Scherbengericht in Heidelberg
Der Bluttest-Skandal hat das Image des Uniklinikums kräftig ramponiert. Über die Suche nach den Schuldigen und die verletzte Ehre von Elite-Medizinern.

Von Klaus Welzel
Heidelberg. Es muss heiß hergegangen sein bei der Sitzung des Beirats der Chefärzte am Montag dieser Woche. Schuldzuweisungen, Vorwürfe, Verteidigungsreden. Doch wie schon so oft: Herausgekommen ist nichts beim Treffen von Heidelbergs wichtigsten Medizinern. Denn die Ordinarien des Universitätsklinikums sind zwei Monate nach Bekanntwerden des Bluttest-Skandals tief in zwei Lager gespalten.
Die einen hegen einen ordentlichen Zorn gegen Prof. Christof Sohn, der mit seinem "Bild"-Zeitungsinterview den Hype um den vermeintlichen Bluttest zur Brustkrebsfrüherkennung vorantrieb. "Weltsensation aus Heidelberg" titelte das Blatt am 21. Februar. Die anderen sind wütend darüber, dass der Vorstand das Klinikum nicht besser schützte. Dieser Zorn richtet sich vor allem gegen die Vorstandsvorsitzende Prof. Annette Grüters-Kieslich - aber auch gegen den Dekan der Medizinischen Fakultät, Prof. Andreas Draguhn.
Hintergrund
Alle Artikel zum Bluttest-Skandal an der Uniklinik Heidelberg finden Sie unter: www.rnz.de/heiscreen
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Um diesen Zorn besser zu verstehen, muss man die Geschichte noch einmal aufdröseln. Wieder einmal. Denn der Skandal um den Bluttest setzt sich aus sehr vielen kleinteiligen Scherben zusammen. Zu viele - darin wenigstens sind sich selbst die unmittelbar Beteiligten einig. Doch der Reihe nach:
Christof Sohn stellte sich am 21. Februar zusammen mit der Ärztin Prof. Sarah Schott als das Erfinderteam des Bluttests dar. Endlich sei es möglich, Brustkrebs so zuverlässig wie mit einer Mammografie nachzuweisen. Marktreife noch in diesem Jahr. Tags darauf folgte eine zweite "Bild"-Story: "Mit meinem Blut wurde der neue Krebs-Test entwickelt". Geschichten in "Bunte" und "Focus" folgten. Wenn Medien so vorgehen, spricht man von einer Kampagne. Eine Veröffentlichung baut auf der anderen auf. Alles lange vorbereitet.
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Doch schon am zweiten Tag der Kampagne gerät die Story von der "Weltsensation" ins Stolpern. Da waren bereits andere Forscher aufmerksam geworden. Medizinische Fachgesellschaften zweifelten an dem "Meilenstein" (so wurde der Bluttest in der offiziellen Pressemitteilung gepriesen), warnten davor, Frauen würden falsche Hoffnungen gemacht. Einen Monat später wird sich das Klinikum erstmals dafür entschuldigen.
Falsche Hoffnungen? Die hatte ganz sicher auch der Professor, der sich wiederum schriftlich bei seinen Kollegen entschuldigte. Ernüchtert stellt Sohn fest, "dass durch meinen naiven Umgang mit der Presse, wenn auch in bester Absicht, die von Ihnen aufgebaute Reputation unserer Klinik beschädigt wurde." Er habe es eigentlich gut gemeint mit der PR-Aktion, habe dem Projekt einen Schub geben wollen, um "den erforderlichen Neustart der Zusammenarbeit zwischen Klinik und Investor" zu ermöglichen.
Die Professorenschaft reagierte unterschiedlich. Die einen sind bereit, Sohn zu verzeihen. Sie hegen nämlich einen noch größeren Groll gegen die RNZ, die den Bluttest-Skandal nunmehr seit zwei Monaten intensiv recherchiert. Unter dem Motto "Was ist eigentlich passiert?" soll so schnell wie möglich ein Schlussstrich gezogen werden. Prof. Peter Nawroth, Direktor der Inneren Medizin I und klinische Chemie, empört sich, die "Dorfzeitung" versuche sich in "pseudo-investigativem Journalismus".
Doch es gibt auch andere, die ein paar Details mehr kennen. Die wissen, dass Sohn eben nicht nur ein Interview gab, sondern sich massiv dafür einsetzte, den Bauinvestor Jürgen Harder in das Projekt "Mammascreen" einzubinden. "Mammascreen" hieß das Projekt, für das die mittlerweile geschasste Forscherin Rongxi Yang mit einem Team zehn Jahre lang an der Frauenklinik forschte. Im Frühjahr 2017 kam es zum großen Krach. Yang flog raus. Sie sagt, sie wurde ausgebootet. Am Klinikum heißt es, im Grunde sei nur der Einfluss eines chinesischen Investors eingedämmt worden. Schließlich ging es beim Bluttest von Anfang an um ein Milliardengeschäft.
Fakt ist: Harder gründete die Mammascreen GmbH, stieg mit 38 Prozent und einer Art Vetorecht in die Heiscreen GmbH ein. Die Chinesen, die im Frühsommer 2017 eigentlich mit Heidelberg handelseinig waren, bekamen nur noch die Vermarktung in China - und verpflichteten sich, Lizenzgebühren an das Uniklinikum zu zahlen.
Eine Brand-Mail, die Sohn im Juni 2017 in die Heimat schickte, dürfte an dieser Entwicklung entscheidenden Anteil gehabt haben. Er verstehe nicht, wieso es Einwände gegen den "absolut integren Geschäftsmann" gebe (Harder war 2015 im Rahmen eines Korruptionsverfahrens zu zwei Jahren Haft auf Bewährung sowie einer Geldstrafe in Höhe von sechs Millionen Euro verurteilt worden). Jetzt stehe der Gescholtene mit einem Investment von zunächst sechs, dann zehn Millionen Euro parat. Für Sohn nicht nachvollziehbar, dass ein chinesischen Investor vorgezogen werden soll. Schließlich sei doch bekannt, dass China in aller Regel ausländisches Know-how kaufe, um "dann selbstständig weiterzumachen". Dass man überhaupt mit den Chinesen verhandelt habe, sei der Not geschuldet gewesen.
Der Not? Da ist was dran. Denn im Februar 2017, als das Uniklinikum das Projekt "Mammascreen" einer breiten Öffentlichkeit vorstellte, wurde am Ende einer langen Mitteilung vermerkt: "Das Start-up-Projekt ist immer auf der Suche nach passenden Kooperationspartnern oder Investoren und freut sich mit interessierten Gruppen in Kontakt zu treten." Merkwürdig: Kurz danach kam es zum Rauswurf von Yang, die den chinesischen Investor an Land gezogen hatte.
Offensichtlich sah es dann im Sommer 2017 so aus, als sei Sohn der Retter des Klinikums. Drei potenzielle Investoren hatte er an der Hand: Einen, dem der Deal schnell zu teuer wurde. Einer, der 100 Millionen Euro bot - gegen die weltweite Erstvermarktung des Tests. Und Harder. Der zweite Investor sprang ab, nachdem klar war, dass bereits eine Vereinbarung mit der chinesischen Seite existierte. Den Weltmarkt teilen? Das kam nicht infrage. Also blieben zwei Varianten: Den Chinesen alles geben oder Harders Offerte akzeptieren. Der restliche Verlauf der Geschichte ist bekannt - bis hin zur gescheiterten PR-Kampagne, auf der Harder nach Ansicht des Klinikumsvorstandes bestanden haben soll.
Wäre der Test, jetzt, zwei Jahre später, ein Erfolg, würden sicherlich die meisten Ordinarien dem Kollegen entweder auf die Schulter klopfen oder gar neidvoll in seine Richtung blicken. Allein: Der Test und seine Vermarktung - alles ist ein Desaster. Statt einer "Weltsensation" gibt es Mauschelvorwürfe, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Der Ruf ist in Gefahr. Ein Vorstandsmitglied las deshalb Sohn am vergangenen Montag vor versammelter Professorenschaft ordentlich die Leviten.
Und - ganz schlimm: Die Politik springt auf das Thema auf. "Die Uniklinik hat ihrer Reputation geschadet", stellte die CDU-Landtagsabgeordnete Marion Gentges in der RNZ fest. Solche harschen Worte hat man bisher über Heidelberg noch nicht gehört. Alleine, sie auszusprechen, kommt einem vernichtenden Urteil gleich. Doch Gentges rügt zwar das Klinikum, meint aber eine ganz bestimmte Person. Denn das zuständige Wissenschaftsministerium wird von einer Grünen geleitet. Die Heidelbergerin Theresia Bauer muss jetzt an "ihrem" Klinikum einen Skandal aufklären lassen.
Und der betrifft eben nicht nur einen Professor, sondern auch den Uniklinikums-Vorstand. Da wäre zuerst die Vorstandsvorsitzende, Prof. Annette Grüters-Kieslich, die das umstrittene Interview gegengelesen hatte. Vor dem Abdruck. In der RNZ bekannte sie: Obwohl sie "allergrößte Bedenken" gehabt habe, habe sie lediglich "absurde Bewertungen aus dem Text entfernt". Und ihn dann durchgewunken. Begründung: "Ein Interview, das von einem Professor des Uni-Klinikums bereits gegeben wurde, konnten wir der Bild-Zeitung nicht verbieten. Leider."
Einige Ordinarien sehen das anders. Einer hatte bereits Mitte April per Mail den Klinikumsvorstand aufgefordert, Verantwortung zu übernehmen, um Schaden abzuwenden. Nichts geschah. Auch weil die Forderung in der kurz darauf folgenden Sitzung des Fakultätsrates nicht mehr erhoben wurde. Das ist seit Anfang dieser Woche anders. Gleich zwei Schwergewichte der Heidelberger Uni-Medizin nahmen die Chefin ins Visier. Doch die konterte nach Teilnehmerberichten sinngemäß: "Der Kapitän verlässt als Letzter das sinkende Schiff." Ein Satz, der mindestens so schwer wiegt, wie die Angriffe der CDU-Abgeordneten Gentges. Denn bei aller Panik: Das Klinikum ist vielleicht ein angeschlagenes Schiff, aber ganz sicher kein sinkendes.
Dass der Satz aber so - oder so ähnlich - gefallen ist, hat wiederum politische Gründe. Grüters-Kieslich genießt bisher die volle Rückendeckung des Wissenschaftsministeriums, dessen Ministerialdirigentin Simone Schwanitz, zugleich Vorsitzende des Uniklinikum-Aufsichtsrates ist. Schwanitz agiert in Heidelberg als Theresia Bauers Statthalterin. Und beide gehören zu den Förderern Grüters-Kieslichs, die vor ihrer Amtszeit als Vorstandsvorsitzende bereits sechs Jahre lang im Aufsichtsrat saß. Man kennt sich lange. Und man vertraut sich. Grüters-Kieslich, von Haus aus eine Forscherin, war Wunschkandidatin, als vor zwei Jahren Prof. Guido Adler als Leitender Ärztlicher Direktor des Uniklinikums ausschied.
Doch ist die frühere Klinikdirektorin an der Berliner Charité damit unangreifbar? Letzten Montag entstand der Eindruck, dass man diese Frage mittlerweile verneinen muss. Und im Aufsichtsrat des Klinikums wird bereits mit einigem Unverständnis beobachtet, dass die Aufklärung des Bluttest-Skandals nach über zwei Monaten doch sehr langsam anläuft. Bei der letzten Sitzung war dem Vorstand die Zuständigkeit für die Unabhängige Kommission entzogen worden. Deren erste Sitzung fand - endlich - an diesem Dienstag statt. Die Frage lautet, was die Kommission eigentlich aufklären soll? Die wesentlichen Details sind bereits in der RNZ veröffentlicht worden - deren Recherchen die Grundlage für die erste Arbeitssitzung bildeten.
Es geht längst nicht mehr nur um Aufklärung. Es geht darum, Konsequenzen zu ziehen.
Die Ungeduld wächst auch an der Universität, zu der die Medizinische Fakultät gehört. Dort bangt man um den Elitestatus. Natürlich hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. Aber just in diesen Wochen und Monaten lotet die Deutsche Forschungsgemeinschaft die Bewerbungen für die Exzellenzinitiative aus. Heidelberg war seit 2007 vorne mit dabei. Am 19. Juli gibt es die Ergebnisse für die nächste Runde - kurz nach dem ersten Zwischenbericht der Unabhängigen Kommission. Fällt Heidelberg durch, gehen auf Jahre viele Millionen an Fördergeldern verloren. Eine Katastrophe wäre das. Alles wegen eines übertrieben angekündigten Krebstests?
Und welche Rolle spielte der Dekan der Medizinischen Fakultät, Prof. Andreas Draguhn? Er las das "Bild-"Interview ebenfalls vorab, lobte im Gleichklang mit Klinikum-Pressesprecherin Doris Rübsam-Brodkorb die hohe Qualität der Texte nebst der Aufbereitung. War auch eingeweiht in die 80.000 Euro teure PR-Kampagne. Das alles kann man ausführlich in mehreren Mails nachlesen. Mails, die am Klinikum kursieren, die der Aufsichtsrat kennt - und natürlich die Kommission.
Nach RNZ-Informationen hat der Skandal schon jetzt finanzielle Auswirkungen. Spender und Mäzene zeigen Zurückhaltung, einer soll bereits angekündigt haben, er werde seine Erbschaft nun doch nicht dem Klinikum vermachen. Die Kaufmännische Direktorin, Irmtraut Gürkan, muste bereits eine halbe Million Euro an Rückstellungen bereithalten - für die Verfahrenskosten zur Aufklärung des Skandals. Kaum zu glauben, dass das Klinikum, sein Aufsichtsrat und letzten Endes auch das Ministerium alles laufen lassen bis zum Jahresende. Dann soll die Kommission ihren Abschlussbericht vorlegen. Eine quälend lange Zeit. Zu lange für ein Scherbengericht.