"Ich werde nicht resignieren"
Ruhan Karakul beschäftigt sich schon lange mit Rassismus - Die Deutsch-Türkin ist in der Alevitischen Gemeinde und im Zentralrat Deutscher Sinti und Roma aktiv

Ruhan Karakul. Archivfoto: PD
Mannheim/Heidelberg. (alb) Ausgrenzung, Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit - für Ruhan Karakul sind diese Themen Alltag. Beruflich, ehrenamtlich, privat. Die 34-jährige Deutsch-Türkin ist Co-Vorsitzende der Alevitischen Gemeinde in Baden-Württemberg und Justiziarin beim Zentralrat Deutscher Sinti und Roma mit Sitz in Heidelberg. Ihre Arbeit sei zäh, doch sie lohne sich. "Und ich werde nicht resignieren", sagt Karakul entschlossen. Eine Kämpfernatur.
Durchgesetzt hat sie sich schon recht früh. Obwohl sie in Bühl bei Baden-Baden geboren wird, schnappt Karakul erst mit fünf die ersten Brocken Deutsch auf. Ihre Eltern sprechen nur gebrochen Deutsch, wollen dem Mädchen keine "falsche" Sprache, sondern ihre Muttersprache beibringen. Im Kindergarten eröffnet die Kleine dann das erste Kapitel einer vorbildlichen Integrationsgeschichte, ihre Geschichte.
Ruhan ist neugierig und aufgeschlossen, findet schnell Freunde. In der Grundschule habe sie als Erste Lesen gelernt - vor allen deutschen Mitschülern. Die Klassenlehrerin empfiehlt ihr trotzdem später, die Realschule zu besuchen. "Aber das haben meine Eltern nicht zugelassen, ihnen ist Bildung sehr wichtig." Ruhan geht aufs Gymnasium, macht ein glänzendes Abitur (Note: 1,5) und studiert erfolgreich Jura in Mannheim.
Sie wird Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Strafrecht, berät ihre Klienten zunächst selbstständig und zuletzt in einer Kanzlei. Ihr Herz schlägt für die Politik, heute mehr denn je, und ihre Glaubensgemeinschaft, die Aleviten. Mit großer Sorge verfolgt Karakul die Entwicklung in der Türkei unter Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, den sie für einen Diktator hält und dem sie Willkürjustiz vorwirft.
Er verschlimmere die Spannungen zwischen den Aleviten, deren Glauben sich aus vorislamischen, schiitischen und mystischen Elementen in Anatolien entwickelt hat, die bisweilen aber als ungläubig stigmatisiert werden, und der sunnitischen Mehrheitsgesellschaft. Auch in Deutschland seien die Berührungspunkte eher rar, man kaufe zwar in den gleichen türkischen Läden ein, ansonsten bleibe man weitgehend unter sich. Karakul hofft auf mehr Dialog und ein friedliches Miteinander - und das nicht nur zwischen Religionen und Glaubensrichtungen. So sind die Aleviten im vergangenen Jahr zum ersten Mal beim Mannheimer Christopher Street Day auf die Straße gegangen, um sich mit den Anliegen der Homosexuellen zu solidarisieren.
Auch interessant
Inzwischen hat Karakul ihre politische Leidenschaft zum Beruf gemacht. Sie hängte den Anwaltsjob an den Nagel und wechselte zum Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Auf die Menschen zugehen, aufklären, die Interessen des Verbands und seiner Mitglieder vertreten, die oft keine Lobby haben, Workshops organisieren - das sind ihre Aufgaben. "Das Juristische spielt eine vergleichsweise kleine Rolle", sagt Karakul.
Und immer wieder wird sie mit Ressentiments konfrontiert. Anfang August beobachtet sie vom Fenster ihrer Mannheimer Wohnung aus, wie sich zwei Männer anschreien, eine Prügelei droht. Karakul wählt den Polizeinotruf, bittet darum, rasch eine Streife zu schicken. Zu diesem Zeitpunkt schlagen die Streithähne bereits aufeinander ein. Der Beamte am Telefon will wissen, welche Hautfarbe die Männer haben. Karakul ist irritiert. Am nächsten Tag wendet sie sich an das Polizeipräsidium und will wissen, ob die Beamten aufgrund unveränderbarer Merkmale generell Rückschlüsse auf den Charakter zögen. Sie erhält die Auskunft, solche Details seien als Ermittlungsansätze wichtig.
Karakul überzeugt die "lapidare Antwort" nicht. Im Falle der Schlägerei sei ein rasches Eingreifen erforderlich gewesen. "Hätte sich etwas für die eintreffende Streife geändert, wenn es blaue Menschen gewesen wären?" Hartnäckig geblieben ist Karakul auch bei der Aufarbeitung der Nazi-Vorwürfe gegen RNV-Mitarbeiter. Rund 80 Interviews hat sie gemeinsam mit den Mitarbeitern von "Ernst & Young" geführt und versucht, den Sachverhalt so gründlich wie möglich zu ermitteln. Dabei habe sie gelernt, dass sich die Fahrer viel von der Kundschaft gefallen lassen müssten. Und dennoch: "Rassismus ist nicht akzeptabel", sagt Karakul entschieden, "auch nicht zum Frustabbau".