Ex-Europameister Jürgen Spieß und die deutschen Gewichtheber fordern den skandalumtosten Weltverband zu Reformen auf. Foto: imago
Von Claus Weber
Heidelberg. Jürgen Spieß kann nur den Kopf schütteln. "Es ist traurig", sagt der Europameister von 2009. Seit Dezember 2020 ist der Heidelberger Vizepräsident des Bundesverbandes Deutscher Gewichtheber (BVDG), der sich am Donnerstagabend mit einem Brandbrief an den Gewichtheber-Weltverband IWF gewendet hat. Darin fordern die deutschen Hantelstemmer umfassende Reformen und personelle Konsequenzen der IWF.
Ursache, aber nicht alleiniger Grund sind die jüngsten Aussagen von Thomas Bach. Der Chef des Internationalen Olympischen Komitees hat einen Ausschluss der Sportart von den Spielen 2024 ins Spiel gebracht, falls sich im Gewichtheber-Weltverband nichts ändert. "Die Situation wird immer ernster. Das Exekutivkomitee ist extrem besorgt über den Mangel an signifikanten Änderungen im Management und der Kultur der IWF", sagte Bach. Sollten die Probleme nicht zeitnah und zufriedenstellend angegangen werden, werde man "den Platz des Gewichthebens im Programm von Paris 2024 sowie die weitere olympische Zukunft überprüfen".
Der Weltverband produziert seit Monaten Negativ-Schlagzeilen: Im April war der umstrittene Langzeit-Präsident Tamas Ajan wegen Untreue und angesichts schwerer Dopingvorwürfe suspendiert worden. Aufgedeckt hatte die Missstände die ARD in ihrer Dokumentation "Geheimsache Doping – Der Herr der Heber".
Ajans Nachfolgerin, die vom IOC geschätzte US-Amerikanerin Ursula Papandrea, wollte ausmisten, wurde jedoch von langjährigen Wegbegleitern Ajans aus dem Amt geputscht und durch Intarat Yodbangtoey ersetzt. Der Thailänder, dem Bestechung vorgeworfen wird und dessen nationaler Verband wegen mehrerer Dopingvergehen für die Spiele in Tokio gesperrt ist, musste auf internationalen Druck gleich wieder gehen und wurde durch Michael Irani ersetzt. Doch auch der Brite gehört seit Jahren der Altherren-Riege im Vorstand der IWF an.
Das IOC hat – als Warnschuss – bereits die Anzahl der Olympia-Startplätze für die Gewichtheber reduziert. "In Rio waren es noch 260 Männer und Frauen, in Tokio werden es 196 sein, in Paris nur noch 120", sagt Jürgen Spieß, der sich selbst noch Hoffnungen auf ein Ticket für Japan macht, ehe er dann im Sommer die sportliche Karriere beenden will.
Seit 1. September ist der 36-Jährige Mitglied der Athleten-Kommission des internationalen Gewichtheber-Verbandes. Doch ein Mitspracherecht in der verkrusteten Organisation haben die Sportler (noch) nicht. Der Bundesverband Deutscher Gewichtheber und dessen Präsident Florian Sperl haben in ihrem Brief an die IWF nun deutliche Worte gefunden. "Mit ihrem Verhalten riskieren Sie den Tod unserer Sportart", schreibt Sperl und fordert den Weltverband dazu auf, "diese Politik umgehend zu beenden und die Forderung des IOC umzusetzen." Bereits im Herbst hatte sich Sperl für einen sofortigen Rücktritt der IWF-Führung ausgesprochen.
In seinem Brief fordert er vom Weltverband eine Verfassungsreform und eine Verschiebung der für März vorgesehenen Neuwahlen. Die Stimmen der Sportler sollen künftig gehört und Personen von einer Kandidatur ausgeschlossen werden, die mit einer Doping- oder Korruptions-Vergangenheit vorbelastet sind. "Das Problem ist, dass acht von 18 Mitgliedern im Executive Board aus Nationen stammen, die für die Spiele in Tokio sanktioniert wurden", sagt Spieß. Ein Versuch des Weltverbandes, die Sperren durch die Aufweichung von Doping-Regeln zu umgehen, wurde auf Druck des IOC gerade noch verhindert.
Spieß ist entsetzt: "Man ist immer wieder fassungslos, wie die Führung unseres Weltverbandes versucht, die Vorgaben des IOC zu umgehen und damit unseren Sport gefährdet."