Von Philipp Neumayr
Heidelberg/Würzburg. "Catcalling sollte strafbar sein", fordert Antonia Quell. Die 20-Jährige studiert Medienmanagement in Würzburg und hat im August 2020 eine entsprechende Petition ins Leben gerufen. Ein Gespräch über die Grenze zwischen Kompliment und verbaler sexueller Belästigung – und über "typisch deutsche" Kritik.
Frau Quell, Sie haben mit Ihrer Petition fast 70.000 Unterschriften gesammelt. Wie geht es jetzt weiter?
Die Petition ist eingereicht, sie liegt beim Petitionsausschuss des Bundestags. Nun heißt es abwarten und schauen, wie darüber beraten wird. Nebenbei laufen immer noch Hintergrundgespräche.
Was für Gespräche sind das?
Ich habe um ein Gespräch mit Bundesjustizministerin Christine Lambrecht gebeten. Es ist wichtig, denjenigen Leuten, die Entscheidungen treffen, die Dringlichkeit des Themas Catcalling klar zu machen. Viele verbinden damit auf den ersten Blick Sprüche wie "Hey Süße" oder Hinterherpfeifen. Das gehört natürlich auch dazu, ist aber nicht der Kern. Es geht eher um das Problem der verbalen sexuellen Belästigung, was bislang überhaupt nicht strafrechtlich abgedeckt ist. Und das Ganze hat viel größere Ausmaße als manche denken.
Können Sie das genauer erklären?
Es geht nicht um kleine Unannehmlichkeiten, die auf der Straße passieren, sondern es geht viel weiter. Das muss man vor allem Männern erklären. Je länger diese Problematik nicht angegangen wird, desto mehr Menschen sind davon betroffen. Es eilt.
Wie kam es dazu, dass Sie die Petition letzten Sommer verfasst haben?
Ich war in der Vergangenheit natürlich auch persönlich von Catcalls betroffen. Mit einer Freundin habe ich mich darüber unterhalten, die mir erzählte, dass Catcalling in Frankreich strafbar sei. Ich habe dann intensiv zu dem Thema recherchiert und bin nach und nach auf diese bestehenden Ungerechtigkeiten gestoßen. Ich habe gemerkt, wie lasch das Strafrecht in diesem Bereich ist und wie sehr es aus der Täterperspektive geschrieben ist – dass es kaum Rücksicht auf Opfer oder Betroffene nimmt. Und das geht so nicht.
Sie fordern, dass Catcalling als eigener Straftatbestand ins Gesetz aufgenommen wird.
Genau. Es sollte aber grundsätzlich jedem selbst überlassen sein, eine Strafanzeige zu stellen. Wer kein Problem mit bestimmten sexuell motivierten Sprüchen hat oder sich darüber freut, der müsste das nicht zur Anzeige bringen. Zudem könnten nur die betroffenen Personen selbst einen Strafantrag stellen und keine Außenstehenden.
Wie genau sollten Catcalling-Fälle Ihrer Meinung nach bestraft werden?
Es ist nicht meine Aufgabe, eine Lösung dafür zu finden. Da gibt es viele Menschen, die deutlich besser ausgebildet sind als ich. Nachbarländer wie Frankreich, wo solche Fälle mit Geldstrafen von bis zu 750 Euro geahndet werden, bieten aber generell eine gute Orientierung.
Kritiker Ihrer Petition sagen, das Strafrecht sei nicht das richtige Instrument hierfür, da es anfällig für Missbräuche in Form von falschen Anschuldigungen sei.
Das ist Blödsinn, denn das kann man ja als Argument für jede Straftat nutzen. Ich kann theoretisch auch jeder Person einen Diebstahl anhängen. Dass man davon ausgeht, dass Menschen sich so etwas ausdenken, ist letztlich internalisierter Sexismus, weil man Betroffenen unterstellt, sie hätten sich das nur ausgedacht, oder weil man findet, sie sollten sich mal nicht so anstellen. Das ist eine typisch deutsche Denkweise, dass wir das immer sofort in Zweifel ziehen. Für mich ist die Idee ziemlich fremd, jemandem ohne Grund eine Straftat anzuhängen.
Andere Kritiker sagen, es sei schwierig, eine Grenze zu ziehen zwischen einem Flirt und verbaler sexueller Belästigung. Ab wann ist ein Catcall ein Catcall?
Komplimente oder Flirts sind klar von verbaler sexueller Belästigung zu unterscheiden. Alles, was ich nicht mit "Danke" beantworten kann, kann kein Kompliment sein, genauso wenig wie alles, was ich mich nicht traue, meiner Mutter ins Gesicht zu sagen. Ich erkläre das gerne mit der sexuellen Selbstbestimmung, die im Grundgesetz indirekt verankert ist. Wenn mich jemand, den ich nicht kenne, auf der Straße anspricht, ohne dass ich damit einverstanden bin, nimmt die Person mir das Recht auf meine Selbstbestimmung – darauf, dass ich entscheide, in welche sexuellen Handlungen ich einbezogen werden möchte. Der Täter oder die Täterin zwingt mir diese Situation also ohne mein Einverständnis auf. Das ist dann übergriffig.
Muss man das Problem nicht auch an der Wurzel packen und versuchen, über Aufklärung und Bildung den Umgang zwischen den Geschlechtern zu verbessern?
Da stimme ich absolut zu. Ich weiß auch, dass Erziehung nicht im Strafrecht beginnt. Und selbst, wenn wir ein entsprechendes Gesetz hätten, würden nicht alle Betroffenen die Vorfälle anzeigen. Und von jenen, die angezeigt würden, würden auch nicht alle verurteilt. Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass mit einer Gesetzesänderung alle Probleme gelöst wären. Natürlich müssen wir uns des Themas auch in der Erziehung und Ausbildung gerade junger Menschen annehmen, aber bis das mal Früchte trägt, dauert es zu lange. Es muss am Ende eine Kombination aus beidem sein.
Sollte ihre Petition nicht erfolgreich sein – haben Sie die Sorge, Catcalling verschwände dann wieder aus der Debatte?
Dieses Thema ist viel zu groß und betrifft viel zu viele Menschen, als dass es irgendwann komplett vom Tisch wäre. Wenn es jetzt nichts wird, dann spätestens in den nächsten Jahren. Ich glaube nicht, dass man das weiter totschweigen kann. Dieser ganze Kampf gegen Catcalling ist ja kein Trend, sondern bildet nur einen Emanzipationsprozess ab. Immer mehr Menschen denken über alte, verkrustete Verhaltensweisen nach und hinterfragen diese. Zeiten ändern sich, unser Bewusstsein ändert sich – und unsere Strukturen müssen sich eben mit verändern. Wir können nicht länger mit neuen Denkweisen in alten Systemen verharren.