Im Kindergarten gibt es mehr Wickelkinder und zu wenig Wertschätzung
Die Arbeit hat sich für die Erzieherinnen verändert. Besonders die Rahmenbedingungen machen dem Betreuungspersonal zu schaffen.

Von Anjoulih Pawelka
Reichartshausen. Liane Engelhart-Ullmann mag ihren Beruf. Sie findet es schön zu sehen, wie sich die Kinder entwickeln und sie dabei zu begleiten. Die 61-Jährige ist Leiterin des Kindergartens "Arche". Wenn sie erzählt, dass sie traurig ist, wenn die Kinder in die Schule kommen, dann kann man ahnen, was ihr der Beruf bedeutet. "Das ist schon schön", sagt sie, um dann hinterherzuschieben, dass es die Rahmenbedingungen allerdings eher weniger seien. Es gebe rund um die Arbeit mit den Kindern vieles, was störend ist.
Diese Rahmenbedingungen müssten sich ändern, erklärt Engelhart-Ullmann und nennt als erstes den Personalschlüssel, der viel zu niedrig sei, denn im Durchschnitt müssen zwei Erzieherinnen 25 Kinder pro Gruppe betreuen. Gäbe es mehr Personal, könnte man dieses flexibler einsetzen. Dann müssten manche Erzieherinnen nicht auch an ihren freien Tagen arbeiten, wenn Not herrscht. Einfach mehr Personal einstellen, das funktioniert nicht, denn wie viele Erzieherinnen und Erzieher in einer Einrichtung arbeiten dürfen, richtet sich nach den Betreuungsangeboten, also auch nach den Öffnungszeiten, und wird vom Land festgelegt.
Personalmangel ist Problem
Doch auch wenn Kindergärten selbst entscheiden könnten, wie viel Personal sie einstellen, würde das die Situation nicht verbessern. Denn es gibt kein Personal. Das liege an der falschen Planung vonseiten der Politik. Der Rechtsanspruch auf Kleinkindbetreuung habe die Situation noch schwieriger gemacht. "Es ist nicht so, dass der Beruf attraktiv ist", sagt die Kindergartenleiterin und ergänzt: "Soziale Berufe erfahren keine Wertschätzung mehr." Das werde zum Beispiel bei der Bezahlung deutlich, denn in den ersten drei Ausbildungsjahren gibt es für angehende Erzieherinnen kein Gehalt.
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Dass sich Eltern beschweren, dass der Kindergarten manchmal auch geschlossen werden muss, weil zu viele Betreuungskräfte krank sind, das kann die Leiterin nicht nachvollziehen. Das sei auch schon vor der Pandemie vorgekommen. Pfarrerin Susanne Zollinger, deren Arbeitgeberin, die evangelische Kirche, auch die Trägerin des Kindergartens ist, fügt hinzu, dass man natürlich nachvollziehen könne, dass das die Eltern vor Herausforderungen stellt. Doch die Vorgaben sorgten schlichtweg dafür, dass es nicht möglich ist, dass sich eine Erzieherin um 15 Kinder kümmert. "Da ist das Kindeswohl dann gefährdet", sagt Engelhart-Ullmann.
Zu den schwierigen Rahmenbedingungen gehören zum Beispiel aber auch neue Vorschriften. "Vor 40 Jahren habe ich mich mit dem Brandschutz noch nicht befasst", sagt Engelhart-Ullmann. Und dann erzählt sie davon, wie alle zwei Jahre die Notausgangsschilder ersetzt werden müssen, weil die Farbnuance der neuen Schilder ein wenig anders sei. "Das ist Geldmacherei", findet sie.
Aber auch die Arbeit mit den Kindern habe sich verändert. Diese seien früher anders gewesen, erzählt Engelhart-Ullmann. Heute würde das pädagogische Konzept viel mehr die Persönlichkeit der einzelnen Kinder in den Vordergrund stellen. Das sei manchmal aber "ein schmaler Grad zum Egoismus". 25 Kinder, die an erster Stelle stehen, seien herausfordernd. Und Zollinger ergänzt, dass sich viele Kinder nicht zurücknehmen könnten, um sich in die Gruppe einzufügen. "Das fällt zunehmend vielen Kindern schwer", sagt sie. Die Pfarrerin vergleicht das mit einer Waagschale. Jedes Kind individuell zu fördern und gleichzeitig die Gemeinschaft zu stärken, das sei schwierig. Man müsse aufpassen, dass die Balance nicht verloren geht. Doch eigentlich könne man das bei der Gruppengröße nicht umsetzen. "Es ist ein ständiges Hinterherrennen", ergänzt Engelhart-Ullmann.
Die einzelnen Kinder bräuchten auch mehr Förderung. So habe es in den 1980er- und 1990er-Jahren eigentlich kein Kind gegeben, das noch eine Windel gebraucht hat, wenn es in den Kindergarten kam. Heute indes muss ein Drittel der Kinder, die älter als drei Jahre sind, noch gewickelt werden. Das sind im Durchschnitt acht Kinder pro Gruppe. "Das geht teilweise bis viereinhalb, fünf Jahre", erzählt die Leiterin. "Familien sind heute ganz anders belastet", sagt Zollinger. Die Eltern seien abends auch erschöpft, vermutet die Pfarrerin. Und Engelhart-Ullmann fügt hinzu, dass es einfach sei, zu wickeln. Kinder fänden das bequem. Ihnen das abzugewöhnen "das ist Erziehungsarbeit". Die vielen Windelkinder wirkten sich aber auch auf den Alltag im Kindergarten aus.
Keine Ausflüge mehr
Ausflüge finden zum Beispiel nicht mehr statt, denn das geht mit Wickelkindern nicht. Außerdem würden sich die Kinder schlechter an Regeln halten als früher, und die Eltern seien empfindlicher, wenn ihre Kinder zum Beispiel hinfallen. "Das ist alles so in Watte gepackt", sagt Engelhart-Ullmann. Und Zollinger ergänzt: "Die Erzieherinnen stehen deutlich mehr am Pranger." Es würde auch mehr diskutiert als früher. Doch Zollinger sagt auch: "Manchmal wird man auch betriebsblind", deswegen sei das grundsätzlich schon gut, wenn Eltern Dinge hinterfragen.
Und was würde sich Engelhart-Ullmann wünschen? Für sie steht fest, dass sich vieles an der Arbeit durch kleine Gruppen verbessern würde. Bei 18 bis 20 Kindern pro Gruppe sei das ein "schönes Arbeiten". Doch sie glaubt nicht an eine Veränderung. Dafür wäre das Thema schon viel zu lange bekannt.