulturbüro angesiedelt werden. Dafür hatte sich tags zuvor der Kulturausschuss des Gemeinderats stark gemacht (die RNZ berichtete).
Die endgültige Entscheidung fällt der Gesamtgemeinderat am Mittwoch, 22. Juli. Die Bündelung der Kräfte in der kommunalen Kulturkonzeption sei zielführend. In der Symbiose mit dem Kulturbüro, der Touristinformation und dem Stadtmarketing könnten "Modernisierungen im Programm, beim Image und bei der Werbung sowie die Öffnung für weitere Zielgruppen besser gelingen", hatte die seit 22 Jahren als Vorsitzende amtierende Angelika Hauß-Keßler noch ein optimistisches Zukunftsbild gezeichnet.
"Diese Zusammenarbeit bietet unter einem neuen Konzept Planungssicherheit und beste Chancen für einen erfolgversprechenden Neuanfang", so Hauß-Keßler. Zuletzt war der Verein angesichts kontinuierlich zurückgehender Abonnentenzahlen "vier Jahre lang dem Geld nachgerannt". Hatten in der Spielzeit 2015/16 noch rund 11.000 Besucher die Angebote von Schauspiel, Musicals, Kindertheater und Konzerten genutzt, waren es drei Spielzeiten später mehr als 2000 weniger.
Die Auflösung des Vereins stimme ihn traurig, so Geschäftsführer Martin Grieb, der dieses Amt in der Nachfolge von Hanno Stein seit 2014 innehatte. Mit dem Votum verbinde er dennoch eine Aufbruchstimmung, denn die Kulturgemeinde könne diesen Schritt "guten Gewissens" gehen. Grieb soll das Amt des Geschäftsführers auch in Zukunft weiterführen.
Auch interessant
Bei Einnahmen in Höhe von 240.667 Euro und Ausgaben in Höhe von 227.403 Euro habe die Kulturgemeinde die Spielzeit 2019/20 mit einem Plus von 13.264 Euro beendet, legte Hauß-Keßler die Bilanz vor. Den Übertrag aus dem Vorjahr eingerechnet, verfüge die Kulturgemeinde in ihrem Abschluss zum 30. Juni über ein Barvermögen von 34.246 Euro. Darin enthalten sind indes bereits getätigte Einnahmen aus Kartenvorverkäufen für acht geplante Veranstaltungen: Allein für das ursprünglich auf 22. Mai 2021 terminierte Musical mit dem Holzwurm-Theater wurden Tickets im Wert von 6826 Euro verkauft. Die anderen noch möglichen Ticketrückforderungen addieren diese Gelder auf einen mittleren fünfstelligen Betrag. Im Klartext, so Hauß-Keßler: "Unser tatsächliches Barvermögen zum Ende des Geschäftsjahres am 30. Juni 2020 beläuft sich auf 4420 Euro."
Nicht unberechtigt erscheinende Hoffnungen setzen sie und Grieb darauf, dass ein Großteil der treuen Theater- und Konzertfreunde als "Gläubiger" auf eine Rückerstattung bereits bezahlter Tickets verzichten. "Wer verzichtet, bekommt für seine Ausgaben eine Spendenquittung", verspricht Hauß-Keßler. Die Gelder würden zweckgebunden verwendet. Weil die Spielzeit 2020/21 coronabedingt ausfällt und erst ab dem Herbst 2021 wieder mit Theater und Konzerten zu rechnen ist, werden für die laufende Saison keine Mitgliedsbeiträge erhoben. Dennoch hofft der Vorstand, bereits im Frühjahr 2021 doch "die eine oder andere Vorstellung, die bereits gebucht war", anbieten zu können.
Als Revisor bescheinigte Richard Stamm auch im Namen seines Kollegen Hermann Müller der Vorstandschaft eine korrekte Buchführung. Heinrich Hornef beantragte die einstimmig erteilte Entlastung von Vorstand und Geschäftsführer und lobte deren "Einsatz und Ideen für stets interessante und vielseitige Programmangebote mit Künstlern von hohem Rang".
Mit Tagesordnungspunkt 11 war die Stunde gekommen, um über die Auflösung des Vereins und dessen Fortführung mithilfe eines anderen Organisationsansatzes zu befinden. Bereits am 10. Dezember hatte sich die Vorstandschaft bei der ordentlichen Mitgliederversammlung ein "positives Vor-Votum" eingeholt. Mit Hauß-Keßler, Susanne Müller als Vorsitzender des Kammermusikvereins sowie Christa Ohligmacher wurde das Liquidationsgremium bestimmt, es soll die Eingliederung ins Kulturbüro begleiten.
Ebenso einmütig erfolgte der Beschluss, das Restvermögen an die Stadt Weinheim zu übergeben, zweckgebunden für kulturelle Aktivitäten. Wenig später war die "Kulturgemeinde Weinheim" mit einem Dank an Mitglieder, Zuschauer, Abonnenten und Unterstützer Historie. Verbunden mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft: Denn, so Stadträtin Stella Kirgiane-Efremidou (SPD): "Eine Stadt wie Weinheim ohne Theater- und Konzertaufführungen ist nicht vorstellbar."