Wenn aus Bewegung Musik entsteht
Projekt am Fex-Figurentheater Helmstadt-Bargen: Der "Motion Composer" eröffnet körperlich beeinträchtigten Menschen eine neue Welt.

Von Berthold Jürriens
Helmstadt-Bargen. Figuren an Stäben bewegen sich auf der Bühne der Bargener Mehrzweckhalle zur Musik. Und Martin Fuchs vom Fex-Figurentheater wirft seinen Körper mal nach oben oder mal nach unten, mal mit kreisenden oder mal mit hochgestreckten Armen.
Tiergeräusche begleiten plötzlich diese unorthodoxen Tanzposen. Das meint der Beobachter auf den ersten Blick zu erkennen. Doch beim genaueren Betrachten der Szenerie erkennt man: Hier wird nicht zur Musik getanzt, sondern die Bewegungen auf der Bühne erzeugen die Töne. Möglich wird dies durch den "Motion Composer", der Bewegungen mittels Sensoren und Kameras erkennt und diese in Klänge umsetzt.

Mit jeder Bewegung lassen sich in Echtzeit Klangeffekte hervorrufen und ganze Klangwelten kreieren. "Die Technik soll besonders Menschen mit schweren Beeinträchtigungen zugutekommen und deren aktive Teilhabe fördern. Sie motiviert Menschen zu einem körperlichen, emotionalen und sogar künstlerischen Ausdruck", erzählt Josepha Dietz, die als Geschäftsführerin aus Dresden gemeinsam mit Robert Wechsler für die Entwicklung und den Vertrieb des "Motion Composers" verantwortlich ist. Damit lasse sich auch die Körper- und Selbstwahrnehmung fördern und die Koordinationsfähigkeit verbessern. "Das Gerät kann sowohl zu Therapiezwecken als auch in Aktivierungs-, Freizeit- oder Kunstprojekten eingesetzt werden."
Der US-Amerikaner Wechsler ist Tänzer und Choreograf und hat das Gerät im Jahr 2011 mit Ingenieuren und Künstlern entwickelt. Laut Dietz ist es in rund 40 Einrichtungen in Deutschland und Europa in den Therapiealltag integriert. "Vor allem körperlich beeinträchtigte Menschen sollen durch das Gerät wieder Freude an Musik und Bewegung verspüren und ein "Das habe ich gemacht?!- Gefühl erleben", ergänzt sie.
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Davon erfuhr Figurenspieler Fuchs, der sich auch im therapeutischen Puppenspiel bestens auskennt und sich in diesem Zusammenhang um Förderung für ein Rechercheprojekt mit dem "Motion Composer" beworben hatte. "Ich möchte einfach ausprobieren, ob ich so etwas in einem Puppenspiel integrieren und wie das funktionieren kann."
Zu seiner Überraschung bekam er aus dem Fonds Darstellende Künste im Rahmen des vom Bund finanzierten Förderprogramms "Neustart Kultur" die beantragte Rechercheförderung. Daraufhin hat Fuchs zu dieser Art Workshop eingeladen, in dem Teilnehmer diese "neuartige Erfahrung von Teilhabe und Selbstwirksamkeit mit dem Motion Composer" erleben konnten. Die interaktive Musikumgebung ermögliche einen niederschwelligen und individuellen Ausdruck über nonverbale Mittel und biete eine Menge Spaß beim gemeinsamen Tanzen und Musizieren. Das sei ein emotionales Erlebnis, sagt Dietz.
Zum "Motion Composer" gehören ein kastenförmiges Gerät, ein Tablet und zwei Musikboxen. Der "Motion Composer" basiert auf einer 3D-Technologie, mit der kleinste Bewegungen im Raum oder von einem Körper wahrgenommen werden können. "Mit dem dazugehörigen Tablet kann im Programm zwischen verschiedenen Instrumenten, Elektromusik sowie Natur- und Tiergeräuschen ausgewählt werden." Dafür gebe es bereits eigene Komponisten, die ihre Klänge beisteuern, sagt Dietz.
Auf der Bühne erzeugt Ute Fuchs währenddessen Wellengeräusche mit ihren Armbewegungen. Dann lässt sie sich mit ausgestreckten Armen in die "Tiefe" fallen, und es erklingen Walgesänge. Der Spaß ist ihr ins Gesicht geschrieben. "Über die Tonhöhe und -länge entscheidet die jeweilige Körperbewegung vor dem Gerät", erklärt Dietz. Martin Fuchs erzeugt Klaviermusik, "obwohl ich kein Instrument spielen kann", sagt er lächelnd.
Mal schnell von links nach rechts geschritten, ähnelt der Klang einer Handbewegung über die Tasten eines Klaviers. Weitere Einstellungen ermöglichen die Wahl zwischen einer tonalen oder eine melodische Wiedergabe. "Super spannend" sei diese körperliche musikalische Komposition, in der Bewegung in Musik verwandelt wird, sagt Martin Fuchs.
Gerade für Menschen mit schweren kognitiven oder körperlichen Beeinträchtigungen sei dies eine außergewöhnliche Art, sich auszudrücken, weiß Dietz, die von positiven Erfahrungen mit Alzheimer-Patienten oder Menschen, die im Rollstuhl sitzen, berichtet.
Somit seien selbstbestimmtes Tanzen und Musizieren für Menschen möglich, die das ansonsten nie tun könnten: "Menschen mit Beeinträchtigung werden zu Künstlern", fasst Dietz zusammen. Auch bei den Special Olympics World Games in Berlin war Dietz mit ihrem Team vor Ort, um den "Motion Composer" bekannter zu machen.
Für Fuchs beginnt jetzt aber erst die eigentliche Arbeit: Er will seine Erfahrungen und die Möglichkeiten mit dem "Bewegungskomponisten" dokumentieren und sich Gedanken über ein mögliches Figurenspiel in dieser Form machen.
Dass trotz seiner vielen Einladungen an entsprechende Einrichtungen in der Region für den Workshop die Resonanz eher als enttäuschend zu bezeichnend ist, sei für ihn "verkraftbar". Diejenigen, die vor Ort waren, hatten beim Ausprobieren des "Motion Composers" eine Menge Spaß und bekamen einen besonders persönlichen Einblick in diese Innovation.



