Bürgermeister Erichson kann nichts erschrecken
Nach zehn Jahren im Amt zieht der Bürgermeister eine überwiegend positive Bilanz - Von Altstadtlärm bis Zuwanderung

"Ich habe verstanden": Wolfgang Erichsons Abschied vom Grillverbot. Foto: Joe
Von Holger Buchwald
Altstadtlärm, Neckarwiese, Integration und Müll - Bürgermeister Wolfgang Erichson beackert nicht gerade die leichten Themen und eckt mit seiner "Berliner Schnauze" auch hin und wieder an. Aber nach zehn Jahren im Amt zieht der 62-Jährige eine positive Bilanz. In seinem Dezernat arbeiten 631 Frauen und Männer. Noch sechs Jahre wird Erichson im Amt sein und möchte in dieser Zeit einiges erreichen. Zugleich sagt er: "Wenn man in Berlin sozialisiert wurde, können einen die Heidelberger Probleme nicht erschrecken".
Hintergrund
Wolfgang Erichson
Der gebürtige Berliner ist im Heidelberger Rathaus schon ein Paradiesvogel - nicht nur wegen seiner Vorliebe für einen eher farbigen Kleidungsstil. Es ist vor allem seine manchmal unverblümte Art samt "Berliner Schnauze", die den
Wolfgang Erichson
Der gebürtige Berliner ist im Heidelberger Rathaus schon ein Paradiesvogel - nicht nur wegen seiner Vorliebe für einen eher farbigen Kleidungsstil. Es ist vor allem seine manchmal unverblümte Art samt "Berliner Schnauze", die den Bürgermeister vom Rest der meisten Stadtangestellten abhebt. Erichson hat durchaus einen Hang zur Selbstironie. Das zeigte er, als er sich in seinen ersten Jahren als Ordnungsbürgermeister den Ruf als "Grüner Sheriff" erwarb: Er wollte auf der Neckarwiese richtig aufräumen und das Grillen bis auf das Areal unter der Ernst-Walz-Brücke verbieten. Der Jugendgemeinderat protestierte, der "große" Gemeinderat kassierte 2008 das Verbot - und im Juni 2009 brutzelte Erichson auf der Neckarwiese demonstrativ Bio-Würstchen, als er die neuen größeren Grillzonen eröffnete. Auf der Schürze stand: "Ich habe verstanden".
Ähnlich farbig wie seine Schlipse ist auch die Biografie des 62-Jährigen: In Berlin war er in der CDU und mit einer Frau verheiratet, nach seinem Coming-out ging er zu den Grünen, lebt offen schwul - aber erst in Heidelberg heiratete er vor neun Jahren seinen Partner Berthold Quast. Ein Jahr später verklagte er seinen Arbeitgeber, die Stadt Heidelberg, weil sie ihm den Familienzuschlag vorenthielt. Auch wenn die Klage abgewiesen wurde: Erichson war bundesweit in den Schlagzeilen.
Es dauerte ein bisschen, bis er in Heidelberg richtig heimisch wurde, schließlich wollte er lieber Regierungspräsident in Freiburg werden. Mittlerweile lebt er in der Bahnstadt. hö
Der RNZ gibt er einen Überblick über seine wichtigen Themen:
Beim Umweltschutz sieht Erichson die Stadt auf einem guten Weg. Dieser Bereich fällt erst seit zwei Jahren in sein Dezernat. Das Projekt "Masterplan 100 Prozent Klimaschutz" wurde schon zuvor angestoßen. "Wir wollen bis 2050 den CO2-Ausstoß um 95 Prozent reduzieren", so Erichson. Mit dem Solarkataster, dem Passivhaus-Stadtteil Bahnstadt und anderen Projekten sei man auf einem guten Weg. Zugleich spricht sich der grüne Bürgermeister gegen ein Diesel-Fahrverbot aus. "Ich bin für die blaue Plakette", sagt er. Das heißt: Nur noch die besonders sauberen Diesel-Autos dürften in die Innenstadt fahren. Als "Übergangstechnologie" seien sie noch unverzichtbar, solange für umweltfreundlichere Technologien wie Wasserstoffautos die Infrastruktur fehle. Erichson selbst fährt als Dienstauto einen Elektro-BMW und unterstützt die Bemühungen der Rhein-Neckar-Verkehr GmbH, immer mehr Elektrobusse fahren zu lassen.
Ordnungsbürgermeister - so wird Erichson gerne genannt, wenn es ums Thema "Lärm in der Altstadt" geht. Anwohner klagen derzeit juristisch gegen die neue Sperrzeitregelung, die sie in ihren Augen nicht stark genug vor nächtlichen Ruhestörungen schützt. Man warte nun das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ab, habe die Klageerwiderung abgegeben, so Erichson. Der Bürgermeister selbst hatte sich für strengere Kneipenöffnungszeiten eingesetzt und befürwortet, dass die Wirte werktags um 1 Uhr und am Wochenende um 3 Uhr schließen müssen. Doch vor dem Gemeinderat erlitt er damit eine Niederlage. In der Nacht auf Freitag darf jetzt sogar bis 4 Uhr bewirtet werden. Die Lärmbeschwerden seien seither nicht viel häufiger geworden, so Erichson. Ihm macht viel mehr Sorgen, dass es in der Altstadt wieder mehr Schlägereien gibt: "Die Körperverletzungen sind in 2017 signifikant gestiegen." Vom Land erwartet er nun, dass Heidelberg im Rahmen einer Sicherheitspartnerschaft mehr Polizei bekommt. Schließlich habe die Stadt auch selbst den Kommunalen Ordnungsdienst aufgestockt - auf inzwischen 16 Beamte.
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Die Neckarwiese ist ebenfalls ein Thema, das in regelmäßigen Wellenbewegungen immer wieder hochkocht. "Sie ist ein Kriminalschwerpunkt", sagt Erichson. Er initiierte vor Jahren schon den "Runden Tisch Neckarvorland", in dem die Probleme von Anwohnern und Nutzern thematisiert wurden. Zum Schutz der Grünanlage entstand hieraus ein Gesamtkonzept, mit dem der Müll und der Verkehr eingedämmt und die Sicherheit verbessert werden sollten. Als die Polizei in den letzten beiden Jahren wieder mehr Straftaten registrierte, kochte das Thema aber wieder hoch.
Die Videoaufzeichnung am Bismarckplatz und am Hauptbahnhof hat der Gemeinderat beschlossen. Bei der Umsetzung gebe es aber gerade Schwierigkeiten mit dem Datenschutzbeauftragten des Landes, so Erichson. Dieser befürworte das intelligente Überwachungssystem, das derzeit in Mannheim getestet wird - die Kameras sollen selbstständig verdächtige Bewegungen erkennen. Eine generelle Aufzeichnung sei hingegen unerwünscht. Erichson: "Diese Bedenken haben uns überrascht."
Integration: Ein großer Erfolg ist für Erichson die Einrichtung des Interkulturellen Zentrums in Bergheim. Mit von der Bundesregierung geförderten Projekten wie "Wir sind Heidelberg" stärke es die Willkommens- und Anerkennungskultur in der Stadt. Der Aktionsplan "Offen für Vielfalt und Chancengleichheit" bündele bundesweit einmalig Projekte für alle Zielgruppen: Frauen, Menschen mit Behinderung, Zugewanderte und Migranten, Arbeitslose und sexuelle Minderheiten. Die Zivilgesellschaft in Heidelberg funktioniere, das zeigten die Bemühungen von Initiativen wie "Kirchheim sagt Ja", die sich um die Integration von Flüchtlingen kümmerten.
Mit dem Ausländer- und Migrationsrat (AMR) in seiner jetzigen Form gab es schon häufiger Meinungsverschiedenheiten. Auf der nächsten Tagesordnung steht die Absetzung des derzeitigen Vorsitzenden. Angesichts der verschwindend geringen Wahlbeteiligung und der Schwierigkeiten, einzelne Positionen zu besetzen, würde Erichson den AMR am liebsten von einem Wahlgremium in ein Expertengremium mit ernannten Vertretern umwandeln. Erichson: "Ich würde mir einen starken AMR wünschen."
Abfallwirtschaft und Stadtreinigung: Erichson ist mit diesen Bereichen zufrieden. "Durch besonders intensive Mülltrennung ist es gelungen, in Baden-Württemberg die niedrigsten Gebühren für die Müllabfuhr zu erreichen." Ein Heidelberger Vier-Personen-Haushalt bezahlt derzeit zwischen 102 und 113 Euro Abfallgebühren. Im Landesdurchschnitt sind es 148 bis 175 Euro pro Jahr. Auch das wäre für ihn ein Grund zum Feiern.