Wie Sinsheimer in der Eifel helfen
Einige Sinsheimer sind im Katastrophengebiet im Einsatz. Auch wenn schon viel getan wurde, gibt es Gegenden, in denen noch keiner war.

Von Tim Kegel
Sinsheim/Landkreis Ahrweiler. Bergiger Hochwald, gesäumt von grünen Wiesenmatten. "Du fährst durch diese Landstriche, kilometerweit", schildert Patrick Bräunling; "so, als wär’ nichts gewesen." Dann wieder pures Chaos: Hinter der Kurve türmen sich groteskes Geröll, Möbel, Stücke von Mauern und Dachbalken, Kinderspielzeug, Puppen. "Und Du kannst ja nicht wissen, was unter den Trümmern ist." Vom Himmel scheint die Sonne, es ist angenehm warm, nicht heiß. "Irreal", sagt Bräunling, "und beunruhigend."
"Sehr schockierend" – so beschreibt auch Yvonne Wiedl die Eindrücke der vergangenen Tage. Auch wegen zahlreicher Verschütteter. Die junge Frau und Bräunling sind zwei von mehreren Personen aus Sinsheim, die zurzeit in den von den Überflutungen betroffenen Gebieten im Norden von Rheinland-Pfalz im Einsatz sind, um zu helfen. Seit Samstag, 17. Juli, sind sie hier, stationiert im provisorischen Lagezentrum auf dem Nürburgring und in Diensten der "Medical Task Force 43" des Roten Kreuzes und der Feuerwehren aus dem Rhein-Neckar-Kreis. Auch das Technische Hilfswerk Sinsheim ist hier mit acht Mann und schwerem Gerät vertreten – zusammen mit Hunderten von Helfern aus ganz Deutschland. Und nicht zuletzt gibt es mehrere private Initiativen aus Sinsheim und dem Kraichgau, die bereits im Katastrophengebiet sind, oder planen, sich dorthin aufzumachen.
"Ein riesiger Einsatz", der in seinen Dimensionen für den Einzelnen "kaum zu überblicken" sei, laufe in den betroffenen Orten, sagt Bräunling. Zu manchen Gebieten gebe es keinen Kontakt, eingestürzte Brücken und weggebrochene Straßen erschwerten die Zufahrt und machten oft lange Umwege – ohne genauere Ortskenntnis – erforderlich. Ein Einsatz, der selbst erfahrene Kräfte wie ihn "tief betroffen" macht; man sei mit "sehr viel Leid" konfrontiert, etwa beim Bergen Verschütteter. Abschnitts- oder ortsweise gebe es – besonders schlimm – kein Wasser, kein Licht und keinen Strom. Schwerkranke müssten in Krankenhäuser verlegt oder von dort umverlegt werden. Evakuierungen – halbe Dörfer von Menschen, die alles verloren haben, richten sich auf eine ungewisse Zeit in Turnhallen ein. In einer Kirche stapeln sich Hilfsgüter bis unters Dach – Annahmestopp, um den Bedarf auszuloten.
Einen Pick-up-Truck und einen Anhänger mit Kompaktlader und Greifer sowie "etliche Kettensägen" rüstet Steffen Moberg in Sinsheim zurzeit aus für eine Fahrt in die Eifel, die kommenden Freitag starten soll. Bis dahin will der selbstständige Baumpfleger "idealerweise vier Mann" zusammentrommeln und bepackt mit "rauen Mengen Wasser, Lebensmitteln, Eimern und Schaufeln" starten. Moberg steht in Kontakt "mit einem Forstunternehmen" im Katastrophengebiet, das private Initiativen zusammenführt und koordiniert. Im Örtchen Grafschaft wollen sie sich treffen, eine Pension stellt Schlaf- und Duschmöglichkeiten für den Sinsheimer Trupp.
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Ob sie je die Gelegenheit haben werden, tatsächlich mit anzupacken? Moberg hat von Helfern gehört, hunderte Bauern, aber auch eine ganze Feuerwehr-Abteilung, die aus dem Krisengebiet weggeschickt wurden oder sich alleingelassen fühlen. Videos werden geteilt, in denen private Einsatzkräfte Frust ablassen, weil der Diesel ausging. Oder weil man sich Unterstützung von staatlichen Stellen erhofft hatte, die nicht gekommen sei oder noch nicht kam. Auch Moberg ist der Ansicht, dass die Bundesregierung im Vorfeld der Flut und beim Katastrophenschutz "auf ganzer Linie versagt hat". Sehenden Auges seien Wetterprognosen ignoriert worden. "Viel menschlicher Schaden hätte vermieden werden können", ist Moberg überzeugt.
"So eine Großlage kannst Du nicht üben", schildert Benjamin Allgeier, "da werden auch Fehler gemacht, aus denen man dazulernt." Der Zugführer vom Technischen Hilfswerk Sinsheim ist mit Kollegen aus Eberbach für den sogenannten Meldekopf am Nürburgring zuständig, an dem "ankommende und abfahrende Einheiten" von THW, Rotem Kreuz, Feuerwehr und Bundeswehr registriert werden. 2000 Personen sind hier stationiert, eine Zeltstadt aus 80 Behausungen war binnen 48 Stunden aufgebaut. In Nordrhein-Westfalen und Bayern laufen ähnliche Einsätze.
"Hunderte Orte" müssten in der Eifel zunächst inspiziert werden, schildert Allgeier, "es gibt Gegenden, in denen noch keiner war." In der Regel müssten "Erkundungstrupps zu Fuß vorangehen", ein grobes Lagebild müsse erstellt, Objekte müssten teils erst noch evakuiert werden. Das dauert. Allgeier sagt, er gehe "nicht davon aus, dass der Einsatz binnen weniger Wochen zu Ende sein wird", und er appelliert "an ein bisschen Geduld" unter Helfern und Betroffenen. Das Ausmaß der Katastrophe schätzt er "deutlich größer" ein als jenes beim Elbhochwasser oder bei der Oderflut in den frühen 2000er-Jahren.
Von Schuldzuweisungen und Spekulationen über die Ursachen der Flut hört man bei den Hilfsdiensten indessen kein Wort. Die Thematik sei "sehr sensibel", sagt Bräunling lediglich. Fotos von den Einsätzen der Kraichgauer seien auch deshalb nicht zu bekommen. Allgemein gelobt werden jedoch "die große Hilfsbereitschaft", ausdrücklich auch "von privaten Initiativen", und eine große Dankbarkeit bei den Betroffenen. Vereinzelt gehe allerdings die Angst vor Plünderungen um, wie Bräunling weiß. Ein Grund, warum die im Krisengebiet stark präsente Polizei bei Unbekannten besonders genau hinschaue, schildert Bräunling, selbst wenn diese mit hehren Absichten als Helfer ins Gebiet kämen. "Man kennt sich nicht und man weiß ja nie."
Auch ein anderer Sinsheimer hält sich in dem Gebiet auf: Bodo Schiffmann, Arzt und genauso bekannter wie umstrittener Kritiker der Corona-Maßnahmen, sammelt Spenden für Flutopfer. Schiffmann, der zuletzt in Tansania weilte, hatte laut Medienberichten bis Montag über 330.000 Euro gesammelt, die "zu 100 Prozent an die Hochwasseropfer" gehen würden. Zuletzt habe er "für 12.000 Euro pro Tag eine Firma für Aufräumarbeiten beauftragt", heißt es weiter.



