Diese radikale Reform schlägt Erzbischof Burger vor
Erzdiözese Freiburg plant radikale Einschnitte, um sich langfristig auf die sinkende Zahl der Katholiken einzustellen - Erzbischof erwartet "schmerzhafte Abschiedsprozesse"

Erzbischof Stephan Burger. Foto: Getty Images/iStockphoto
Von Sören S. Sgries und Diana Deutsch
Heidelberg/Freiburg. Erst ein stummes Gebet, dann wendet sich Stephan Burger der Kamera zu: "Liebe Schwestern, Liebe Brüder", richtet der Freiburger Erzbischof das Wort direkt an die Gläubigen. Was dann in dem gut zehnminütigen Video folgt, das vor einigen Tagen vom Erzbistum veröffentlicht wurde, besitzt Sprengkraft.
In sanftem Predigerton entwirft Burger die Vision eines radikalen Reformprogramms für die Kirchenstruktur. Im kommenden Jahrzehnt, so die Botschaft hinter dem "Pastoral 2030" getauften Projekt, wird sich die Kirche vor Ort massiv verändern müssen - oder untergehen.
Was viele in der Kirche engagierte überraschte, war offenbar über lange Zeit gründlich vorbereitet. Auf einer eigens eingerichteten Homepage findet man inzwischen ein rund 40-seitiges Konzeptpapier. Am vergangenen Wochenende diskutierten bereits 170 Mitglieder der Diözesanen Räte, der Kirchensteuervertretung und der Kurienkonferenz während einer zweitägigen "Diözesanen Pastoralkonferenz" die Vorschläge.
"Eines versichere ich Ihnen: Ich könnte mir etwas Angenehmeres vorstellen, denn als der Erzbischof in die Geschichtsbücher einzugehen, der eine derart einschneidende Neuorganisation der Erzdiözese in die Wege geleitet hat", sagte Burger. Eine Alternative sieht der 56-Jährige, der 2014 zum Erzbischof von Freiburg ernannt wurde, jedoch nicht.
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Die Probleme des Bistums
> Sinkende Zahl der Katholiken: 17.000 Gläubige hat die Erzdiözese zuletzt durchschnittlich pro Jahr verloren. Zählten 2010 noch 1,98 Millionen Katholiken zum Einflussbereich waren es 2016 mehr als 100.000 Gläubige weniger, nämlichnur noch 1,88 Millionen. Laut Hochrechnungen aufgrund soziodemographischer Daten werde diese Zahl bis 2035 auf 1,3 Millionen Menschen sinken, so die Erwartung.
Parallel entwickelten sich Besucherzahlen bei den sonntäglichen Gottesdiensten. Zwischen 2010 und 2017 sank die Zahl der Personen von 217.000 auf 165.000. Prozentual besuchen damit nur noch 8,8 Prozent der Gläubigen überhaupt den Gottesdienst. Sie kämen immer immer öfter nur noch zu besonderen Gelegenheiten zum Gottesdienst.
> Personalmangel: Nicht nur bei den Gläubigen, auch beim hauptberuflichen "Personal" geht das Arbeitspapier von beunruhigenden Entwicklungen aus. 2017 habe es 1091 Personen im pastoralen Dienst der Erzdiözese gegeben, heißt es. Bis 2031 werde diese Zahl, so die Prognose, bei optimistischer Betrachtungsweise auf rund 900 Personen schrumpfen. Pessimistisch gerechnet hält man auch einen Personalrückgang um über 40 Prozent, auf 600 Personen, für möglich. Von den 2031 zur Verfügung stehenden Priestern hätten, so die nüchterne Rechnung, "voraussichtlich 70 bis 80 die erforderlichen persönlichen Ressourcen, um eine herausfordernde Leitungsaufgabe zu übernehmen". Dazu gehört beispielsweise die Leitung einer größerer Pfarrei oder die Aufgabe des Dekans.
> Finanzielle Entwicklung: Hauptfinanzierungsquelle der Erzdiözese Freiburg sei die Kirchensteuer, heißt es. Seit 2008 seien die Einnahmen auch stetig gestiegen. Allerdings, so die genauere Analyse, "unter den allgemeinen Steigerungen der Lohn- und Einkommenssteuer". Mittelfristig werde die Erzdiözese die laufenden Kosten nicht mehr durch die Einnahmen decken können. Zudem wird befürchtet, dass die finanzstärksten Steuerzahler unter den Kirchenmitgliedern bald in den Ruhestand gehen - und die Zahlungen dann weitgehend ausfielen. Eine "Unterdeckung" des Haushalts wird schon für 2023 befürchtet. Bereits heute könne jede siebte Kirchengemeinde ihren Haushalt nicht mehr ausgleichen.

Dunkle Wolken über dem Freiburger Münster: Was dort ersonnen wurde, um die Kirchenstrukturen zukunftsfest zu machen, sorgt für Unruhe in den Gemeinden. Foto: Getty Images/iStockphoto
Vorgeschlagene Reform
> "Radikale Einschnitte": "Seien wir ehrlich, machen wir uns nichts vor: Wir können das, was wir derzeit anbieten, auf Dauer nicht halten", formuliert Burger die drastische Konsequenz. "Wir werden uns darauf einstellen müssen, kleiner zu werden." Ein gemeindliches "Vollprogramm" werde man nicht mehr wie bisher aufrecht erhalten können. Und es reiche auch nicht, an kleinen Stellschrauben zu drehen, sondern es gelte jetzt, mit "radikalen Einschnitten" die Strukturen so zu reformieren, dass sie nicht in wenigen Jahren wieder grundlegend verändert werden müssten.
> Reduzierung der Gemeinden: Zentraler Ansatzpunkt: Die Zahl der Kirchengemeinden wird reduziert. Statt derzeit 224 sollen es künftig nur noch 40 Kirchengemeinden geben. Damit deckungsgleich soll es nur noch 40 Pfarreien geben - derzeit sind es 1057. Auch die Zahl der derzeit 26 Dekanate dürfte deutlich schrumpfen. Burger spricht von "schmerzhaften Abschiedsprozessen".
> Neue Pfarreien: Die Pfarreien der Zukunft werden von einem einzelnen Pfarrer geleitet. Er ist Dienstvorgesetzter aller hauptamtlichen Priester, Diakone, Pastoral- und Gemeindereferenten. In der Verwaltung unterstützt wird er von einer hauptberuflichen Geschäftsführung. Über Zuschnitt und Größe der Pfarreien ist noch nicht entschieden. Wichtig ist aber: Jede dieser Pfarreien soll mit einem eigenen "Pastoralen Zentrum" ausgestattet werden. Wo dieser neue Zentralort entstehe, soll, so heißt es, "von den Gläubigen aus" bestimmt werden - und nicht von den Hauptberuflichen. Bis 2021 sollen die grundsätzlichen Entscheidungen getroffen sein.
> Verkauf von Gebäuden: Ob auch Kirchen, Pfarrhäuser oder Kapellen geschlossen werden, darüber gibt das Konzept keine Auskunft. Allerdings wird darauf verwiesen, dass das Bistum derzeit insgesamt 5400 Gebäude mit verschiedenen Nutzarten besitze. Die Kosten dafür könnten viele Gemeinden auf Dauer nicht mehr tragen - zumal beispielsweise Gemeindezentren in der bisherigen Größe nicht mehr gebraucht werden könnten. "Der Pastoralen Gebäudekonzeption wird daher bei anstehenden Reduzierungen von Gebäuden und Gebäudeflächen, aber auch von Kapellen und Kirchen, eine große Rolle zukommen", steht im Papier.
> Kritik am Verfahren
Kritik zog der Erzbischof auf sich, weil er die Gemeinden mit dem Strukturvorstoß "überfiel". Obwohl das Konzept offenbar über Monate hinweg vorbereitet wurde, erfuhren die in der Kirche Engagierten erst aus dem Video, was da in Freiburg geplant wurde. Bei der großen Konferenz am vergangenen Wochenende ging Burger darauf ein, dass er in ersten Rückmeldungen "tiefe Ängste", Frustration, Bedenken wahrgenommen habe. Er sehe jedoch keine Alternative.
Als Vorbild für die Pläne könnte das Bistum Trier dienen. Hier werden schon 2020 die ehemals 172 Pfarreigemeinschaften zu 35 "Pfarreien der Zukunft" zusammengefasst. Es hatte massive Proteste der Gläubigen gegeben.
Info: Die Pläne im Detail gibt es unter kirchenentwicklung2030.de. Alle Artikel zum Tagesthema "Pastoral 2030" finden sie unter www.rnz.de/pastoral2030