Tausende SAP-Mitarbeiter wehren sich gegen Büropflicht
Inzwischen gibt es mehr als 5000 Unterstützer eines Protestschreibens aus den Reihen des Betriebsrats. Geschäftsführung gesprächsbereit.

Von Matthias Kros
Walldorf. In der SAP-Belegschaft wächst offenbar der Unmut über die von Vorstandschef Christian Klein verordnete Einschränkung der Homeoffice-Möglichkeiten. Ein offenes Protestschreiben einer Mitarbeiterin, die dem Europäischen Betriebsrat und der italienischen Arbeitnehmervertretung angehört, gegen die neue Büropflicht hat inzwischen mehr als 5000 Unterschriften erhalten. Das bestätigte Andreas Hahn, Vorsitzender des Europäischen Betriebsrats, auf RNZ-Anfrage.
"Wir lassen nicht locker und fordern die Weiterführung einer ,Pledge to Flex’ die ihren Namen verdient", sagte Hahn. Viele Mitarbeitende hätten auf das vom Vorstand gegebene Versprechen des flexiblen Arbeitsortes ihre Lebensplanung aufgebaut, eine so unverhoffte und sofort umgesetzte Rücknahme sei schlicht "ein Schlag ins Gesicht".
Zuvor hatte auch Eberhard Schick, Vorsitzender des Betriebsrats der SAP, gesagt, dass man erwarte, dass der Vorstand die Ankündigung zur Office-Pflicht noch einmal überdenke. Ein Unternehmenssprecher zeigte sich gesprächsbereit: "Am 1. Mai soll eine Nachfolgeregelung für das mobile Arbeiten an den Start gehen", sagte er. "Die Zeit bis dahin wollen wir nutzen, um gemeinsam mit den Sozialpartnern an deren für alle Parteien tragfähigen Ausgestaltung zu arbeiten."
Der Softwarekonzern hatte Mitte 2021 angekündigt, seinen Beschäftigten künftig komplett freizustellen, wann sie von zuhause, von unterwegs oder im Büro arbeiten wollen. Ein zu 100 Prozent flexibler und vertrauensbasierter Arbeitsplatz solle Norm und nicht Ausnahme sein, hatte Vorstandsmitglied Julia White gesagt.
Auch interessant
Anfang des Jahres kam dann die überraschende Kehrtwende: An mindestens drei Tagen in der Woche sollen die Kollegen künftig wieder im Büro oder beim Kunden sein. Vorstandschef Klein hatte das damit begründet, dass ein dauerhaftes Arbeiten im Homeoffice die Kultur und die Zusammenarbeit bei SAP gefährde.
Die Rückkehr ins Büro sei auch deshalb nötig, weil auch in diesem Jahr mehrere Tausend Menschen einen neuen Job bei SAP anfingen. Dazu brauche es eine Einführung und Coaching. "Wenn niemand in den Büros arbeitet, funktioniert das nicht", hatte Klein in der vergangenen Woche bei der Bilanzpressekonferenz gesagt. Außerdem sei der Austausch im Büro auch für die eigene Karriere förderlich. "Wir müssen die richtige Balance finden", sagte Klein der RNZ.
Der Vorstandschef hatte aber auch betont, dass es keine Anwesenheitskontrollen geben werde. In Fällen wie etwa Eltern mit krankem Kind könne man auch eine Lösung mit der direkten Führungskraft finden.
Trotzdem ist die Aufregung in der Belegschaft groß. In dem Schreiben aus dem Europäischen Betriebsrat, das in den vergangenen beiden Wochen laut Hahn knapp 105.000 Mal aufgerufen wurde, drohen die Mitarbeiter ganz offen damit, sich lieber einen anderen Job zu suchen als zurückzukehren.
"Wir fühlen uns von einem Unternehmen betrogen, das uns bis vor kurzem ermutigt hat, von zu Hause aus zu arbeiten, nur um dann einen radikalen Richtungswechsel zu fordern", heißt es in dem Brief, der der RNZ vorliegt.
Über die Jahre habe man gelernt, sich an das Ausbleiben nennenswerter Gehaltserhöhungen bei gleichzeitig hoher Inflation anzupassen, schimpfen die Autoren des Briefs weiter. "Um dies zu kompensieren, nutzten wir die Möglichkeit von Homeoffice und zogen dorthin, wo die Lebenshaltungskosten niedriger waren, weg von teuren Metropolen."