Über 80 Jahre Krise - aber immer noch da
Im Dritten Reich fing es an: Das Völkerkundemuseum ist seit Jahrzehnten unterfinanziert - Grünen-Veranstaltung erforschte die Hintergründe

Von Micha Hörnle
Heidelberg. Die Wogen im und um das Völkerkundemuseum haben sich etwas geglättet. Aber nur weil man gerade wenig hört - im Moment konstituiert sich erst einmal ein neues Kuratorium -, heißt das nicht, dass der Riesenstreit der letzten Monate ausgestanden ist. Eine Veranstaltung der Grünen-Gemeinderatsfraktion am Donnerstagabend versuchte aufzuklären - zumal im nächsten Jahr die Von-Portheim-Stiftung, die das Museum trägt, 100 Jahre alt wird.
Der Prolog im Museum: Vor den Vorträgen von Experten führten Museumsleiterin Magdalena Pavaloi und ihr Mitarbeiter Robert Bitsch durch die aktuelle Batak-Ausstellung. Die Bataks sind ein Volk im Norden Sumatras (Indonesien) mit einer reichen Kultur. An dieser nicht allzu großen Exposition über eine eher unbekannte Minderheit wird deutlich, wieso es solch ein Museum geben muss: "Unsere Hauptaufgabe ist, die Kulturzeugnisse der Menschheit zu bewahren. Wir wissen nicht, welche Fragen zukünftige Generationen an diese Objekte haben werden."
Die Batak-Exponate sind alles Stücke, die Victor Goldschmidt vor 95 Jahren selbst angekauft hat. Dabei folgte er vor allem, so Pavaloi, seinen eigenen Forschungsinteressen: Musik, Kunst und Farbe. Noch ist nicht alles völlig wissenschaftlich aufgearbeitet - was auch an der dünnen Personaldecke des Museums liegt. Zukäufe in der Zeit nach Goldschmidts Tod 1933 sind die Ausnahme, dafür gab es 1983 die Dauerleihgabe der großen Asmat-Sammlung, die aber nun zurückgefordert wird.
Hintergrund
Leontine und Victor Goldschmidt waren wichtige Mäzene ihrer Wahlheimat Heidelberg im frühen 20. Jahrhundert. Er stammte aus einer wohlhabenden jüdischen Familie aus Mainz, sie aus einer Industriellenfamilie aus Prag. Victor Goldschmidt studierte an der Bergakademie im
Leontine und Victor Goldschmidt waren wichtige Mäzene ihrer Wahlheimat Heidelberg im frühen 20. Jahrhundert. Er stammte aus einer wohlhabenden jüdischen Familie aus Mainz, sie aus einer Industriellenfamilie aus Prag. Victor Goldschmidt studierte an der Bergakademie im sächsischen Freiberg, mit 35 Jahren kam er 1888 nach Heidelberg, wo er noch im selben Jahr seine zehn Jahre jüngere Cousine Leontine heiratete. Die große akademische Karriere blieb Goldschmidt versagt, er war lediglich unbezahlter Privatdozent und hatte keine Räume an der Universität, so verlagerte er seine Forschungen in seine Privaträume, später mietete er für sein eigenes Mineralogisch-Krstallographisches Institut weitere an.
Goldschmidt galt als eine Kapazität auf dem Gebiet der Kristalle und Mineralien, sein Institut hatte großes Renommee. Es war im Vergleich zu universitären Instituten sehr gut ausgestattet, weil Goldschmidt einen Gutteil seines privaten Vermögens investierte. Einen Ruf als ordentlicher Professor erhielt er nie, obwohl er mehrfach auf Vorschlagslisten war - das lag wohl an seiner jüdischen Herkunft.
1919 gründeten das Paar die "Josefine-und-Eduard-von-Portheim-Stiftung für Wissenschaft und Kunst", benannt nach ihrem Vater und seiner Mutter, wahrscheinlich um kurz nach dem Ersten Weltkrieg auf der sicheren Seite zu sein und um aus seinem wissenschaftlichen Außenseitertum herauszukommen. Ihr Vermögen umfasste 300.000 Reichsmark, mehrere Gebäude und unbebaute Grundstücke. Zugleich baute die Stiftung mehrere Institute auf - wie das bereits existierende mineralogisch-kristallographische, aber auch das sinologische und das anthropologische.
Ein besonderer Stiftungszweck war die Völkerkunde, dazu hatte eine Reise des Ehepaars nach Nordamerika, Japan, China, Ceylon, Indien und Ägypten 1894 den Grundstock gelegt; allerdings wurde das eigene Ethnographische Institut erst spät gegründet - dessen Sammlungen bilden die Grundlage für das heutige Völkerkundemuseum. Viele Stücke kaufte Goldschmidt bei spezialisierten Händlern - hier verbindet sich sein breites Forscherinteresse und seine Sammelleidenschaft, eben im Wortsinn ein Sammelsurium - und die Völkerkunde war noch nicht einmal Goldschmidts größtes Faible. Diese Sammlung wurde 1929 mit einem Museum im ersten und zweiten Stock des Palais Weimar, insgesamt zwölf Räume, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht - zuvor hatte dort die Stiftungsverwaltung residiert.
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten überlebte Victor Goldschmidt nur knapp: Er starb am 8. Mai 1933 bei einem Kuraufenthalt in Salzburg. Seine Frau hatte 1935 den Stiftungsvorsitz abgeben müssen. Sie nahm sich am 25. August 1942 das Leben, als sie erfahren hatte, dass sie ins KZ Theresienstadt deportiert werden sollte. hö
Und, auch das gehört zur Wahrheit: Das Museum ist "ein doppeltes Schatzhaus", wie ein Besucher sagte: einerseits die beeindruckende Sammlung, aber auch die stilvollen Räume der Bel-Etage - wie überhaupt das barocke Palais Weimar für viele Heidelberger eine unbekannte Schönheit ist. "Dieses Haus ist völlig unterbewertet", sagt die grüne Stadträtin Luitgart Nipp-Stolzenburg.
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Was der Historiker sagt: Frank Engehausen untersuchte die Von-Portheim-Stiftung von der Gründung 1919 bis 1955. In seinem 2008 erschienenen Buch weist er nach, dass der schwerste und heute noch fühlbare Einschnitt mit dem Dritten Reich kam. Das Kuratorium, also das Leitungsgremium der Stiftung, "wurde braun" (Engehausen), nach und nach versuchte "eine Clique eingefleischter nationalsozialistischer Emporkömmlinge, die Erinnerung an die jüdischen Gründer zu tilgen".
Seit 1941 wurde auch der Stiftungsname geändert. Manche Beschäftigte stopften sich mit hohen Gehältern oder Pensionen die eigenen Taschen voll. Schon zu Goldschmidts Lebzeiten gab es immer wieder Liquiditätsprobleme und Notverkäufe von Häusern, aber erst die Nazis wagten sich an die Sammlungen. Vor allem das Herzstück, die vielen Kristalle und Mineralien - schließlich war Goldschmidt Mineraloge -, wurden ab 1939 an die Universität verkauft: "Die Sammlungen wurden schwer geschädigt." Dabei ist nicht klar, ob und was unter Wert verscherbelt wurde.
Auch nach dem Krieg wurde es kaum besser: Universität und Stadt konnten mit dem Rest wenig anfangen - schließlich konzentrierte sich das übrig gebliebene Museum auf die Völkerkunde. Aus juristischen Gründen kam es nie zu einer Wiedergutmachung. Engehausen sagt: "Victor Goldschmidt hätte es sich nie vorstellen können, dass seine Stiftung heute als Trägerin des Völkerkundemuseums wahrgenommen wird."
Was der Museumsdirektor sagt: Klaus Schneider, der das Völkerkundemuseum Rautenstrauch-Joest in Köln leitet, wundert sich, wie wenig das Heidelberger Pendant wahrgenommen wird. Dabei sind dessen 40.000 Objekte von hoher Qualität, er selbst hat in seinem Haus 65.000. Allerdings wird es von der Stadt Köln großzügig gefördert, sodass man etwas schaffte, wovon die Heidelberger nur träumen können: Am Rhein wurden alle Objekte drei Jahre lang digitalisiert - allein schon, damit die weltweite Forschergemeinschaft Zugriff darauf hat. Sein Fazit: "Das kann in Heidelberg so nicht weitergehen. Die Grundausstattung können nicht mehr nur ein paar tausend Euro sein. Und das kann allein die Stiftung nicht leisten."
Hintergrund
Wenige Öffnungstage, kaum Personal und viel zu wenig Geld
(hö) Wer das Völkerkundemuseum in der hinteren Hauptstraße nicht kennt, ist zumindest schon einmal
Wenige Öffnungstage, kaum Personal und viel zu wenig Geld
(hö) Wer das Völkerkundemuseum in der hinteren Hauptstraße nicht kennt, ist zumindest schon einmal an der Bootshalle am Neckarmünzplatz vorbeigefahren. Sie ist Schauraum und Depot in einem - beim großen Neckarhochwasser Ende 1993 wurden die Boote sogar von der Flut mitgerissen, seitdem wird ein Einbaum vermisst.
Zumindest ungewöhnlich an diesem Museum sind die Öffnungszeiten: An zwei Tagen in der Woche (Montag und Dienstag) ist geschlossen, und während der gesamten Sommerferien machte das Team Pause - für einen Experten wie Klaus Schneider vom Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum "ein Unding".
Das liegt, so erklärt Museumsleiterin Magdalena Pavaloi, weniger an fehlender Motivation, als vielmehr an fehlendem Geld: Der frei verfügbare Etat - am meisten geht dabei für Aufsichtsaushilfen drauf - liegt bei 80.000 Euro, bisher steuerte das meiste die Stiftung bei, erst seit dem letzten Jahr unterstützt die Stadt Heidelberg das Museum mit 40.000 Euro. Und so ist auch die personelle Decke des Museums sehr dünn: Fünf Personen teilen sich drei Stellen, den wissenschaftlichen Bestand des Museums arbeiten Pavaloi und Robert Bitsch auf - insgesamt eineinhalb Stellen. Sie sind es auch, die für die zwei bis sechs Ausstellungen pro Jahr kuratieren.
Noch ist das Völkerkundemuseum ein Zwerg in der Heidelberger Museumslandschaft: Mit 5356 Besuchern im letzten Jahr zählte es weniger als ein Zehntel des städtischen Kurpfälzischen Museums.
Die Stimmung: Viele Zuhörer reagierten bestürzt und empört auf die Ausführungen. Unter ihnen war auch der mittlerweile abgesetzte Kuratoriumsvorsitzende Peter Koepff: "Durch Heidelberg muss endlich ein Ruck gehen. Seit 70 Jahren fehlen hinten und vorne die Mittel. Das Museum ist seit Jahrzehnten kaputtgespart worden." Die grüne Stadträtin Kathrin Rabus warnte vor zu großen Hoffnungen: "Antworten haben wir noch nicht. Wir gehen erst in die Haushaltsberatungen." Und so forderte ihr Ratskollege Arnulf Weiler-Lorentz (Bunte Linke), dass das Land einspringen müsse.
Gut, dass die zuständige Landesministerin Theresia Bauer - sie ist neu im Völkerkundemuseum-Kuratorium - auch im Publikum saß: Zwar konstatierte auch sie eine "unwürdige, peinlich geringe Mittelausstattung" des Museums, aber sie könne "beim besten Willen keine Landesgelder zusagen". Ihr Rat: "Das erste Signal muss aus der Stadt heraus kommen. Dann finden sich weitere Unterstützer."