Eitelkeit, Führungsversagen, Machtmissbrauch und falsch verstandene Wissenschaftsfreiheit
Mit gnadenloser Präzision arbeitet die Unabhängige Kommission den Heidelberger Bluttest-Skandal auf - Ihr vorläufiges Fazit: Es war alles noch viel schlimmer.

Deutliche Worte vor der bundesweiten Presse: Die Leiter der Unabhängigen Kommission, Prof. Matthias Kleiner (links) und Dr. Christine Hohmann-Dennhardt (rechts) äußerten in einem Seminarsaal des Universitätsklinikums gestern deutliche Kritik an der Führungsebene des Universitätsklinikums. Aufsichtsratsvorsitzende Simone Schwanitz (Mitte) hörte gut zu. Foto: Rothe
Von Klaus Welzel und Sebastian Riemer
Heidelberg. Nein, man möchte nicht in der Haut von Christof Sohn stecken. Denn der Chef der Universitätsfrauenklinik ist der Hauptschuldige im Heidelberger Bluttest-Skandal. Er drängte zu der voreilig einberufenen Pressekonferenz, er wollte auf einem Fortbildungskongress für Gynäkologen, der dafür gar nicht geeignet ist, "Zwischenergebnisse" präsentieren, er schlug Warnungen seiner Untergebenen in den Wind, er setzte die eigentlich erfolgreiche Forscherin Rongxi Yang ab, er holte den fachfremden Investor Jürgen Harder ins Bluttest-Geschäft (siehe Hintergrund) und er gab der "Bild"-Zeitung ein Interview, das als Auftakt für den größten PR-Gau in der Geschichte der Universität Heidelberg samt ihres Klinikums gesehen wird.
Es ist ein für Sohn äußerst bitteres Fazit, das die beiden Vorsitzenden der sogenannten Unabhängigen Kommission, Matthias Kleiner und Christine Hohmann-Dennhardt, am Dienstagmittag vor der nationalen Presse ziehen. Schlimmer hätte es nicht kommen können. Vor allem Kleiner, Präsident der renommierten Leibniz-Gesellschaft, ließ es nicht an Deutlichkeit vermissen, als er Sohns "Führungsversagen" am Ende der gut einstündigen Pressekonferenz geißelte. Bezüglich des Umgangs mit Yang sagte Kleiner: "Für mich wäre es undenkbar, dass ich in meinem Institut eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter aus einem Projekt herausnehme, sie isoliere, sie mich mehrfach darum bittet, mit mir sprechen zu können, und ich kein Gespräch mit ihr führe." Und genau darin sehe er eben jenes "glasklare Führungsversagen".
Dazu muss man wissen, dass die Kommission - und mit ihr die Aufsichtsratsvorsitzende Simone Schwanitz - der Meinung sind, dass der Bluttest-Skandal gar nicht mit der missglückten PR-Kampagne vom 21. Februar begann, sondern mit der Entlassung Yangs 2017. Damals, so sagt es die Kommissionsvorsitzende Hohmann-Dennhardt, sei Yang "ohne nachvollziehbare Gründe" von Professor Sohn als Projektleiterin geschasst worden. Dass dieser das bestreitet und der Auflösungsvertrag gar nicht seine Unterschrift trägt, wurde an diesem Tag der Aufklärung nicht thematisiert.
Das Urteil der Kommission wiegt schwer. Tonnenschwer. Von den Abläufen her bestätigt sie im Wesentlichen all das, was zuvor bereits in der RNZ stand: Yang wurde unter fadenscheinigen Gründen ausgebootet. Die unerfahrene Forscherin Sarah Schott führte von nun an das Team. Die Ergebnisse Yangs waren nicht mehr reproduzierbar. Und die Fördergelder durch das Start-up-Programm "Exist" des Bundeswirtschaftsministeriums waren weg, da personengebunden an Yang. Fehler über Fehler.
Auch interessant
Hintergrund
Und was war Harders Rolle?
Jürgen Harder, vorbestrafter Unternehmer aus Hockenheim, ist eine illustre Figur. Bei der Heiscreen-Firma stieg er im Oktober 2017 als Freund von Christof Sohn ein. Der Frauenklinik-Chef drückte ihn als Investor durch. Und
Und was war Harders Rolle?
Jürgen Harder, vorbestrafter Unternehmer aus Hockenheim, ist eine illustre Figur. Bei der Heiscreen-Firma stieg er im Oktober 2017 als Freund von Christof Sohn ein. Der Frauenklinik-Chef drückte ihn als Investor durch. Und das, obwohl es laut Kommission mit dem "High-Tech Gründerfonds" einen in den Lebenswissenschaften viel erfahreneren Interessenten gegeben hatte.
Mit Harders Einstieg in den Brustkrebs-Bluttest habe es "schon einen Umschwung hin zu einem kommerziellen Interesse" gegeben, so die Kommission. Jedoch sei der Investor nicht unangemessen vorgegangen, habe stets eine klare Linie gehabt und der Wissenschaft vertraut. Dass er wegen des vertraglich festgelegten und nicht gehaltenen Versprechens, der Bluttest erreiche eine Trefferquote von 100 Prozent, Schadensersatz fordere, ist aus Sicht der Kommission nachvollziehbar. Auch den Zeitpunkt der PR-Kampagne habe er nicht forciert. Jedoch war Harder es wohl, der Ex-"Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann als eine Art freundschaftlichen Berater ins Boot holte. (rie)
Mehr als 10.000 Seiten wurden erst durch die Mannheimer Anwaltskanzlei Schilling, Zutt & Anschütz ausgewertet und vorsortiert und dann von den sieben Kommissionsmitgliedern gelesen. Darunter auch der Aufhebungsvertrag mit Yang, wie Kleiner auf RNZ-Nachfrage versichert. Er spricht von "einer unangemessenen Entscheidung der Projektleitung". Und meint Sohn. Dieser habe "das Forschungsprojekt an sich gezogen".
Was auffällt an diesem leicht schwülen Sommertag: Sohn ist nicht der einzige Schuldige. Und die Pressemitteilung, die anschließend verteilt wird, weicht in ihrer Bewertung in Teilen von dem Vortrag der beiden Kommissionspräsidenten ab. So entlasten Kleiner und Hohmann-Dennhardt weitgehend den Klinik-Justiziar und TTH-Chef Markus Jones, wenn es um die verunglückte PR-Kampagne und die voreilige Bekanntgabe des Bluttestes geht.
Umgekehrt - und darauf hebt die Presseerklärung ab - war es aber Jones, der alleine zwei Anwälten des Sohn-Freundes und Investors Jürgen Harder gegenüberstand. Und der die 100-Prozent-Ergebnisse aus einem alten Businessplan zu Zeiten Yangs in den Vertrag mit Harder einarbeitete - und das obwohl das neue Team von Sarah Schott statt 100 Prozent Treffern maximal 70 bis 80 Prozent meldete. Daraus leitete Harder Schadenersatzansprüche ab.

Jürgen Harder. Foto: dpa
Das mit den 100 Prozent sei wohl "so durchgerutscht", berichteten die Kommissionsmitglieder sichtlich erschüttert. Beim TTH ist man anderer Meinung: Dem Vertrag sei der jüngste Businessplan zugrundegelegen - mit klarem Hinweis auf die kleinen Fallzahlen, auf denen die 100 Prozent basierten.
Kleiner wiederum machte deutlich, wie unzulänglich der auf dem Gynäkologenkongress vorgestellte Test ist: Bei einem Drittel der kranken Frauen würde er eine Krebserkrankung übersehen und bei einem Drittel der gesunden Frauen würde er einen nichtvorhandenen Krebs "erkennen". Durchbruch? Meilenstein? Mitnichten.
Doch wie konnte es dann zu der Pressekonferenz am 21. Februar kommen? Kleiners Antwort: "Eitelkeit". Eitelkeit, die er bei Sohn, möglicherweise aber auch beim Dekan der Medizinischen Fakultät, Andreas Draguhn, vermutet. Dazu kämen "Machtmissbrauch", "falsch verstandene Rücksicht auf Kollegen" und "falsch verstandene wissenschaftliche Freiheit".
Die beiden letzteren Punkte treffen die Vorsitzende des Vorstands, Annette Grüters-Kieslich, die noch kurz vor der Pressekonferenz von Projektleiterin Schott gewarnt worden sei. Vergeblich. Es sei zu spät, auch wiege die wissenschaftliche Freiheit schwer. Eine Argumentation, die Hohmann-Dennhardt nicht nachvollziehen kann. Eine Pressekonferenz könne man auch ganz knapp absagen, ohne die Gründe zu nennen. Und wissenschaftliche Freiheit beziehe sich nicht darauf, Dinge zu verbreiten, die nicht wahr seien.
Und es gab ja noch mehr Warnungen: Ein Uni-Statistiker habe sich an Sohn und Schott gewandt, "die Zahlen seien noch überhaupt nicht stabil". Schott wiederum wandte sich auch an ihren Vorgesetzten Sohn und den früheren "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann, der das Bluttest-Projekt aus bis heute nicht nachvollziehbaren Gründen begleitete. Schließlich warnte die Sprecherin des Klinikums, Doris Rübsam-Brodkorb, in Mails vor einem PR-Desaster. Trotzdem kam es so weit. Die treibende Kraft: Sohn.
Das Fazit der Kommission ist vernichtend. Vernichtend für den Forscher Sohn. Vernichtend aber auch für Teile des Vorstands. Insbesondere die Leitende Ärztliche Direktorin Grüters-Kieslich war bestens im Vorfeld informiert. Der Dekan der Medizinischen Fakultät, Draguhn, ebenfalls. Er hatte zudem die Aufgabe, ein klärendes Gespräch mit Sohn bezüglich der Validität der Daten zu führen - ein Ansinnen, auf das nach RNZ-Informationen vor allem Markus Jones gedrungen haben soll. Nichts passierte.
Und jetzt? Der Aufsichtsrat wollte die Ergebnisse des Kommissionsberichts "intensiv" diskutieren, wie die Vorsitzende Schwanitz sagte. Auch mit dem Vorstand stünde noch ein Gespräch an. Das sollte bis in den Abend gehen. Personelle Konsequenzen dürften zunächst keine anstehen. Der Aufsichtsrat müsse nun "auseinanderdröseln, wo genau die Verantwortlichkeiten liegen". In ihrem Fazit ordnete Schwanitz die Hauptschuld aber schon einmal Professor Sohn zu - den wiederum nur die Uni maßregeln kann. Gehört wurde er bereits. Aber nicht von der Kommission, sondern von den Anwälten. Letzte Woche. Dreieinhalb Stunden. Als Sohn entlastende Unterlagen einbringen wollte, hieß es: "Nein, wir haben schon alles." Wie gesagt: Man möchte nicht in seiner Haut stecken.