1899 Hoffenheim war gegen Stuttgart im Kampfanzug

Die Gisdol-Schützlinge feiern Rudys Last-Minute-Treffer und das 2:1 über den VfB Stuttgart im Landesderby überschwänglich

15.02.2015 UPDATE: 16.02.2015 06:00 Uhr 2 Minuten, 49 Sekunden

Unter einer Menschentraube begraben: Spieler und Betreuer testen die Belastbarkeit des TSG-Helden. Foto: APF

Von Joachim Klaehn

Sinsheim. Manager Alexander Rosen hatte seinen Tribünenplatz bereits nach 90 Minuten verlassen. Innerlich bereitete sich der 35-jährige Hoffenheimer Verantwortliche darauf vor, was er denn später den Medienvertretern Passendes erzählen solle. Es gilt als gesichert, dass die Analyse im Fall eines mageren Remis anders ausgefallen wäre. "Ich bin froh, dass ich diesen Text jetzt nicht aufsagen muss", sagte Rosen breit grinsend. Kurz vor Schluss war der TSG-Sportchef in die Kabine geeilt, schaltete den Fernseher an und sein Gesamtbefinden sollte sich binnen weniger Augenblicke dramatisch verbessern. "Ich habe das Tor schon gehört, bevor ich es gesehen habe", erzählte der Augsburger über die Zeitverzögerung der Live-Übertragung.

Alle der 29 309 Besucher in der Rhein-Neckar-Arena hatten sich nach einem größtenteils niveauarmen und zerfahrenen Landesderby zwischen der TSG und dem VfB mit einem 1:1 abgefunden. Doch als das enttäuschte Publikum nur noch auf den Abpfiff des kleinlichen Referees Tobias Welz wartete, schlugen die Hoffenheimer mit einem Last-Minute-Tor erbarmungslos zu. Mit tatkräftiger Unterstützung der Stuttgarter: Timo Baumgartl leistete sich in der neutralen Zone einen schlampigen Pass und brachte damit Oriol Romeu in Bedrängnis - Sebastian Rudy antizipierte die Situation, gewann den Ball, passte zu Kevin Volland, sprintete diagonal nach vorne, wurde glänzend wiederum in Überzahl von Volland in Szene gesetzt und schob den Ball clever und cool zum 2:1 (90.+3) durch die Beine von Sven Ulreich ein.

Unmittelbar danach bildete sich eine gigantische Jubeltraube. Im Sprint kamen sie aus allen Himmelsrichtungen angerannt - die TSG-Akteure, die Ersatzspieler, das Trainer- und Funktionsteam und sogar das Vereinsmaskottchen "Hoffi" warf sich auf das Knäuel. In einem solchen Moment wird nur noch Adrenalin ausgeschüttet und die Emotionen der Hauptprotagonisten spielen Pingpong. Und Torschütze Rudy? "Ich glaube, der Sebi hat noch Luft bekommen", witzelte Innenverteidiger Ermin Bicakcic in der Mixed Zone, der das Erfolgserlebnis in erster Linie auf den Willen und die Mannschaftsmoral zurückführte.

Zwei Hoffenheimern blieb es unterdessen vergönnt, am kollektiven Rausch nach Rudys Riesentat teilzunehmen. Torhüter Oliver Baumann brach den Sprint prophylaktisch nach einem Dreiviertel der Strecke ab - und für Rosen wäre der Weg aus dem Stadionbauch ohnehin viel zu weit gewesen, so dass es bei einem Urschrei blieb. "Wir haben unheimlich gekämpft", sagte Baumann, "dann ist es einfach schön, dafür belohnt zu werden. Jetzt haben wir hundert Prozent Selbstvertrauen mehr und dürfen zufrieden und erleichtert nach Hause gehen." Mit nur einem Pünktchen gegen das Schlusslicht aus Stuttgart wäre das badische Derby am Samstag bei Baumanns langjährigem Arbeitgeber SC Freiburg (gestern 2:0-Sieger in Berlin) ungleich schwieriger geworden.

Der Spielfilm vom Samstag ist flott erzählt. Den baden-württembergischen Rivalen war die Verunsicherung deutlich anzumerken. Fast 300 Fehlpässe stellten die Fans hüben wie drüben auf eine harte Geduldsprobe. Strukturiertes oder gar Zwingendes gab es äußerst selten zu sehen. Defensivblöcke und nicklige Duelle prägten eine Partie, die zuweilen slapstickhafte Züge trug. Kein Wunder, dass die ersten beiden Treffer aus Standardsituationen resultierten. Nach einer Freistoßflanke von Pirmin Schwegler wurde der Schuss von David Abraham von VfB-Kapitän Christian Gentner zunächst noch geklärt, ehe Roberto Firmino das Spielgerät mit Wucht und 94 Stundenkilometern Schussgeschwindigkeit zum 1:0 (30.) ins VfB-Gehäuse beförderte. Ähnlich fiel der Ausgleich: Freistoßflanke von Adam Hlousek, Sven Schipplock verlängert unfreiwillig zu Gotoku Sakai, der an der Strafraumgrenze von Jin-Su Kim geblockt wird, ehe sein zweiter Schussversuch, von Bicakcic abgefälscht, unhaltbar für Baumann zum 1:1 (39.) im Netz landet. Es sollte das erste Bundesliga-Tor des Japaners sein - zudem der erste VfB-Treffer nach einer 448-minütigen Flaute.

Unverständlich, dass die Schwaben im Sparmodus blieben, was ihre Attackierfreude anging. Stattdessen mimte VfB-Trainer Huub Stevens in der Pressekonferenz den "Knurrer von Kerkrade" und flüchtete in Ironie und Gegenfragen: "Vielleicht haben Sie ja einen Rat für mich?", bäffte er einen Reporter an. Während Stevens innerlich kochte, war TSG-Trainer Markus Gisdol glücklich über das Endergebnis und die Mentalität seiner Schützlinge. "Wir hatten uns vorgenommen, den Kampfanzug anzuziehen", sagte Gisdol, "und meine Mannschaft hat heute Tugenden und Eigenschaften an den Tag gelegt, die ihr sonst nicht so zugeschrieben werden. Sie hat fantastisch und leidenschaftlich gekämpft."

So durfte der einsame Kabinenjubler Rosen letztlich über "Hoffes" spielerische Mängel den Mantel des Schweigens legen. "Das zentrale Element war der Zweikampf. Wir waren insgesamt nach vorne gefährlicher, deshalb ist der Sieg glücklich, aber verdient", so seine Bilanz. Im Fußball kann manchmal der gefühlte 300. Zweikampf entscheidend sein - sowie der einzige brillante Spielzug über Volland und Rudy nach 93 Minuten jede Menge Hauruck und Getümmel …

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