Luftkurort erstickt in alter Kleidung
Container laufen in Wilhelmsfeld über - Sammlungsunternehmen kommt nicht hinterher - Bürgermeister Oeldorf spricht von Sauerei

Von Christoph Moll
Wilhelmsfeld. Decken, Sitzkissen und sogar ein alter Koffer: Es sind längst nicht nur Kleider und Schuhe, die sich derzeit vor den Containern des Unternehmens "Texaid" im Luftkurort stapeln. Da die Altkleidercontainer voll sind und überlaufen, wird immer mehr vornedran geworfen. Schlimm sieht es am Wilka-Markt in der Ortsmitte aus, noch schlimmer am Restaurant "La Dolce Vita" am Ortsausgang Richtung Schriesheim und Heidelberg.
Dessen Pächter sind ratlos. "Die beiden Container waren schon vor Corona voll", berichtet Jaroslava Stagliano. "Meistens werden sie von alleine geleert, wir mussten aber auch schon oft anrufen." Das haben die Gastronomen nun schon mehrfach getan. "Es heißt immer: Wir kümmern uns und holen ab", erzählt Stagliano. Auch der Eigentümer des Grundstücks, der die Fläche für die Container an das Unternehmen vermietet hat, habe schon interveniert – ohne Erfolg. Nun überlege man, ob man den Haufen auf eigene Kosten entsorgen lässt, wenn nichts passiert. Die Inhaber des Restaurants ärgert vor allem, dass Leute immer mehr Kleidung dazulegen, obwohl die Container voll sind. "Und es wird drin rumgewühlt, sodass bei Regen alles nass wird", berichten sie. "Die Gäste wissen, dass es nicht unsere Schuld ist, aber es ist unappetitlich."
Hintergrund
> Die "Texaid Textilverwertungs-Aktiengesellschaft" wurde im Jahr 1978 gegründet und hat ihren Sitz in der Schweiz. Es handelt sich um ein kommerzielles Unternehmen für Altkleiderverwertung. Die Firma gehört zu den größten Organisationen für das Sammeln, Sortieren und
> Die "Texaid Textilverwertungs-Aktiengesellschaft" wurde im Jahr 1978 gegründet und hat ihren Sitz in der Schweiz. Es handelt sich um ein kommerzielles Unternehmen für Altkleiderverwertung. Die Firma gehört zu den größten Organisationen für das Sammeln, Sortieren und Verwerten von gebrauchten Textilien in Europa. Seit dem Jahr 2009 ist Texaid auch in Deutschland aktiv, wo es auch Secondhand-Shops betreibt. Weitere Standorte befinden sich in Österreich, Bulgarien, Ungarn und Marokko. "Wir haben weltweit Abnehmer und zertifizierte Sortierbetriebe", berichtet Infrastruktur-Chef Nico Briske. "Es handelt sich um einen geschlossenen Kreislauf." Was in Deutschland komme, solle auch wieder hier landen. "65 Prozent der Textilien werden als Kleider im Secondhand-Kreislauf wiederverwendet", betont Briske. Wegen Corona seien die Lager derzeit "mehr als gefüllt". Statt einer Kapazität von 1500 Tonnen werden dank dreier neuer Lager wegen des hohen Aufkommens 6000 Tonnen vorgehalten. "Texaid" sammle nur Textilien und Schuhe, betont Briske. "Sperrmüll wie Sofas und tote Katzen dürfen wir nicht mitnehmen." Dies sei ein Problem des Eigentümers des Grundstücks, auf dem der Container steht. Man sei aber fast immer so kulant und nehme fast alles mit. cm
Die RNZ fragte bei "Texaid" mit Sitz in Darmstadt nach. Dessen Infrastruktur-Leiter berichtet, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt, sondern um ein flächendeckendes Problem. "Unwahrscheinlich viele Leute haben die Corona-Zeit genutzt, um ihre Kleiderschränke zu leeren", sagt er und gibt zu: "Wir kommen mit dem Leeren der Container nicht mehr nach und werden der Flut nicht mehr Herr." Viele Mitarbeiter würden 60 statt 40 Stunden pro Woche arbeiten, und man setze ein Drittel mehr Fahrer als Subunternehmer ein, doch es reiche noch nicht. "Wo sonst einmal pro Woche Container voll sind, sind es jetzt zweimal", so Briske. Verschärfend kommt hinzu, dass Texaid als einziger Textilverwerter seine Container während der Corona-Zeit nicht geschlossen hat. "Also geben alle Leute bei uns ab", so der Infrastrukturchef. "Dann passiert so etwas."
Und noch einmal werde die Situation dadurch verschärft, dass der Markt für Altkleider wegen Corona eingebrochen sei. Wo sonst sechs Lastwagen pro Woche die Lager verließen, seien es nun nur noch ein bis zwei Lkw. "Wir kriegen die Menge nicht mehr los", macht Briske deutlich. "Wir sind uns aber unserer Verantwortung gegenüber unseren Vertragspartnern bewusst und sammeln weiter." Denn Verträge würden "in guten wie in schlechten Zeiten" gelten. "Wir machen zwar im Moment Minus, aber haben eine moralische Verpflichtung", meint der Texaid-Mitarbeiter.
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Dass Container "über Wochen" nicht geleert werden, komme nur "in den seltensten Fällen" vor, so Briske. "Es ist aber generell nicht auszuschließen." Im sozialen Netzwerk Facebook erkannte eine Frau Schuhe wieder, die sie vor zwei Monaten in einen Container geworfen habe. Diese lagen nun davor. Die Leerungsrhythmen würden mit Computersystemen optimiert, die aus der Vergangenheit lernen und "nur schwer beeinflussbar" seien. "Wir kommen vorbei – auch wenn es oft nicht so aussieht", betont Briske. Denn oft seien die Container schon am nächsten Tag wieder voll. "Die Leute warten regelrecht drauf", so Briske, der appelliert, nichts neben volle Container zu legen. "Die Ware wird dadurch nicht besser", meint er. "Da muss sich jeder selbst an die eigene Nase fassen."
Auch Christoph Oeldorf sind die Müllberge ein Dorn im Auge. Doch dem Bürgermeister sind die Hände gebunden, da diese auf Privatgelände liegen. Rechtlich sei die Gemeinde nicht zuständig, ihn hätte bisher auch keine Bitte nach Unterstützung durch die Eigentümer erreicht. Dass die Gemeinde aber etwas Druck ausübe, sei möglich. "Es ist eine Sauerei, dass Leute einfach Säcke vornedranwerfen und das Ortsbild verschandeln", ärgert sich Oeldorf. "Das ist das eigentliche Problem." Der Bürgermeister weist daraufhin, dass es sich nicht um eine gemeinnützige Spende handelt, sondern die Kleidung kommerziell weiterverwertet würde – zum Beispiel geschreddert als Dämmmaterial in Autos (siehe Hintergrund oben links). "Wenn es keine Container geben würde, hätten wir aber auch ein Problem", so Oeldorf. "Auf öffentlichem Grund würde ich diese aber niemals aufstellen."
In der Nachbarstadt Schönau waren sieben aufgestellte Container übrigens auch übergelaufen. Dort wurde bereits gehandelt: "Wir haben die Container aktuell bei uns eingelagert, da Texaid mit der Abholung nicht nachkam", berichtet Bürgermeister Matthias Frick. "Die Folge waren starke Ansammlungen von Altkleidern rund um die Container, was ich nicht länger hinnehmen konnte." Derzeit suche die Stadt nach einer Lösung. Der Unterschied: Die Schönauer Container standen auf öffentlichem Grund.