"Ich bin kein Fremdenhasser"
Beim Prozessauftakt in Heilbronn kann sich ein Rentner nicht an Messerattacke auf Flüchtlinge erinnern

"Schrecklich besoffen" sei er bei der Tat am Abend des 17. Februar in der Heilbronner Innenstadt gewesen, beteuerte Willi B. am Dienstag vor Gericht. Foto: Frank
Von Hans Georg Frank
Heilbronn. Samer lehnt die Entschuldigung im Gerichtssaal am Dienstag strikt ab. "Ich nehme sie nicht an, er hat mein Leben zerstört", wirft der 26-jährige Iraker dem Angeklagten vor. Willi B. (70) muss sich wegen eines Angriffs auf Flüchtlinge mitten in Heilbronn verantworten. In Briefen an drei Opfer bat er um Verzeihung. Er sei "kein Fremdenhasser, kein Rechtsextremist", schrieb er. Er sei "schrecklich besoffen" gewesen. Die jeweils 2000 Euro als Entschädigung haben die drei Verletzten akzeptiert.
Die Anklage hält dem Spätaussiedler versuchten Mord vor. Bewaffnet mit einem Messer, dessen Klinge 19 Zentimeter lang war, sei er am 17. Februar gegen 21.18 Uhr in die Heilbronner Innenstadt gegangen. Sein Ziel sei gewesen, "auf möglichst viele Flüchtlinge einzustechen". Er wollte sie "erheblich verletzen, wenn nicht gar töten", sagt die Staatsanwältin. Es sei nur vom Zufall abhängig gewesen, welche Folgen sein "massives Vorgehen" gehabt habe. "Er spielte sich auf als Herr über Leben und körperliche Unversehrtheit."
Bei den Verletzten handelte es sich um Zufallsopfer. Sie standen nicht in einer Gruppe zusammen, sondern teilweise 20 Meter auseinander. Aber sie waren alle am Aussehen als Ausländer erkennbar. Willi B. habe sich den Opfern "von hinten genähert" und "mit erheblichem Kraftaufwand" "überfallartig eingestochen". Ein Afghane (17) wurde durch Stiche in den Bauch schwer verletzt, ein Syrer (19) erlitt weniger gefährliche Blessuren.
Samer rechnete die Polizei auch zu den Leichtverletzten, weil er zunächst nur zwei Stunden in der Ambulanz verbringen musste. Doch das Messer durchtrennte mehrere Nerven, sodass er Finger der linken Hand nicht mehr bewegen kann. Damit verlor der Asylbewerber seinen Arbeitsplatz als Bäcker. Sein Leben sei jetzt "eine Hölle", klagt er im Zeugenstand, "ich wollte dem deutschen Staat eigentlich nicht auf der Tasche liegen".
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Nach der Festnahme soll Willi B. Polizisten gesagt haben, er habe "ein Zeichen gegen die Flüchtlingspolitik" setzen wollen. Aber daran kann er sich ebenso wenig erinnern wie an die Tat selbst. Zwar übernimmt er die Verantwortung, aber das angebliche Motiv weist er weit von sich. "Ich bin doch selber fremd hier", sagte er dem psychiatrischen Sachverständigen. B. ist im November 1947 in Semipalatinsk (Kasachstan) geboren, 1991 kam er mit Frau und Tochter nach Deutschland. "Das war mein Traum, ich wollte als Deutscher in Deutschland leben", sagte er, dessen Vorfahren aus dem Raum Tübingen stammen.
Anderthalb Stunden nach der Tat hatte der frühere Hausmeister 1,9 Promille Alkohol im Blut. Dabei wollte er nur bei besonderen Anlässen trinken. Am 17. Februar wurde der 27. Geburtstag der Tochter gefeiert. Wie viele und welche Spirituosen er zu sich genommen hat, wisse er nicht mehr genau, erklärt er vor Gericht. Er könne sich nur erinnern, im Bad einen Schwindelanfall gehabt zu haben. Auch den Gang von seiner Wohnung zu dem wenige 100 Meter entfernten Tatort hat er angeblich aus dem Gedächtnis gelöscht.
Die Schwurgerichtskammer bewertete das Verbrechen als "ganz, ganz schlimm". Der Vorsitzende Richter Roland Kleinschroth deutete an, B. wisse möglicherweise "manche Dinge" nicht mehr, weil er sie nicht wissen wolle oder sie sich nicht zugetraut habe. Denkbar sei, dass der Rentner sich von der Hetze in Internetforen habe anstecken lassen. Bei Durchsuchungen sei jedoch nichts gefunden worden, "was in eine rechtsradikale Ecke geht".
Info: Der Prozess wird am heutigen Mittwoch fortgesetzt, bis 31. Oktober sollen noch insgesamt 22 Zeugen gehört werden.



