Was die Anwälte für das Uniklinikum machen
Mehrere Kanzleien bearbeiten den Fall – "Gleichbehandlung ist nicht unsere Aufgabe"

Von Klaus Welzel
Heidelberg. Was wäre eigentlich, wenn es keine Informanten gäbe? Menschen, die sich an Journalisten wenden, weil sie Ungerechtigkeit nicht hinnehmen möchten. Menschen, denen es gegen den Strich geht, wenn etwas vertuscht wird. Menschen - und hier wird es konkret -, die den Ruf der Universität Heidelberg und ihres Klinikums schützen wollen.
Dann sähe es ziemlich mau aus im Skandal um den Bluttest zur Brustkrebsfrüherkennung. Dann wären wir immer noch dort, wo wir Ende Februar waren: Der Chef der Unifrauenklinik hat etwas übertrieben, den Mund vielleicht zu voll genommen und dadurch viele Frauen enttäuscht. Schade drum. Weiter so.
Hintergrund
Die Chronologie des Versagens am Universitätsklinikum Heidelberg
> November 2015: Ein Team am Universitätsfrauenklinikum forscht nach einem Bluttest zur Brustkrebsfrüherkennung - und glaubt fündig geworden zu sein. Die
Die Chronologie des Versagens am Universitätsklinikum Heidelberg
> November 2015: Ein Team am Universitätsfrauenklinikum forscht nach einem Bluttest zur Brustkrebsfrüherkennung - und glaubt fündig geworden zu sein. Die Forscherinnen Rongxi Yang und Barbara Burwinkel melden erste Erfolge.
> April 2016: Yang erhält eine Förderzusage vom Wirtschaftsministerium im Rahmen des Exist-Programms: 855.000 Euro für drei Jahre.
> November 2016: Die chinesische Firma NKY Medical verhandelt mit Yang und der Technology Transfer Heidelberg GmbH (TTH) über einen Einstieg beim Bluttest. Alle gehen von einer Trefferquote des Tests zwischen 95 und 100 Prozent aus.
> März 2017: Yang fällt am Uniklinikum in Ungnade - angeblich, weil sie den Deal mit NKY zum Platzen brachte. Sie wird Ende März als Projektleiterin abgesetzt und verlässt wenig später die Klinik. Das Wirtschaftsministerium beendet die Förderung vorzeitig. Yang wirft Frauenklinikchef Christof Sohn und der neuen Projektleiterin Sarah Schott vor, die Lorbeeren für den Brustkrebstest einstreichen zu wollen.
> Juni 2017: Das neue Team um Schott erzielt bei der Auswertung des Bluttests nicht die gleichen Spitzenwerte wie Yang.
> Oktober 2017: Die Heiscreen GmbH wird gegründet. Der Unternehmer Jürgen Harder ist über die "MSB Mammascreen Beteiligungs GmbH" mit 39,2 Prozent beteiligt - und besitzt ein Vorzugsrecht. Die TTH hält 48,6 Prozent der Anteile, Sohn 4,9 und Schott 7,3 Prozent. Eine zweite Firma, die Heiscreen NKY GmbH, soll den Bluttest in China vermarkten. Hier hält die TTH 80 Prozent der Anteile, Sohn acht und Schott zwölf Prozent. Die beiden Ärzte fliegen im November nach China und unterzeichnen eine Absichtserklärung für eine Kooperation mit NKY Medical.
> 17. April 2018: Sarah Schott und ihr Team präsentieren die aktuellen Daten in großer Runde - auch Harder und der Ex-Chefredakteur der "Bild"-Zeitung, Kai Diekmann, sind dabei. "Jetzt wussten wir alle: Der Test taugt nichts", sagt nach dem Treffen einer, der dabei war.
> Dezember 2018: Nach und nach verbessern sich die Werte im Team Schott, auch wenn der Bluttest keine 100-Prozent-Trefferquote erreicht, wie dies Yang gemeldet hatte. Bei der Heiscreen GmbH wächst die Zuversicht, den Test demnächst präsentieren zu können.
> 31. Januar 2019: Die interne Abstimmung zwischen Heiscreen, Uniklinikum, TTH und den Forschern ergibt: Am 21. Februar sollen die "Zwischenergebnisse" bei einem Kongress in Düsseldorf von Prof. Sohn präsentiert werden. Für den gleichen Tag ist eine Pressekonferenz geplant.
> 21. Februar 2019: "Weltsensation aus Heidelberg: Bluttest erkennt Brustkrebs", schreibt die "Bild"-Zeitung groß auf ihrer Titelseite. Das Uniklinikum schickt eine Mitteilung über den "ersten marktfähigen Bluttest für Brustkrebs", der ein "Meilenstein der Brustkrebsdiagnostik" sei, an alle Medien. In Düsseldorf geben Sohn und Schott eine Pressekonferenz. Die RNZ deckt später auf, dass der Klinikvorstand frühzeitig in die PR-Kampagne - für welche die Agentur "Deekeling Arndt" 80.000 Euro in Rechnung stellte -, eingeweiht war. Selbst das Sohn-Interview in der "Bild" wurde in der Pressestelle und im Vorstand vorab gegengelesen.
> März 2019: Der Aktienkurs der Firma NKY Medical steigt und steigt: zwischen 21. Februar und 25. März um über 55 Prozent - so ermittelte es die RNZ. Zugleich tauchen immer mehr Ungereimtheiten rund um den Brustkrebstest auf. Die Uniklinik taucht ab - und ignoriert die meisten Fragen der RNZ. Bundesweit hagelt es Kritik.
> April 2019: Die Uniklinik stellt "Anzeige gegen Unbekannt unter allen rechtlichen Gesichtspunkten". Wenig später übernimmt die Staatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität Mannheim die Ermittlungen. Im Raum stehen zahlreiche Vorwürfe - etwa Insiderhandel. Der Aufsichtsrat des Uniklinikums entzieht dem Vorstand die Aufklärung des Bluttest-Skandals. In mehreren Gesprächen mit der RNZ sagt die Leitende Ärztliche Direktorin des Uniklinikums, Annette Grüters-Kieslich, weiterhin die Unwahrheit darüber, wie frühzeitig und umfangreich sie von der PR-Kampagne und dem "Bild"-Interview wussten. In der Uniklinik beginnt ein offener Machtkampf: Rücktritte von Vorstandsmitgliedern werden gefordert und zurückgewiesen.
> Mai 2019: Markus Jones, der für die Uniklinik bei TTH in der Geschäftsführung saß, wird freigestellt - offiziell wegen möglicher "Interessenkonflikte" bei der "Aufklärung der Sachverhalte". Der Rektor der Universität kündigt wenig später den Dienstleistungsvertrag mit der TTH - und zieht die Entscheidungsgewalt über Uniklinik-Ausgründungen an sich.
Was wir in diesem Fall nicht wüssten: Dass der Klinikumsvorstand, insbesondere die Vorstandsvorsitzende, Prof. Annette Grüters-Kieslich, und der Dekan der Medizinischen Fakultät, Prof. Andreas Draguhn, das PR-Desaster mitverantworteten - und dass zumindest die Erstgenannte mit der Wahrheit nur scheibchenweise herausrückte. Nachdem die RNZ berichtet hatte, was schlicht nicht mehr zu leugnen war.
Etwa, dass die Leitende Ärztliche Direktorin das umstrittene Interview des Frauenklinikchefs Christof Sohn mit der "Bild" vom 21. Februar "wenige Stunden beziehungsweise Tage" zuvor nicht nur einfach gegenlas und Korrekturen vornahm. So hatte es Grüters-Kieslich im RNZ-Interview Ende April erzählt. Demnach befand sie sich beruflich bedingt in Berlin, zwischen ein paar Meetings habe sie nachgebessert, Unhaltbares korrigiert.
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So war es aber nicht. Denn, wie die RNZ jetzt erfuhr, beauftragte der Klinikumsvorstand eine Rechtsanwaltskanzlei in Stuttgart mit dem Gegenlesen. Für 475 Euro die Stunde prüften die Advokaten von Gleiss Lutz den Text am 8. Februar auf problematische Passagen - wobei es sich bei diesem Lohn noch um ein im Nachhinein reduziertes Angebot handeln soll. Denn Grüters-Kieslich hatte den Auftrag nach RNZ-Informationen im Alleingang vergeben. Als ihre Mitvorständin, die Kaufmännische Direktorin Irmtraud Gürkan, das monierte, wurde die Rechnung nachträglich reduziert.
Eine Lappalie? Die RNZ bat die Klinikumspressestelle zu diesen Vorgängen um Auskunft. Sie erhielt auf ihre insgesamt 15 Fragen folgende Auskunft: Ja, Aufträge seien durchaus vergeben worden - aber vertraulich. "Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns zu den von Ihnen gestellten Fragen aus dem genannten Grund nicht weiter äußern können - vielen Dank".
So geht das seit Februar. Verschweigen. Verschleppen. Vertuschen? Unzufrieden mit der anfänglichen "Aufklärung" verordnete der Aufsichtsrat in seiner Sitzung vom 5. April dem Klinikum einen PR-Krisenberater. Der Mann kam, wirbelte und ging wieder. Dazwischen lag das große Interview der beiden Vorstandsfrauen mit der RNZ.
Dazwischen lagen auch viele Antworten. Aber diese Phase der Perestroika währte nicht lange. Man trennte sich wieder. Die Rechnung des PR-Experten soll nach RNZ-Informationen 80.000 Euro betragen haben. Auf Nachfrage beim Uniklinikum gab es auch hier die bereits zitierte Antwort.
Krisen sind teuer. Nicht wenige Beobachter wunderten sich, als die RNZ berichtete, die Kaufmännin Gürkan habe eine halbe Million Euro für die Aufklärung zurückgestellt. Doch das Geld ist schnell ausgegeben. Den größten Brocken mit 142.900 Euro stellte die Kanzlei Gleiss Lutz in Rechnung. Aber es gab ja noch andere Kanzleien. Und die Unabhängige Kommission, die aber außer Spesen nichts abrechnet. Die Fachanwältin für Medizinrecht, Beate Bahner, fragte in der RNZ: "Wie kommt es zu diesen geschätzten Kosten der Aufklärung?". Schließlich handelt es sich um Steuergeld. Bedenkt man, dass das Klinikum 2018 ein Minus von 9,4 Millionen Euro erwirtschaftete, dann fallen 500.000 Euro Aufklärungskosten schon ins Gewicht. Vor allem, wenn man sich anschaut, was hier seitens der Kanzleien unternommen wird. Handelt es sich dabei überhaupt um Aufklärung im eigentlichen Sinn?
Nehmen wir die Kanzlei Gleiss Lutz mit Sitz in Stuttgart. Sie war nicht nur bei den ersten Lesern des "Bild"-Interviews dabei, sondern begleitete das Thema Bluttest bereits seit dem 17. Januar 2019. Bis Mitte April war der Hauptansprechpartner der Kanzlei der Dekan der Medizinischen Fakultät, Professor Andreas Draguhn. Die Vorstandsvorsitzende Professor Annette Grüters-Kieslich war erstmals bei einer Besprechung am 24. April dabei.
Merkwürdig: Dieselbe Kanzlei, die die Vorbereitungsphase zur Schummel-PR-Aktion im Auftrag des Klinikums begleitete, sollte dann die Vorgänge im Auftrag des Vorstands aufklären. Dabei schauten die Anwälte nicht nur dem externen PR-Berater auf die Finger, beurteilten dessen "Kommunikationslinie".
Darüber hinaus berieten sie den Vorstand auch in einer rechtlichen Auseinandersetzung mit dem Investor Jürgen Harder. Kurzum: Die Kanzlei Gleiss Lutz war mit allen wesentlichen Entwicklungen rund um den Bluttest im Jahr 2019 befasst.
Die Juristen berieten den Vorstand auch, als es um die Freistellung von TTH-Geschäftsführer Markus Jones ging, der zugleich Stellvertreter der Kaufmännischen Direktorin Gürkan ist. Diese wiederum wehrte sich gegen Jones’ Freistellung. Vergebens. Genauso vergebens, wie sie auch als Einzige im Vorstand gegen das "Bild"-Interview votiert haben soll.
Schon ungewöhnlich, dass der gesamte Bluttest-PR-Skandal bisher nur für einen Menschen dienstrechtliche Konsequenzen hatte: Markus Jones. Ob der "Machertyp" zu vielen Menschen auf die Füße getreten ist? Sein Name wurde der RNZ als vermeintlicher Schuldiger bereits zu einem Zeitpunkt genannt, als von Aufklärung noch keine Rede sein konnte. Die Quelle: aus dem Umfeld des Wissenschaftsministeriums. Jene Aufsichtsbehörde, die ein gutes Verhältnis zur Vorstandsvorsitzenden Grüters-Kieslich pflegt. Nachgewiesen werden konnte Jones bis heute: nichts.
Dabei prüften gleich mehrere Kanzleien, ob Jones sich etwas hat zuschulden kommen lassen. Aber erst nach dessen Freistellung am 17. Mai. In dieser steht, dass er wegen seiner Verwicklung in alle möglichen Aspekte des Bluttest-Skandals zunächst freigestellt werde. Auf Wiedervorlage, so steht es im Protokoll einer Vorstandssitzung.
Jones musste Diensthandy und Laptop abgeben, alle Zugänge zu elektronischen Dateien wurden gekappt. Jones’ Anwalt konnte mittlerweile erwirken, dass er wieder Zugang zu Akten erhält, die ihn betreffen. Unter Aufsicht. Zur Vorbereitung auf seine Aussage vor dem Aufsichtsrat.
Das war es dann aber auch an Entgegenkommen. Über den Umgang seitens des Klinikumsvorstandes mit den TTH-Angestellten berichtete die RNZ letzte Woche. Angst macht sich breit, nachdem der Dekan eine indirekte Drohung der "Unileitung" weitergegeben hatte, eine Beschäftigungsgarantie bleibe nur bestehen, wenn man sich nicht an die RNZ wende.
Der Umgang am Klinikum ist keinen Deut besser: Als der Anwalt von Jones bei einem Treffen mit dem Klinikumsvorstand fragte, wieso sein Mandant freigestellt sei, aber weder Grüters-Kieslich noch Professor Sohn - wo doch beide genauso in den Bluttest-Skandal involviert seien -, antwortete statt der Vorstandsvorsitzenden einer der Gleiss-Lutz-Juristen: "Gleichbehandlung ist nicht unsere Aufgabe."