Prozess gegen "OEG-Schläger"

Ihr Opfer leidet noch immer

Sechs Jugendliche sitzen auf der Anklagebank - Schulische Misserfolge, zerrüttete Familien

09.11.2017 UPDATE: 10.11.2017 06:00 Uhr 1 Minute, 49 Sekunden

Mehmet Efetürk (links) mit Siegfried Kollmar, dem Leiter der Kriminalpolizeidirektion Heidelberg. Efetürk wurde für sein Eingreifen im Rahmen der Aktion "Beistehen statt rumstehen" ausgezeichnet. Foto: Kreutzer

Von Philipp Weber

Mannheim/Weinheim. Das Verbrechen geschah am Abend des 11. März in einem RNV-Zug (frühere OEG) zwischen Viernheim und Weinheim - und hat in der ganzen Region Empörung ausgelöst und Anteilnahme hervorgerufen. Der 29-jährige Mehmet Efetürk stellte sich mehreren Jugendlichen entgegen, die eine junge Frau belästigt hatten. Er wurde daraufhin so brutal zusammengeschlagen, dass sein Nasenbein und zwei Rippen brachen. Er leidet bis heute unter den Folgen der Tat.

Auf den Anklagebänken sitzen nun sechs Jungen: Furkan D., Jermaine L., Taufik M., Filmon M., Eyyüpcan P. und Özcan K. Sie waren zur Tatzeit 17 oder 18 Jahre alt. Zwei von ihnen, Jermaine L. und Taufik M., sollen auf die RNV-Sitze gestiegen sein, um auf ihr am Boden liegendes Opfer zu springen - davon ist Oberstaatsanwalt Frank Höhn überzeugt. Filmon M. ist noch auf freiem Fuß, Jermaine L., Taufik M. und Furkan D. sitzen in Untersuchungshaft. Ebenso wie Eyyüpcan P., der sich aber wegen eines anderen Delikts in Haft befindet. Die siebte Strafkammer des Mannheimer Landgerichts befasste sich in den ersten sieben Prozess-Stunden mit den Lebensläufen der mutmaßlichen Täter. Zwei davon sind Deutsche, zwei Türken, einer Eritreer. Einer sieht sich als staatenlos.

Özcan K. ist angeklagt, obwohl er an der Tat in Weinheim nicht unmittelbar beteiligt sei, so stellt es sein Anwalt dar. Hintergrund: Die Kammer behandelt auch Straftaten, die sich einen Monat zuvor abgespielt haben sollen - am frühen Morgen des 11. Februar, in einer S-Bahn zwischen Heidelberg und Mannheim. Daran waren drei der späteren fünf mutmaßlichen Täter aus dem RNV-Zug beteiligt. Sie sollen einem Mann mehrfach ins Gesicht geschlagen und ein weiteres Opfer in eine Zugtoilette gedrängt haben, um es auszurauben. Anklagt sind sie nun wegen Raubes und gefährlicher Körperverletzung.

Der Vorsitzende Richter, Joachim Bock, fragte nach. Geduldig und präzise, wie ein Schweizer Uhrwerk. Er bekam Unerfreuliches zu hören. Fünf der sechs Angeklagten erlebten eine Schulzeit, die von Misserfolgen, Wechseln und Verweisen geprägt war. Alkohol und Drogen gehörten zur Freizeitgestaltung. Die Familien waren mehr oder weniger zerrüttet, Gespräche oder gemeinsame Mahlzeiten selten. Am traurigsten ging es wohl bei Jermaine L. zu. Seine alleinerziehende Mutter habe sich kaum gekümmert, sagte er. Leidlich gut klappte es im Sport. Der athletische Furkan D. erkämpfte sich als Thaiboxer sogar Amateurpokale. Der drahtige Jermaine glänzte als Fußballer.

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Die Ausnahme: Taufik M. Eigenen Angaben zufolge hatte er die Grundschule mit einem Schnitt von 1,8 abgeschlossen und die Unterstufe eines Gymnasiums durchlaufen. Wegen einer ADHS-Diagnose habe er jahrelang Ritalin genommen, schilderte er in souveräner Wortwahl. Straffällig wurde auch er, von 2014 bis 2017 verbüßte er eine Jugend-Haftstrafe, machte den Realschulabschluss hinter Gittern. Nun will er seine Verteidiger wegen eines "eklatanten Vertrauensbruchs" loswerden, eine Aussetzung des Prozesses beantragen. Die Gründe dafür blieben im Dunkeln. Gesichert sind Kamera-Aufzeichnungen vom 11. Februar aus der S-Bahn, die noch gezeigt werden. Für den Prozess sind 15 Verhandlungstage angesetzt.

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