Die Biber bauen den Erlenbach um
Folgen gibt es nicht nur für Landwirte, sondern auch für einen Betriebspunkt der Wasserversorgung.

Von Tim Kegel
Sinsheim. "Force of nature" – sinngemäß: "Naturgewalt" – sagt das Graffiti-Bild auf dem Pumpenhäuschen neben den Feldern von Tobias Sohns. Und der 31-Jährige bekommt genau diese gerade zu spüren. Die Kraft des Wassers und der Biber, denn die Nager haben Modellierungen am nahen Bach vorgenommen. Felder werden zur Seenplatte.
Es gluckert, matscht und trieft am Rand des kleinen Bachlaufs im äußersten Westen von Sinsheim. Hier, versteckt in der Elsenzaue, fließt das auf den Landkarten "Dührener Bach" genannte Rinnsal, das in Dühren entspringt, wo es von allen nur Erlenbach genannt wird. Dass das parallel zur Elsenz fließende Bächlein eine beträchtliche Wassermenge führen kann, fällt den meisten nur im Frühjahr auf, wenn Starkregen fällt, oder wenn viel Mais und Rüben auf den Äckern stehen und der Bach durch das aus den Schlägen ablaufende Wasser anschwillt. Hiervon spürt man draußen in der Fohlenweide wenig.

Doch ähnliches mache dort zurzeit der Biber – machten möglicherweise die Biber –, ist Sohns überzeugt und zeigt in die gluckernde, matschende Aue. Die großen Nager legen Burgen in Uferbereichen an, deren Zugänge sie vor Feinden schützen, indem sie eine Art Schleuse anlegen, die unter Wasser liegen soll. Um dies zu erreichen, stauen Biber niedrige Gewässer an. In tieferen Bereichen, wie an der benachbarten Elsenz, entstehen in der Regel keine Burgen.
Die kleinen und mittleren Biberdämme, ist Sohns sicher, lassen den Bach übers Ufer auf die Felder treten. Der Landwirt hat die Flächen gepachtet, erntet Heu in der Aue, als Futter für 40 bis 60 Pferde, die auf seinem Gnadenhof leben. Das Heu sei daher "essenziell für den Betrieb". Erst jetzt wieder war der Feldstreifen zum See geworden. Jetzt, in der Erntezeit, muss Sohns deshalb die Gräser zur Trocknung aufwendig wenden und mehrfach umlagern, da sonst Schimmel und außerdem die Gefahr einer Selbstentzündung entstünden, wenn der Landwirt die Ballen mit zu hoher Restfeuchte einlagern würde. Nur: Auf dem durchnässten Boden "trocknet kaum was ab"; Pflanzen, die dicht am Bachlauf stehen, kann er teilweise überhaupt nicht ernten, weil die Fahrzeuge einsinken, das Erdreich verdichten und diesem schaden würden. Entschädigung aufgrund der Schäden durch das Regierungspräsidium hat Sohns bislang keine bekommen.
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Knapp zwei Kilometer sind es vom Sinsheimer Ortsrand hinaus auf verwinkelten Pfaden, vorbei am Flüchtlingsheim und dem Asphaltwerk, durchs alte Gewann Bockscheuer zur Fohlenweide. Hier zeigt sich das Ergebnis von "nicht ganz einem Jahr" Biber-Arbeit. Auch anderen Bauern weiter stadteinwärts machten die Nager Probleme. Die Schäden allein auf seinem Gebiet beträfen die Fläche "von knapp zwei Hektar", schätzt Sohns. Wenn das Tier "so weitermacht", könnten, wie Sohns befürchtet, auch die am Bachufer gegenüber laufenden "Bahngleise unterspült werden".
Zur Beurteilung der Gesamtsituation muss man tiefer einsteigen und einige Besonderheiten des Geländes und seiner Nutzer betrachten. Da ist die Familie Sohns, die hier seit 40 Jahren lebt und den Lebensunterhalt mit dem Land bestreitet. Zum Hof gehört eine Quelle, deren Wasserqualität laut Sohns gefährdet werden könnte, sollte aufgrund der Biber-Tätigkeiten Wasser vom Bach ins Reservoir laufen. Ein ähnliches Problem hat auch die Bodensee-Wasserversorgung, deren Leitung zum Stadtteil Hoffenheim durch die Aue verläuft: Ein Betriebspunkt befindet sich unweit der Sohns’schen Quelle; auch dieser darf nicht überflutet werden.

Und auch der Biber hat Karten im Spiel. Sein Trumpf: Die Art hat kaum natürliche Feinde und entwickelt sich prächtig, ist aber streng geschützt und darf nur unter strikten Auflagen in ihrer Entwicklung beeinflusst werden. Die Entfernung einer Biberburg gilt als Tabu. Und als Sohns einen kleineren Biberdamm aus dem Bach eigenmächtig entfernte, kam zuerst der ehrenamtliche Biberbeauftragte vorbei – dann flatterte ein Strafzettel ins Haus.
"Seit 40 Jahren holen wir Treibholz aus dem Bach", sagt Sohns. Umso mehr wundere es ihn, dass Biberdämme in jüngerer Vergangenheit sehr wohl entfernt werden durften, zuletzt vor wenigen Tagen und nicht von Hand, sondern "mit einem Kettenbagger" – zum Schutz des Betriebspunkts der Bodensee-Wasserversorgung. Sohns fragt sich, ob hier "mit zweierlei Maß gemessen" wird. Doch viel gebracht hat der Bagger-Einsatz sowieso nicht: Inzwischen hat der Biber den Damm schon wieder fast ersetzt, staut sich erneut das Wasser.
"Reißt man ein Bauwerk ein, kann es passieren, dass der Biber hergeht und ein besseres baut", hat Dr. Ulrich Weinhold beobachtet, freiberuflicher Biologe und Bibermanager des Regierungspräsidiums Karlsruhe. Sollen Biberdämme verändert, umgestaltet, angepasst oder gar eingerissen werden, geht dies über seinen Schreibtisch, so auch die Maßnahme mit dem Bagger in der Fohlenweide. Dass die Weinhold unterstellten Ehrenamtlichen andernfalls schon mal Ordnungswidrigkeiten anzeigen würden, liege daran, "dass man ansonsten den Überblick verliert". Die Dunkelziffer von Menschenhand abgebauter Biberbauten sei groß, sagt Weinhold. Und sowohl Sohns als auch die Biberbeauftragten wissen von mindestens einem Biber auf Sinsheimer Boden, der auf mysteriöse Weise für immer verschwand. Das Tier lebte ebenfalls im Erlenbach am Rand eines alten Steinbruchs in direkter Nähe zur – zwischenzeitlich sanierten – Autobahnabfahrt.

Möglichst naturbelassene Biberbauwerke seien notwendig, wenn Abhilfe geschaffen werden soll – wie nun offenbar in der Fohlenweide. Zusammen mit Michael Winter, dem ehrenamtlichen Biberbeauftragten in der Elsenzaue, watete Weinhold jetzt auch durch die Wiesen von Sohns und durch ein vorgelagertes Naturschutzgebiet. Die Sorgen der Landwirte und des Versorgungsbetriebs nehme man ernst, suche aber auch nach einer für alle – das heißt: auch für den Biber – "praktikablen Lösung". Es führe zu nichts, "den Biber wegzubringen oder abzuschießen", ist Weinhold überzeugt, "weil dann der nächste nachkommt". Vergrämungsversuche seien – wohl aus demselben Grund – nur geringfügig zielführender. Es könnte also sein, dass das Gebiet und seine Biber künftig engmaschig kontrolliert und störende Bauwerke von Menschenhand entfernt und vom Biber wieder aufgebaut – und wieder und wieder entfernt und aufgebaut – werden müssen. Während betroffene Landwirte über Landschaftsschutzprogramme und individuelle Vertragsregelungen ins Boot geholt werden könnten.
Doch noch ist für Weinhold und Winter "unklar, wo das Wasser überhaupt herkommt". Neu überflutete Flächen am Rand einer älteren Teichanlage innerhalb des Naturschutzgebiets – dort quaken inzwischen Seefrösche und quorren Schnepfen – ragten weit in die Aue hinein, ohne dass der Erlenbach übers Ufer getreten zu sein scheint. "Kommt das Wasser von anderswo?" fragen sie sich nun: Sind Entwässerungen in einem der Felder beschädigt? Oder gibt es am Ende unentdeckte Biberbauwerke im Naturschutzgebiet? Ein Termin mit Behörden und allen Beteiligten solle nun Klarheit bringen. Es gebe – obwohl nicht allzu wahrscheinlich – auch die Möglichkeit, dass es "gar nicht am Biber liegt".
Für Sohns, der selbst großen Wert auf den Schutz der Tier- und Pflanzenwelt der Elsenzaue legt und "dem Biber nicht schaden will", klingt das hanebüchen: "Eindeutig liegt’s am Biber", ist er überzeugt. Warum? "40 Jahre lang gab’s keine Probleme – erst jetzt ist es, wie es ist."