Bluttest-Skandal Heidelberg

Wer trägt die Schuld am Skandal um den Brustkrebs-Bluttest?

Die RNZ porträtiert die wichtigsten Beteiligten – Zumindest eine ahnte die Katastrophe

20.05.2019 UPDATE: 21.05.2019 06:00 Uhr 7 Minuten, 6 Sekunden

"Für den Test sind nur wenige Milliliter Blut notwendig", schreiben die Firma Heiscreen und das Heidelberger Universitätsklinikum am 21. Februar in der gemeinsamen Pressemitteilung. Was sie nicht schreiben: Der Test ist noch lange nicht marktreif, die Forschungen dazu werden noch Jahre benötigen - und: Man war schon mal weiter. Foto: Universitätsklinikum Heidelberg

Von Klaus Welzel und Sebastian Riemer

Heidelberg. Der Uniklinikskandal rund um den Bluttest zur Brustkrebsfrüherkennung kommt in eine entscheidende Phase. Seit Wochen trägt die Innenrevision des Klinikums Entlastendes und Belastendes zusammen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Und auch im Wissenschaftsministerium, der Aufsichtsbehörde des Klinikums, forschen die Mitarbeiter in den Akten. Zuletzt bringt sich die Unabhängige Kommission, die der Aufsichtsrat am 5. April einsetzte, auf den aktuellen Stand. Ein Überblick über die wichtigsten Akteure und ihre Verantwortung:

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Im Kern geht es bei den Nachforschungen darum, ob einer oder mehrere Beteiligte am Uniklinikum oder bei den Firmen Heiscreen und TTH sich in Sachen Bluttest und vor allem Bluttest-PR etwas haben zuschulden kommen lassen. Zur Erinnerung: Am 21. Februar 2019 erschien ein Interview des Bluttest-Erfinders Prof. Christof Sohn in der "Bild"-Zeitung, das auf der Titelseite mit der Schlagzeile "Weltsensation aus Heidelberg" beworben wurde. Am selben Tag veröffentlichten das Universitätsklinikum und die Firma Heiscreen, die den Bluttest zur Brustkrebserkennung vermarkten soll, eine gemeinsame Pressemitteilung. Darin ist von einem "Meilenstein in der Brustkrebsdiagnostik" die Rede. Sohn wird mit den Worten zitiert: "Der von unserem Forscherteam entwickelte Bluttest ist eine neue, revolutionäre Möglichkeit, eine Krebserkrankung in der Brust nicht-invasiv und schnell anhand von Biomarkern im Blut zu erkennen". Ein paar Absätze später wird die "Markteinführung noch in diesem Jahr" versprochen. Die Pressemitteilung war auf Deutsch und Englisch verfasst, Interviews mit bunten Blättern folgten.

Allein: Es gab keine wissenschaftliche Publikation - und der Test war gar nicht so neu, er beruhte vielmehr wenigstens zum Teil auf Forschungsergebnissen eines anderen Teams am Frauenklinikum, das ausgetauscht worden war. RNZ-Recherchen brachten ans Licht, dass die PR-Kampagne trotz des Wissens um die Unzulänglichkeiten im Detail mit dem Vorstand des Klinikums abgesprochen war - was dieser bis heute bestreitet. Da wäre zunächst:

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Prof. Annette Grüters-Kieslich, Ärztliche Direktorin des Uniklinikums. Foto: zg

> Prof. Dr. Annette Grüters-Kieslich: Die Ärztliche Direktorin wechselte zum 1. Juni 2017 von der Berliner Charité nach Heidelberg. Sie las das "Bild"-Interview mit Sohn gegen und entfernte "absurde Bewertungen" aus dem Text, wie sie im RNZ-Interview betonte. Damit meinte sie die Passage mit dem Wörtchen "revolutionär", das im Ursprungstext dem Klinikum zugeordnet gewesen sei - nun aber als Zitat von Professor Sohn dasteht. Hätte sie "geahnt, dass es aber um noch viel mehr ging - nämlich um eine breite, systematisch angelegte PR-Aktion -, dann hätten wir alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Pressekonferenz und Pressemitteilung zu stoppen". Seltsam nur: Grüters-Kieslich war neben vielen Anderen am Klinikum Empfängerin zahlreicher Mails, die sich exakt mit der Pressemitteilung und dem gesamten Vorgehen beschäftigen.

Mehrere Chefärzte am Universitätsklinikum nehmen Grüters-Kieslich die Rolle der Unwissenden nicht ab. Einer verlangte ihren Rücktritt per Mail, zwei weitere sagten ihr ins Gesicht, das sie gehen müsse. Die 64-Jährige will jedoch ihren Vertrag erfüllen (er läuft noch drei Jahre). Aus ihrem Umfeld hört man, im Grunde stehe dahinter ein ganz anderer Konflikt. So wolle sie die Ausgründungsgesellschaft TTH völlig neu aufstellen. Die Herren wollten hier angeblich eine eifrige Reformerin austricksen.

Fazit: Grüters-Kieslich trägt auf jeden Fall eine Mitverantwortung.

Irmtraut Gürkan, Kaufmännische Direktorin am Uniklinikum. Foto: zg

> Irmtraut Gürkan ist die Kaufmännische Direktorin am Klinikum. Seit 16 Jahren erledigt sie diesen Job sehr erfolgreich, wobei die ökonomischen Zwänge ihr nicht gerade einen Beliebtheitspreis unter den Chefärzten einbrachten. Das sollte man berücksichtigen, wenn es um vermeintlich Belastendes geht. Gürkan war ebenfalls im Mail-Verteiler. Unklar ist, wie sie ursprünglich zu dem "Bild"-Interview mit der Presse-PR stand. Vorab gelesen hat sie es wohl nicht. Im Nachhinein sagte sie zur RNZ, sie habe erst durch die 80.000- Euro-Rechnung der von Heiscreen beauftragten Agentur von der Kampagne erfahren. Und: "Wir fühlen uns getäuscht und benutzt." Dass jetzt Gürkans Stellvertreter, Markus Jones, freigestellt wurde, stellt eine große Schmach für die 67-Jährige dar; denn sie hatte ihm bisher stets vertraut. Ungünstig zudem für die Volkswirtin: Nach einem Minus im Jahr 2018 in Höhe von rund acht Millionen Euro, rutschte das Klinikum im ersten Quartal erneut in die roten Zahlen. Ein "Weiter so" ist deshalb nicht ganz leicht zu begründen. Gürkans Vertrag läuft noch zwei Jahre.

Fazit: Gürkan hat sich verrechnet, indem sie Jones stützte.

Prof. Andreas Draguhn, Vorstandsmitglied der Uniklinik und Dekan der Medizinischen Fakultät. Foto: zg

> Prof. Dr. Andreas Draguhn ist das dritte Vorstandsmitglied, das nachweislich über die PR-Kampagne - oder zumindest Teile davon - Bescheid wusste. Der 57-Jährige ist seit 1. Oktober 2018 Dekan der Medizinischen Fakultät und dadurch auch Vorstandsmitglied. Zeitgleich mit seinem Amtsantritt kam Schwung in die Bluttest-Geschichte. Die Forscher meldeten bessere Ergebnisse, am 30. Januar 2019 beschloss dann der Fakultätsvorstand unter der Leitung von Draguhn, "den vorgeschlagenen Weg" - Vorstellung des Tests auf dem Gynäkologen-Kongress am 21. Februar durch Prof. Sohn, Pressemitteilung am selben Tag plus "Bild"-Interview - "mitzugehen". So berichtet es jedenfalls TTH-Geschäftsführer Jones in einer E-Mail. Überliefert ist von Draguhn eine regelrechte Begeisterungseloge über die Qualität des Interviews. Aber da war er ja nicht der Einzige. Draguhns Wiederwahl als Dekan stünde in diesem Sommer an.

Fazit: Draguhn agierte unglücklich.

Doris Rübsam-Brodkorb, Leiterin der Unternehmenskommunikation am Uniklinikum seit Juli 2015. Foto: zg

> Doris Rübsam-Brodkorb ist seit Juli 2015 Leiterin der Unternehmenskommunikation am Uniklinikum. Die 48-Jährige pflegte einen intensiven Mail-Austausch mit der Agentur, die die PR-Kampagne organisierte. Auch sie lobte das Interview samt der "informativen Kästen" im Vorfeld. Allerdings verfasste Rübsam-Brodkorb drei Tage vor der Pressekonferenz eine Mail, in der sie vor den möglichen negativen Folgen warnt. In einem Schreiben, das direkt an die Agentur, Heiscreen-Geschäftsführer Dirk Hessel, Kai Diekmann, die Bluttest-Erfinder Sarah Schott und Christof Sohn sowie den Anwalt von Jürgen Harder gerichtet ist, warnt sie vor dem kritischen Blick, den Fachjournalisten auf die Forschungsergebnisse werfen könnten. Es bestehe "eine sehr große Gefahr einer Negativpresse", sollte die Pressemitteilung nicht deutlich differenzierter formuliert sein (als offenbar in einem vorherigen Entwurf). So vermisst Rübsam-Brodkorb Aussagen zur Größe der Tumoren, die entdeckt werden können und auch zur Spezifität des Tests - damit ist gemeint, wie viele der gesunden Frauen einer Untersuchungsgruppe auch als gesund erkannt werden. Bedenken hin, Gefahr her: Nur ein Teil der Bedenken wird berücksichtigt. Die Pressemitteilung mit den falschen Versprechungen geht am 21. Februar raus - obwohl sich die Vorstände Grüters-Kieslich, Gürkan und Draguhn im Mail-Verteiler finden.

Fazit: Rübsam-Brodkorbs Warnung verhallte.

Markus Jones, ehemaliger stellvertretender Direktor und Leiter der Rechtsabteilung des Uniklinikums. Foto: zg

> Markus Jones war bis letzten Freitag Stellvertretender Direktor und Leiter der Rechtsabteilung des Uniklinikums. Zudem war der 42-Jährige für das Uniklinikum als Geschäftsführer der Ausgründungsfirma TTH eingesetzt - und als solcher die Schnittstelle zwischen Heiscreen und dem Klinikum. Am 17. Mai wurde Jones, der eng in die umstrittene PR-Kampagne zum Brustkrebs-Test eingebunden war, von all seinen Ämtern freigestellt. Weshalb Jones gehen musste, ist weiterhin unklar. "Auf Empfehlung des Aufsichtsrates hat der Vorstand des Universitätsklinikums mehrheitlich diese Freistellung ausgesprochen", hieß es gestern in einer Stellungnahme des Klinikums, mit der die RNZ-Berichterstattung vom Montag bestätigt wurde. Jones war es, der am 4. April Strafanzeige in allen rechtlichen Belangen stellte - darüber soll er den Vorstand lediglich informiert haben. Im tags drauf zusammengerufenen Aufsichtsrat wurde die Meinung vertreten, dieser Schritt sei unklug gewesen, da von jetzt an immer die Rede von staatsanwaltlichen Ermittlungen in Zusammenhang mit Klinikum sei - und das, obwohl ja gar nicht konkret gegen Mitarbeiter des Klinikums ermittelt werde. Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität in Mannheim ermittele vielmehr gegen unbekannt.

Fazit: Jones trickste sich womöglich selbst aus.

Jürgen Harder, Immobilienentwickler. Foto: zg

> Jürgen Harder ist eigentlich Immobilienentwickler, tat sich bislang nicht als Investor in Medizin-Startups hervor. Doch seine Freundschaft zu Christof Sohn - der Frauenklinik-Chef entband die beiden Kinder von Harder und seiner Partnerin Franziska van Almsick - ändert das. Sohn empfiehlt Harder dem Vorstand des Uniklinikums - und am 7. November 2017 steigt der Unternehmer bei der Heiscreen GmbH ein. Das muss gefeiert werden: Eine Woche später lädt Harder die Beteiligten in den exklusiven "China Club" in Berlin ein. Die Anreise und die Übernachtung im Adlon-Hotel zahlt nach RNZ-Informationen Harder. Aus Heidelberg reisen Christof Sohn, Sarah Schott und zwei der drei TTH-Geschäftsführer, Markus Jones und Gerd-Jörg Rauch, an. Auch Ex-"Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann ist bei der Feier dabei - ebenso wie der frühere österreichische Finanzminister Karl-Heinz Grasser, der derzeit in Wien in einem Korruptionsprozess vor Gericht steht. Auch der 58-jährige Harder ist schon mit dem Gesetz in Konflikt gekommen: 2015 wurde er wegen Bestechung zu zwei Jahren auf Bewährung und sechs Millionen Euro Geldstrafe verurteilt. Der Vorstand des Uniklinikums strebt inzwischen eine Trennung von Harder an.

Fazit: Harder hat sich womöglich verspekuliert.

Kai Diekmann, Chefredakteur der "Bild"-Zeitung von 2001 bis 2015. Foto: zg

> Kai Diekmann war Chefredakteur der "Bild"-Zeitung - von 2001 bis 2015 prägte er das Boulevard-Blatt. Der 54-Jährige erklärte seine Rolle gegenüber der RNZ so: Jürgen Harder sei ein Freund von ihm, und der Brustkrebs-Test habe ihn einfach persönlich interessiert. Doch manche von Harders Freunden haben Diekmann noch nie gesehen. Bei der großen Party zum 40. Geburtstag von Harders Frau Franziska van Almsick letztes Jahr im Europäischen Hof war Diekmann nicht. 2018 hat der Ex-Journalist gemeinsam mit dem Investmentbanker Lenny Fischer einen Kapitalanlagefonds gegründet. Geschäftliche Interessen in Sachen Brustkrebs-Test streitet er vehement ab. "Das ist totaler Unsinn", sagt er auf die Frage, ob er oder seine Firma in die chinesische NKY Medical, die den Brustkrebstest im asiatischen Raum vermarkten soll, investiert hätten.

Fazit: Diekmanns Rolle bleibt nebulös.

Christof Sohn, Leiter des Universitätsfrauenklinikums seit November 2004. Foto: zg

> Christof Sohn leitet seit November 2004 das Universitätsfrauenklinikum. Der 58-Jährige wurde in der PR-Kampagne als Erfinder des Bluttests dargestellt und gab zahlreiche Interviews. Im Nachhinein entschuldigte er sich bei den anderen Chefärzten für seinen "naiven Umgang mit der Presse" und den dadurch angerichteten Schaden bezüglich der Reputation des Uniklinikums. Sohn war es, der seinen Freund Jürgen Harder als Heiscreen-Investor ins Boot holte. Die PR-Kampagne - deren fester Bestandteil er war - bedauert er zutiefst.

Fazit: Sohn hat an der Affäre schwer zu knapsen.


Wie es weitergeht

Acht Wochen sind seit der Aufdeckung der Ungereimtheiten rund um den Bluttest und die aufwendige PR-Kampagne vergangen. Passiert ist seither wenig, wenn es um Konsequenzen am Klinikum geht. Die Freistellung von Markus Jones deutet aber darauf hin, dass der Aufsichtsrat jetzt durchgreifen will.

Vermutlich in der kommenden Woche wird sich das Gremium erneut zu einer außerordentlichen Sitzung treffen. Dabei dürfte es auch um weitere personelle Konsequenzen gehen, zumal die beiden Maßnahmen, die der Aufsichtsrat in seiner letzten Sitzung am 5. April beschloss, bisher nicht fruchteten. So wurde dem Vorstand ein Berater beigestellt, der eine klare Linie herstellen sollte, wie das Klinikum gemeinsam die Krise bewältigt. Doch mit Ausnahme des großen RNZ-Interviews vom 29. April ist das nicht gelungen - zu unterschiedlich die Interessen innerhalb des Klinikums.

Als zweite Maßnahme zog der Aufsichtsrat die Aufklärung durch die Unabhängige Kommission an sich. Doch die will jetzt erst am 17. Juli einen Zwischenbericht und bis Ende des Jahres Empfehlungen abgeben. Derweil kommen immer mehr Details ans Licht der Öffentlichkeit. Das Klinikum kommt nicht zur Ruhe.

Und wenn zwei Tage später, am 19. Juli, die Forschungsminister des Bundes und der Länder die Ergebnisse des Exzellenzwettbewerbs verkünden, dann geht es auch darum, wie der Heidelberger Skandal aufgearbeitet wurde. Wissenschaftsministerin Theresia Bauer schreibt in ihrer Antwort auf eine Anfrage der CDU-Landtagsfraktion zum Bluttestskandal: "Es wäre abwegig, die exzellente Arbeit einer gesamten Universität (...) wegen des Fehlverhaltens Einzelner zu entwerten."

Sie warnt aber gleich im folgenden Satz: "Allerdings gehört der verantwortliche und professionelle Umgang mit Problemen wissenschaftlicher Redlichkeit und Compliance zu einer wissenschaftlich exzellenten Einrichtung." Der Sachverhalt müsse zügig und rückhaltlos aufgeklärt werden. Die Vorstände sollten den Text sehr genau lesen. we

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