Warum ein unaufälliger Wieslocher SPD-Chef werden will
Am Dienstag weiß Lars Castellucci, ob er neuer SPD-Chef wird - Der 44-Jährige aus Wiesloch gilt als zielstrebig und sachorientiert

"Ich bin gar nicht so schlau wie Nils Schmid, aber auch nicht so emotional wie Leni Breymaier", kontert Lars Castellucci die Vorwürfe, er sei doch eine Kopie des 2016 gescheiterten ehemaligen SPD-Parteichefs. Foto: Uli Deck
Von Sören S. Sgries
Heidelberg. Lars Castellucci ist keine Rampensau. Das wird auch am Donnerstagmittag deutlich. SPD-Bundeschefin Andrea Nahles gastiert in Mannheim, entwirft Visionen, stellt Forderungen. An ihrer Seite: Castellucci, 44 Jahre alt, Abgeordneter aus dem Rhein-Neckar-Kreis und in der Endphase des eigenen Wahlkampfes um den Parteivorsitz im Land.
Er könnte diese Gelegenheit nutzen. Sich in den Vordergrund drängen, die Aufmerksamkeit für die prominente Genossin auf sich lenken. Doch nichts da. Bei drei, vier Sätzen belässt er es - und die sind Solidaritätsappelle für Nahles. Es überrascht immer noch, dass ausgerechnet dieser Mann es wagte, als einziger im Landesverband offen die Machtfrage zu stellen. Und Südwest-SPD-Chefin Leni Breymaier herausforderte.
Am Tag zuvor. Treffen in einem kleinen Heidelberger Café. Castellucci sitzt im gemütlichen Sessel, ein Wasser vor sich, den blauen Schal locker gewunden. Tablet auf den Knien. Schnell wird noch eine Mail an eine Studentin abgeschickt. Die vergangenen fünf Wahlkampf-Wochen waren stressig. "Die Hochachtung vor denen, die das vor mir gemacht haben, ist gewachsen", gesteht er. Doch jetzt wirkt er entspannt. "Ich erzähle eigentlich überhaupt nicht gerne von mir", sagt er, aber jetzt, mit seinen Ambitionen, lasse sich das wohl kaum vermeiden.
Ob er neuer Parteichef wird? "Ich habe da kein Gefühl. Bei den Unentschlossenen habe ich hoffentlich punkten können."
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Dass es überhaupt so weit kommen konnte mit dem Jungen aus Wiesloch - ein wenig verwundert es ihn selbst noch. Auch wenn er rein äußerlich, drahtig, mit blauem Anzug und Designerbrille, anders wirkt: Seine Biografie passt perfekt zur Aufsteiger-Partei SPD.
Die Mutter beginnt mit 14 Jahren im Einzelhandel zu arbeiten. Der Vater, Italiener, wandert vor 60 Jahren ein. Nein, kein klassischer Gastarbeiter, stellt Castellucci klar. "Er ist wegen der Liebe gekommen." Er lernt Deutsch, absolviert die Lehre als Bauzeichner, wird Systemanalytiker, arbeitet zuletzt für SAP. Der Sohn spricht voller Respekt vom Fleiß des Vaters.
Er selbst kommt am 24. Februar 1974 in Heidelberg zur Welt. Als Einzelkind wächst er in Wiesloch auf - und bleibt dort bis heute. "Ein Dorfkind, schon immer", schmunzelt er. Aber ein Dorfkind, das etwas erreichen will. "Als ich aufs Gymnasium sollte", erinnert er sich, "hat meine Mutter mir als erstes gesagt, dass ich das alleine machen muss und sie mir nicht helfen kann." Doch er schafft es, ist auch der Erste in der Familie, der studiert. Politik, Geschichte, Öffentliches Recht in Heidelberg und Mannheim. Auch ein Auslandsjahr in San Francisco ist dabei. "Es war heftig", sagt er. "Mein Heimatgefühl ist da erst so richtig gewachsen."
2008 - da arbeitet er schon als Berater für kommunale und regionale Entwicklung - promoviert er. 2013 wird er Professor an der Hochschule der Wirtschaft für Management in Mannheim. "Lehrer wollte ich nie werden", schüttelt er den Kopf. "Jetzt bin ich Hochschullehrer."
Das politische Engagement beginnt früh, auch weil Teile der örtlichen Jusos zwischenzeitlich zur "Ersatzfamilie" werden. Mit 20 Jahren wird er SPD-Ortsvorsitzender in Wiesloch, drängt in den Gemeinderat. "Die Jusos haben nur über Cannabis diskutiert, ich wollte aber mehr bewegen", sagt er rückblickend. Dabei hat er zunächst Zweifel. "Heute heißen ja alle komisch", sagt Castellucci, doch mit seinem italienischen Namen rechnet er sich in den 90ern kaum Wahlchancen aus. "Im Kopf hat man da irgendwie eine Hürde", sagt er. Er versteht Jugendliche, die mit ihren Wurzeln hadern.
Tatsächlich scheitert er im ersten Anlauf, gibt aber nicht auf. "Ich war danach so präsent in der Stadt, als wäre ich gewählt worden." 1999 kandidiert er erfolgreich. 2001 wird er Fraktionschef im Gemeinderat, zudem Kreisvorsitzender der SPD-Rhein-Neckar - und mit diesem Rückhalt 2005 stellvertretender Landesvorsitzender. 2013 gelingt ihm, im zweiten Anlauf, der Einzug in den Bundestag.
"Ehrgeiz habe ich schon, jetzt, wo man so drüber redet", bemerkt er fast verwundert. Wegbegleiter, mit denen man spricht, stimmen durchaus zu. Allerdings: An einen "Gerhard-Schröder-Moment", ein energisches Rütteln am Zaun des Kanzleramts ("Ich will hier rein"), kann sich keiner erinnern. "Lars ging es nie um die Macht an sich, sondern er wollte wirklich etwas verändern", heißt es wohlwollend. Er selbst verweist voller Stolz lieber auf Projekte als auf Ämter: auf den "Runden Tisch für Arbeit", die Wieslocher "Tafel", die "Weihnachts-Wunsch-Aktion".
Dass Castellucci, der nie als Spalter in Erscheinung trat, seine Kandidatur gegen Breymaier öffentlich machte: Viele waren überrascht. Ein riskanter Schritt, auch wenn es intern schon einige Zeit vernehmliches Grummeln gegeben hatte.
Könnte er ein guter Parteichef sein? Vielen fällt es schwer, sich den eher unauffällig auftretendende Wieslocher als Frontmann vorzustellen. Zu ähnlich sei er dem Ex-Landeschef Nils Schmid, der doch eher blass blieb, heißt es giftig. Castellucci lässt diese Kritik abperlen. "Ich bin gar nicht so schlau wie Nils Schmid", kontert er trocken - "aber auch nicht so emotional wie Leni Breymaier." Und im Übrigen müsse die Partei endlich aufhören, Etiketten zu verteilen.
In der Nacht auf Dienstag wird es sich entscheiden. Dann werden die Stimmen der rund 36.000 Mitglieder ausgezählt. "Schwuppdiwupp, die Leni", könnte es dann heißen. Und wenn nicht? Dann kann sich Castellucci vielleicht an der Orgel trösten. Zeit zum Üben, sagt er bedauernd, habe er nämlich lange nicht mehr gehabt.