Heidelberg

Warum auch noch "Europäische Kulturhauptstadt", Herr Spuhler?

Wie Ex-Theaterintendant Peter Spuhler das Projekt "Kulturhauptstadt" umsetzen will. Er baut auf Menschen, die sich "von Begeisterung anstecken lassen".

17.06.2023 UPDATE: 17.06.2023 06:00 Uhr 4 Minuten, 56 Sekunden
Sammelt Ideen für das „neue Heidelberg“: Peter Spuhler. Foto: Sabine Arndt

Von Alexander Wenisch

Heidelberg. Wenn alles so läuft wie gedacht, könnte Heidelberg ab 2034 Europäische Kulturhauptstadt werden. Die Idee von Oberbürgermeister Eckart Würzner wird derzeit viel diskutiert. Den langen Bewerbungsprozess soll Peter Spuhler organisieren. Der 57-Jährige war zwischen 2005 und 2011 Intendant am Heidelberger Theater und hat maßgeblich die Sanierung, Erweiterung und damit "Rettung" des Hauses gemanagt. Spuhler lehrt nachhaltige Stadtentwicklung in Karlsruhe und ist national wie international in der Kulturszene gut vernetzt. Was aber sind seine Pläne für eine "Kulturhauptstadt"?

Altstadt, Romantik, Schlossfestspiele, Theater – Heidelberg hat doch genug Kultur, sagen einige Kritiker. Herr Spuhler, was entgegnen Sie?

Wieviel ist genug Kultur? Es ist ein Privileg, dass Kultur als Faktor der Stadtentwicklung erkannt wird. Wir wollen das Bild einer Stadt und einer Region zeigen, die offen, vielfältig und zukunftsorientiert ist und viel mehr bietet, als ihr hervorragendes Image auf den ersten Blick verrät. Es geht um Kultur in allen Stadtteilen und der ganzen Region, neue Orte und Angebote, beispielhafte Projekte, innovative Ideen, aber auch um künstlerische Feste für die Bürger und Bürgerinnen und qualitätvollen Tourismus.

Sie sind momentan dabei, die Heidelberger Kulturlandschaft neu zu entdecken. Was hat sich verändert seit Ihrem Weggang?

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Die ganze Stadt verändert sich. Die nächsten Jahre sind sehr spannend für die Stadtentwicklung. Jetzt werden die Weichen für die Zukunft gestellt. Es entsteht das neue Heidelberg. Wie verbinden sich High-Tech-Innovation und Romantik? Für wen ist das Heidelberg von morgen Heimat? Wie bewahrt es seine Identität und entwickelt sich dennoch weiter? Die Pläne von Aleph Alpha, Bahnbetriebswerk, Heiliggeistkirche, Völkerkundemuseum, Sammlung Prinzhorn, Dokuzentrum der Sinti und Roma, muslimischer Akademie, Hip Hop Forum und vielen anderen sind hochinteressant. Heidelberg ist im Aufbruch!

Wo sehen Sie ungenutzte Potenziale?

Es ist nicht wichtig, wo ich diese sehe, sondern welche von den kulturellen Akteuren gesehen werden. Meine Aufgabe ist zunächst, zuzuhören und Ideen zu sammeln. Ziel ist, sehr viele an der Bewerbung zu beteiligen. Gemeinsam entwickeln wir eine Vorstellung von Heidelberg in 15 Jahren und machen konkrete Vorschläge, welche Rolle Kultur dabei spielt. Uns werden Themen wie digitaler Wandel, grünes Produzieren und Kultur als Wirtschafts- und Wettbewerbsfaktor beschäftigen. Zur Zeit arbeiten wir am Ideen-Fundament für das Konzept.

Die Stadtgesellschaft mitzunehmen ist ein wichtiges Kriterium für die EU. Wie wollen Sie erreichen, dass die Bewerbung nicht als Projekt der kulturellen Elite der Stadt wahrgenommen wird?

Alle sind eingeladen, sich aktiv zu beteiligen. Dies gilt auch gerade für die Breitenkultur, Stadtteilvereine, Bürgerinitiativen, Ehrenamtliche, den Sport, die Wissenschaft, vor allem natürlich auch die Universität, die Gastronomie… nicht zu vergessen, die Menschen und Institutionen, die sich für Völkerverständigung und internationale Beziehungen einsetzen – insbesondere für den europäischen Gedanken, den wir stärken wollen. Und wir richten uns an die Metropolregion, die bereits signalisiert hat, dass sie die Kulturhauptstadt-Idee interessant findet.

Der Bewerbungsprozess ist ein Marathonlauf. Lässt sich heute überhaupt schon ausmachen, welche kulturellen Strömungen in 15 Jahren "en vogue" sein werden?

Wir können jetzt eine Vision entwickeln, wie wir in 15 Jahren leben wollen und sofort mit der Umsetzung beginnen. Die Initiative "Kulturhauptstadt" ist ein Motor auf diesem Weg.

Menschen, die in 15 Jahren das kulturelle Leben mitgestalten werden, sind heute vielleicht Abiturienten oder Jugendliche. Wie wollen Sie diese für den traditionell wirkenden Titel der "Kulturhauptstadt" erreichen?

Indem wir Augenmerk darauf legen, dass ihre Ideen im "neuen Heidelberg" vorkommen. Wir sind bereits im Gespräch, zum Beispiel mit dem Stadtjugendring und dem Haus der Jugend. Die jüngste Stadt Deutschlands ist im Bereich der Jugendkultur bereits stark – und wird hier noch mehr Zeichen setzen.

Montpellier ist gerade im Bewerbungsprozess für den Titel im Jahr 2028. Was kann sich Heidelberg von seiner Partnerstadt abschauen?

Wir analysieren bei allen Bewerbungen, welches Vorgehen zum Erfolg geführt hat. Dazu gehört vor allem: Welche Vision wurde entwickelt? Wie unsere Partnerstadt werden wir "Kultur" sehr offen verstehen: da ist Sport ebenso enthalten wie Umweltschutz, Innovation und Lebenskunst.

Gibt es hier eine Zusammenarbeit?

Gemeinsam mit dem Maison de Heidelberg, dem Montpellier-Haus und ihren engagierten Leiterinnen Nadine Gruner und Karla Jauregui unterstützen wir unsere Partnerstadt bestmöglich bei ihrer Kandidatur. Wir sind regelmäßig im Austausch: Mitte Mai war eine französische Kultur-Delegation in Heidelberg und vergangene Woche war ich in Montpellier, um diese Zusammenarbeit zu vertiefen.

Mannheim hat vor ein paar Jahren den Bewerbungsprozess aufgegeben. Was wurde dort falsch gemacht?

Nichts. Man war auf einem sehr guten Weg, den man abgebrochen hat, als man den Zuschlag für die Bundesgartenschau bekam. Das ist nachvollziehbar.

Der Prozess der Bewerbung ist ein Wettbewerb. Welche Städte oder Regionen werden gegen Heidelberg konkurrieren?

Das wissen wir heute noch nicht. Erfahrungsgemäß gehen zehn Städte und Regionen ins Rennen. Aber durch die frühe Vorbereitung sind wir in jedem Fall im Vorteil. Die Jury beurteilt, wie kontinuierlich, ernsthaft und nachhaltig in Kultur investiert wird. Wir sind übrigens nicht die Ersten, die sich auf den Weg machen. Die Region Lausitz bereitet auch schon ihre Bewerbung vor. Ich freue mich jedenfalls auf den Wettbewerb, weil er Ansporn ist, Neues zu entwickeln und innovativ zu sein.

Und wie schätzen Sie die Chancen ein?

Sehr gut! Es gibt viele ausgezeichnete kleine und große "Player" und hervorragende Ideen. Heidelberg profitiert von diesem Vorhaben übrigens bereits jetzt. Der Prozess weist den Kulturinstitutionen einen besonderen Wert zu – zu einem Zeitpunkt, wo anderenorts Zuschüsse gekürzt werden. Und er ist ein Versprechen, den Kulturbereich auf lange Zeit zu stärken und weiterzuentwickeln. Die Aufgabe besteht darin, den Weg so zu organisieren, dass sich jede und jeder Interessierte einbringen kann. Gemeinsam entwickeln wir unsere Vision und finden die Themen und Schwerpunktprojekte. Darauf freue ich mich sehr. Bereits mit der Verwirklichung eines jeden Etappenziels gewinnen Stadt und Region.

Ihr Job ist bei OB Würzner angesiedelt. Das stößt bei Teilen der Grünen und der SPD im Gemeinderat auf Irritation. Was entgegnen Sie?

Der OB bringt mit der Bewerbungsidee eine hohe Wertschätzung für den Kulturbereich zum Ausdruck. Die Zuordnung zu ihm ist folgerichtig, denn die Aufgabe betrifft übergreifend alle Bereiche und die internationalen Beziehungen der Stadt. Sie hat städtebauliche Aspekte, ist sozial, indem sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt, und wird Nachhaltigkeit und umweltbewusstes Handeln zu einem Schwerpunkt machen, involviert also alle Dezernate. Innerhalb der Stadtverwaltung gibt es bereits jetzt einen sehr produktiven, zukunftsorientierten Austausch. Es geht um eine Bewegung der ganzen Stadt für die Stadt, parteiübergreifend und politisch neutral, die so gestaltet ist, dass sie möglichst viele Menschen mitnimmt.

Gibt es auch Ablehnung wegen Ihrer Zeit in Karlsruhe? Dort standen Sie wegen Ihrer Personalführung in der Kritik.

Nein. Kritik nehme ich grundsätzlich ernst und setze mich gerne sachlich mit ihr auseinander. Hier geht es jedoch um Verständigung über Prioritäten und Haushaltsschwerpunkte. Über die Ziele der Bewerbung gibt es keinen Dissens, im Gegenteil. Ich bin zuversichtlich, dass sich eine Verständigung finden lässt. Die Initiative erfährt viel Zuspruch und mir wird umfangreich Unterstützung angeboten.

Wie reagiert die Kulturbranche?

Mit großem Interesse. Es erreichen mich mehr Anfragen für Gespräche, als bewältigt werden können. Die Kolleginnen und Kollegen wissen, was sie wollen. Sie kommen mit sehr konkreten Vorstellungen, welche Themen sie setzen wollen und welche Vorhaben in den nächsten Jahren verwirklicht werden sollen. Aus diesen Ideen entsteht die Bewerbung. Beeindruckt bin ich übrigens vom bürgerschaftlichen Engagement und der Verantwortungsübernahme, wie sie sich in Vereinen wie dem gegen die Müdigkeit, den Neckarorten oder selbstbewussten Initiativen in den Stadtteilen ausdrückt. Ich will deutlich machen: Gemeinsam sind wir stärker!

Für die Umsetzung werden Sie auch Spenden generieren müssen. Gibt es schon Signale von Mäzenen aus der Region, sich zu beteiligen?

Ja, tatsächlich, die gibt es. Das ist ja das Besondere an Heidelberg, dass sich die Menschen von Begeisterung anstecken lassen und um den Stellenwert von Kultur für die Gesellschaft wissen. "Kulturhauptstadt Europas" zu sein, davon haben die bisherigen Städte auf vielfältige Weise über Jahre hinweg profitiert.

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