Messerattacke in Heilbronn

70-Jähriger wollte, dass Bundeskanzlerin von seinem Unmut erfährt

Staatsanwältin wertet den Angriff auf Flüchtlinge als versuchten Mord - Sieben Jahre Haft gefordert

30.10.2018 UPDATE: 31.10.2018 06:00 Uhr 1 Minute, 11 Sekunden

Der Angeklagte mit seiner Verteidigerin vor Gericht. Foto: Frank

Von Hans Georg Frank

Heilbronn. Die Verteidigerin möchte nicht, dass ihr Mandant, "der alte, kranke Mann", im Gefängnis stirbt. Eine Bewährungsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung reiche völlig aus. Dabei hatte der bald 71-Jährige gestanden, im Februar in Heilbronn wahllos Flüchtlinge mit einem Messer angegriffen und drei Männer verletzt zu haben. Nur den Grund konnte er nicht erklären, weil er einen Filmriss gehabt haben will.

Die Staatsanwältin wertet die Attacke als dreifachen Mordversuch. Dafür müsse der Angeklagte sieben Jahre in Haft, "eine deutliche Freiheitsstrafe" sei tat- und schuldangemessen. Auslöser sei der Ärger mit seiner Tochter (27) gewesen, die trotz guter Ausbildung keine Arbeitsstelle finde und deshalb Sozialhilfe beantragen wollte. Eine solche Unterstützung komme für ihn jedoch nicht in Betracht, "in seiner Welt sorgt man selber für sich", erklärte die Staatsanwältin. Deshalb habe er zum Messer "mit kräftiger Klinge" gegriffen und sei auf die Flüchtlinge unweit seiner Wohnung losgegangen - also auf jene "die vom Staat leben".

Die Opfer seien arg- und wehrlos gewesen. Wegen des verborgenen Messers und des Anschleichens von hinten, ging die Staatsanwältin von Heimtücke aus. Auch entdeckte sie "niedrige Beweggründe", weil die Geschädigten instrumentalisiert und entwürdigt worden seien. Bei dem Prozess vor dem Landgericht Heilbronn berichteten Polizisten, der angetrunkene Spätaussiedler habe nach eigenen Angaben ein Zeichen gegen die Flüchtlingspolitik setzen wollen. Bundeskanzlerin Merkel solle von seiner Unzufriedenheit erfahren, habe er wortreich erklärt. Angeblich habe er auch vorgehabt, sich nach der Tat im Neckar zu ertränken.

Die Verteidigerin wertete diese Aussagen als "zusammenhanglose Fragmente". Der Angeklagte, in Kasachstan geboren und 1991 nach Deutschland ausgewandert, habe sich in einem Ausnahmezustand befunden und einen Tötungsvorsatz ebenso wenig gehabt wie eine ausländerfeindliche Einstellung. In Heilbronn habe er als Hausmeister "bis zum unseligen Tag tadellos gelebt, hat allen geholfen, war höflich und zuvorkommend". Das Urteil soll am Mittwoch verkündet werden.

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