Alles Kopfsache: Alexander Petersson (r.) hat viel Erfahrung, sollte aber eigentlich mehr auf Außen als auf der Halbposition spielen. Foto: vaf
Von Tillmann Bauer
Heidelberg. Aus der Schulzeit kennt es jeder – es gibt Unterrichtsstunden, in denen sinniert man vor sich hin, ohne dabei zu glänzen, trägt vielleicht die eine oder andere gute Aktion zum Erreichen des Lehrzieles bei. Aber letztendlich erwischt man sich doch dabei, seine Aufmerksamkeit in den finalen Minuten, bevor die Pausenklingel durch den Raum schallt, mehr der großen Uhr an der Wand als der eigentlichen Sache zu schenken. Und dann: Ding, dong – Erleichterung!
Nein, von den Handballern der Rhein-Neckar Löwen drückt keiner mehr die Schulbank. Sie alle haben ihr Hobby zum Beruf gemacht und fühlten sich vielleicht dennoch in den spannenden Schlussminuten der Bundesliga-Partie gegen den Bergischen HC – die die Badener mit 24:23 ins Ziel retteten – an das Warten auf das Ende der Qual erinnert. Schließlich war zwischenzeitlich die Verunsicherung groß, was zur Folge hatte, dass das Team von Trainer Martin Schwalb verkrampft versuchte, die Führung über die Zeit zu retten.
Weil das klappte und die Sirene am Sonntag durch die SAP Arena schallte, als die Löwen ein Tor mehr als die Gäste auf dem Konto hatten, stürmte "Schwalbe" mit einem lauten Jubelschrei auf das Spielfeld – so wie manch ein Schüler das Klassenzimmer verlässt, sollte der Lehrer keine Hausaufgaben aufgeben. Schwalb sagte später: "Wir haben uns gegen eine Mannschaft, die im Aufwind war, gut gewehrt." Und lobte: "In den letzten fünf Minuten haben die Jungs das sehr gut gemacht."
Die Generalprobe vor dem Weihnachts-Kracher am Mittwoch (18 Uhr/Sky) beim THW Kiel ging also gut aus. Und doch zeigte sie in der Phase, in der die Löwen zum wiederholten Male eine deutliche Führung innerhalb von kürzester Zeit verspielten: Wenn der Druck steigt, verlieren die Mannheimer schnell den Kopf.
"Das ist klar", sagt Schwalb: "Wenn zwei, drei Aktionen nicht gut laufen, fangen wir direkt an nachzudenken. Was passiert jetzt?"
Erwarten also alle Zuschauer einen Sieg – wie beispielsweise bei der Pleite in Hannover –, werden die Löwen hektisch, falls es mal nicht nach Plan laufen sollte. So wurde die Ruhe von Albin Lagergren im rechten Rückraum zuletzt schmerzlich vermisst, weil Niclas Kirkelokke noch sehr unsicher wirkt und Routinier Alexander Petersson mit 40 Jahren zwar einen stählernen Körper hat, aber schlecht 60 Minuten durchspielen kann. Oberlehrer Schwalb weiß: "Handball ist immer Kopfsache."
Wie gut, dass sein Team als Außenseiter in den Norden reist. Zwar befand sich der THW Kiel noch vor kurzer Zeit aufgrund von positiven Coronafällen in Quarantäne, unterstrich seine Klasse aber zuletzt beim Liga-Sieg in Stuttgart. Das Starensemble rund um den Norweger Sander Sagosen hat erst zwei Minuspunkte auf dem Konto – die Löwen fünf.
"Alles kann, nichts muss", sagt Uwe Gensheimer. Der Löwen-Kapitän ist sich sicher: "Wir wollen die da oben ärgern, brauchen dafür aber eine konstantere Leistung."
Wenn am Mittwoch die Klingel in der Ostseehalle erschallt, wird man wie nach einer guten Schulstunde schlauer sein und wissen, ob sich die Löwen mit einem Fleißsternchen oder doch einer Kieler Lehrstunde in die traditionell sehr kurzen Weihnachtsfeiertage verabschieden.