Mannheim

Rouven Laur ist "für immer in unseren Herzen" (plus Video)

Ein Marsch durch die Innenstadt und eine bewegende Feier im Rosengarten mit vielen persönlichen Worten.

15.06.2024 UPDATE: 15.06.2024 04:00 Uhr 6 Minuten, 24 Sekunden
Zwei Polizisten mit einem Foto von Rouven Laur führten den Trauermarsch in den Planken Richtung Wasserturm und Rosengarten an. Foto: Anspach

Von Alexander Albrecht

Mannheim. Dieses Lächeln. Freundlich, zugewandt, ein bisschen verschmitzt. Rouven Laurs Lächeln – auch auf dem eingerahmten Foto, das zwei seiner Kollegen in den Planken tragen. Vor ihnen rollt ein Polizeiauto und eine Motorradeskorte mit Blaulicht, hinter den beiden laufen eine dunkel gekleidete Einsatzeinheit, Angehörige und Freunde des ermordeten Hauptkommissars, Politiker, Hunderte weitere Beamte.

Kurz vor 10 Uhr am Freitagmorgen hat sich der Trauermarsch in Bewegung gesetzt. Auf der sonst so belebten Einkaufsmeile scheint die Zeit stehen zu bleiben. Es ist leise. Ganz leise. 10.000 Teilnehmer, mit der die Polizei gerechnet hat, sind es bei Weitem nicht geworden, höchstens ein Drittel davon hat sich in den Zug eingereiht. Feuerwehrleute und Einsatzkräfte von Hilfsorganisationen stehen am Plankenkopf Spalier. Passanten halten inne oder kramen ihre Handykamera heraus.

Der Innenstadtring rund um den Wasserturm ist weitgehend abgesperrt, Lastwagen blockieren Zufahrten, Straßenbahnen stellen den Betrieb ein. So können die Mitlaufenden die Kreuzung problemlos ohne Zwischenstopp überqueren. Am Mannheimer Wahrzeichen vorbei trennen sich die Wege an der Augustaanlage.

Die meisten Teilnehmer ziehen als geladene Gäste zur Trauerfeier in den Rosengarten weiter, die anderen müssen mit der Liveübertragung des SWR auf der großen Leinwand vor dem Wasserturm vorliebnehmen. In drei Zeltpavillons können sich die Menschen in Kondolenzbücher eintragen oder Nachrichten auf Zettel schreiben, die später gebunden der Familie übergeben werden sollen.

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Leider bekommen die Draußenstehenden die erste Viertelstunde des Trauerakts nur visuell mit. Eine technische Panne, der Ton streikt. Das Landespolizeiorchester und Polizeiseelsorger Friedel Götz – bis vor wenigen Wochen noch evangelischer Pfarrer in Hirschberg-Großsachsen – sind zu sehen, aber nicht zu hören.

Dann wird auch noch die Leinwand schwarz. Ton und Bild setzen wieder ein, als eine A-capella-Formation der Popakademie "Als du gingst" von Singer-Songwriterin Lina Maly gibt. Die Zeile "Die Art, wie du lachst, wird immer bleiben" wirkt wie für den so früh und so grausam aus dem Leben gerissenen Polizisten geschrieben.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) eröffnet die sehr persönlichen, empathischen Reden. Der Regierungschef hat einen Kloß im Hals, das Sprechen fällt ihm zunächst schwer. Kretschmann erinnert daran, wie er eine Woche zuvor mit den Angehörigen des 29-Jährigen gemeinsam am Tatort stand. Auf dem Marktplatz, am Brunnen mit einem Teppich an Blumen, Kränzen und Kerzen.

Als Glockenläuten die Stille der Schweigeminute durchbrach, die Polizisten wieder ihre Mützen aufsetzten und der Applaus von Tausenden Händen als Respektbekundung vor den Beamten den Ort erfüllten, "da hat uns die volle Wucht dieses Abschieds getroffen". Auch die volle Wucht "dieser existenziellen Ungerechtigkeit", ergänzt der gläubige Landesvater.

Gerade der zum Opfer der Terrortat eines mutmaßlichen Islamisten gewordene Rouven Laur sei einer gewesen, der sich um Verständigung bemüht, nicht in Schwarz-Weiß gedacht habe. Ein Mann des Ausgleichs. "Gerade er ...", hadert Kretschmann. Er, der den Menschen, mit denen er in Kontakt kam, auf Augenhöhe begegnen wollte. Deshalb lernte Rouven Laur Arabisch, "das war ihm wichtig."

Der Beamte habe Menschen schützen wollen, damit sie in Freiheit leben können – unabhängig von Ansehen und Position der Person. Unabhängig davon, was er selbst dachte, zum Beispiel über die Kundgebung der islamkritischen "Pax Europa", an der die Katastrophe ihren Lauf nahm.

Der Ministerpräsident stellt Fragen: an den Staat und wie dieser seine Polizisten noch besser schützen kann, an die Politik, wie sich Attentätern und Extremisten der Nährboden entziehen lässt, und an uns alle, wie wir Hass und Verblendung in unserer Gesellschaft entgegentreten. Eine Frau aus Neckarbischofsheim, dem Heimatort von Rouven Lauer, hat Kretschmann gesagt, sie habe das Gefühl, dass das Gute verloren hat. Jeder verstehe, was damit gemeint sei. Es werde keinen 31. Mai mehr geben, an dem am Mannheimer Marktplatz nicht Blumen abgelegt werden.

Aber Rouven Laur sei mehr als dieser eine Freitag gewesen. Er habe seinen Beruf aus voller Überzeugung gewählt und mit ganzem Herzen ausgeübt. Professionell, hellwach, umsichtig, wie ihn Kretschmann beschreibt. "Einer, der einen Raum zum Leuchten bringen konnte." Und fehlen wird. Als Sohn, Bruder, Onkel Lebensgefährte, Freund, Kollege.

Kretschmann weiß: Kein Zuspruch, und wenn er noch so groß sein möge, könne die Stille überwinden, die ein solcher Verlust in eine Familie trage. Das Gedenken am Freitag solle den Angehörigen zumindest eine lichte Erinnerung sein, wenn die Tage ganz dunkel sind und die Trauer schwer wiegt.

"Eine Erinnerung daran, dass Rouven Laur so vielen Menschen so wichtig war", so Kretschmann. Das Land, die Mittrauernden – "wir sind bei Ihnen", verspricht der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) der Familie. Der Mensch suche für alles immer einen Grund und Sinn. "Hier findet man keinen."

Die Trauerfeier wurde auf einer Leinwand vor dem Mannheimer Wahrzeichen übertragen. Foto: Anspach

Rouven Laurs Tod sei Auftrag, mit der gleichen Entschlossenheit, mit der er einen tödlichen Angriff auf uns alle abgewehrt habe, sich denen entgegenzustellen, "die unsere Demokratie umbringen wollen". Mannheims Oberbürgermeister Christian Specht (CDU) spricht die wachsenden Anfeindungen gegenüber Polizei, Rettungskräften und Feuerwehr an. Ja, der Beifall auf dem Marktplatz sei ermutigend gewesen. "Aber ich frage uns: Muss erst ein Polizist im Einsatz ermordet werden, damit wir applaudieren?"

Ihren emotionalen Höhepunkt erreicht die Trauerfeier, als mit dem Neckarbischofsheimer Bürgermeister Thomas Seidelmann ein enger Wegbegleiter der Familie ans Rednerpult tritt. Eine seiner Töchter und Rouven Laur waren beste Freunde. Schon bei seiner Ansprache vor einer Woche in der Kraichgauer Kleinstadt sei es ihm nicht leichtgefallen, die Fassung zu wahren, gesteht Seidelmann.

An diesem Freitag sei die Aufgabe ungleich größer und schwerer, denn er spreche im Auftrag der Familie und dürfe einen Brief der engsten Hinterbliebenen (siehe unten) verlesen. Manche Passagen darin sind so ergreifend, erschütternd und herzergreifend, dass Seidelmann mit den Tränen kämpft und seine Stimme stockt. Die Zeilen lassen niemanden kalt, lang anhaltender Beifall im Rosengarten und am Wasserturm brandet nach dem Vortrag auf.

Der Eberbacher Revierleiter Ralf-Peter Schwindt erinnert sich an gemeinsame Zeiten mit Rouven Laur dort und in Neckargemünd. Es gebe nicht viele Begegnungen in einem Leben mit jemandem, der so besonders sei, dass er für immer in unseren Herzen bleibe. "Rouven war so ein Mensch." Und "einer von uns", wie Polizeipräsidentin Ulrike Schäfer sagt. Diese Tage – so traurig und bewegend für Mannheim, das Land und die Republik. Und nicht nur. Das kraftvoll-energische "These days" der Rockgruppe Foo Fighters: Einer von Rouven Laurs Lieblingssongs unterlegt einen Film mit Szenen von Gedenkveranstaltungen der Polizei – sogar in Afrika.


Die RNZ gibt gekürzt den Brief der Eltern, Geschwister und des Schwagers von Rouven Laur wieder, den der Neckarbischofsheimer Bürgermeister Thomas Seidelmann bei der Trauerfeier im Rosengarten vorgetragen hat:

"Was hier in den letzten Tagen um uns herum passiert, diese riesige Welle der Anteilnahme, berührt uns zutiefst. Auch sehr viele uns unbekannte Menschen finden tröstende Worte. Wir spüren, dass wir mit dieser für uns immer noch surrealen Situation nicht alleine sind. Seitdem wir am Freitagmittag die Gewissheit hatten, dass es Rouven war, der am 31. Mai schwer verletzt wurde, ist unsere Welt eine andere. Es gibt ein davor und ein danach. Seinem eigenen Kind, Bruder und Schwager, mit dem man noch am Vormittag gemeinsam gekocht und fröhlich gegessen hat, nun beim Sterben zuzusehen, das will der Verstand nicht begreifen. Aufzuwachen aus einem Albtraum, das war unsere Hoffnung.

Nach den letzten Tagen, in denen wir immer wieder glaubten, dass Rouven nur in Heidelberg in seiner Wohnung ist, wird es nun jeden Tag gewisser, dass er nicht mehr wiederkommt. Es weicht die Hoffnung der Realität. Und die tut verdammt weh. Die Wirklichkeit schlägt mit voller Wucht zu. Wir fangen jetzt langsam an zu begreifen, wo Rouven uns fehlen wird: Wenn wir bei WhatsApp schreiben, wer zum Essen kommt, wird seine Antwort fehlen. Wenn wird Dinge erleben, die wir ihm erzählen möchten oder wo wir seinen weisen Rat brauchen. Es werden unsere Gespräche fehlen über Gott und die Welt und sehr oft über Politik, seine klugen Worte. Ihm war nichts Menschliches fremd.

Wenn seine kleine Nichte, die so gerne mit ihm spielte, immer wieder fragt: Wo ist Rouven? – und wir ihr versuchen zu erklären, dass er jetzt in unseren Herzen wohnen wird. Wenn wir gemeinsam Geburtstage feiern und Weihnachten feiern und einer nicht dabei ist. Wenn am Esstisch ein Platz leer bleibt und die Gespräche mit ihm und sein Lachen fehlen werden. Sein Esskastanienbaum, den wir zu seiner Geburt gepflanzt haben, der gerade so wunderschön blüht, und uns die Tränen laufen lässt, wenn wir aus dem Fenster blicken.

Unser Verlust ist unbeschreiblich. Ohne Rouven fühlt sich unser Zuhause leer und still an. Wir können es uns nicht im Geringsten vorstellen, wie schlimm es sein wird, seinen 30. Geburtstag ohne ihn zu feiern. Rouven hat eine Lücke hinterlassen, die können wir nicht mehr schließen, aber wir dürfen weiterleben und müssen mit dieser Lücke leben lernen. Rouven hat die Werte gelebt, die uns wichtig sind: Familie ist nicht nur wichtig, Familie ist einfach alles; sich nicht über alles zu viele Gedanken zu machen, wenn man was angefangen hat, das auch durchziehen; nicht unterkriegen lassen, auf Augenhöhe diskutieren, Andersdenkende respektieren; sich klug ausdrücken, auch Unbequemes ansprechen; Quellen recherchieren, nicht alles glauben, was im Netz steht.

Rouven wollte schon immer zur Polizei. Für ihn gab es keinen Plan B. Sei Arbeit als Polizist war für ihn mehr als ein Job, die Kollegen waren seine zweite Familie. Er hat sich nicht ein einziges Mal beschwert über Wochenendschichten und längere Arbeitszeiten. Er war mutig, ambitioniert und stets bereit, sich Herausforderungen zu stellen, um die Sicherheit und das Wohl seiner Mitmenschen zu gewährleisten. Rouven glaubte fest daran, dass jeder einzelne die Kraft hat, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, und er lebte diese Überzeugung in allem, was er tat.

Wir werden nicht nach dem ,Warum’ fragen, darauf bekämen wir keine Antwort, aber sein Tod ist ein brutales und herzzerreißendes Zeichen dafür, dass in unserer Gesellschaft noch so viel verändert werden muss. Rouven hätte nicht gewollt, dass wir uns von Hass und Wut überwältigen lassen. Stattdessen hätte er uns ermutigt, seine Werte weiterzutragen und für Veränderung und Neuausrichtung zu kämpfen. Es liegt nun an uns allen und vor allem an der Politik, dass sich was ändert. Und dass nicht, wenn die letzte Träne getrocknet ist, wieder alles zur normalen Tagesordnung übergeht. Wir dürfen seinen Tod nicht als sinnlos hinnehmen." 

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